Arbeit und Recht

Eine turbulente Lebensphase: Konflikte während der Lehre

In der Lehre besteht zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber nicht nur ein Anstellungs-, sondern auch ein Ausbildungsverhältnis. Darüber hinaus befinden sich die Lernenden persönlich in einer oft turbulenten Lebensphase: Eine Konstellation, 
die Konflikte während der Lehrzeit verständlicher erscheinen lässt. Die Auflösung des Lehrvertrags kann in einer solchen Situation nur das letzte Mittel sein.

Nathalie befindet sich im dritten Lehrjahr. Ihr Berufsbildner stellt seit einiger Zeit fest, dass die Lernende öfter zu spät kommt sowie müde und unkonzentriert wirkt. Als die Klassenlehrerin ihm mitteilt, dass Nathalie auch in der Schule mehrere unentschuldigte Absenzen aufweist, will er handeln.

Szenenwechsel: Eduard war in der Berufsfachschule bislang ein durchschnittlicher Schüler. Die Noten des laufenden Schuljahres sind jedoch grossmehrheitlich ungenügend und lassen die Berufsbildnerin an der erfolgreichen Fortsetzung der Lehre zweifeln. Sie möchte den Lehrvertrag auflösen.

Eskalation der Massnahmen

In beiden Beispielen stellt der Berufsbildner beziehungsweise die Berufsbildnerin eine Veränderung im Verhalten oder in der Leistung der lernenden Person fest. Diese Beobachtung und die gewünschte Veränderung muss gegenüber dem oder der Lernenden klar kommuniziert werden. So kann es gerade im ersten Fallbeispiel sein, dass der Lernenden schlicht das Problembewusstsein fehlt. Dann hilft es oft bereits, deutlich zu machen, dass die bezahlte Arbeitszeit für den Betrieb eingesetzt werden muss und unentschuldigte Absenzen nicht akzeptiert werden.

Bringt ein erstes Gespräch nicht den gewünschten Erfolg, kann eine schriftliche Vereinbarung ein sinnvolles Mittel sein. Diese ist nicht an eine bestimmte Form gebunden, sollte jedoch zumindest klare, messbare und erreichbare Ziele sowie den Beobachtungszeitraum beinhalten. Der Einbezug der Eltern ist dann normalerweise ebenfalls angezeigt. Schliesslich können, abhängig von der Situation, externe Fachpersonen beigezogen werden. Dies wäre besonders dann notwendig, wenn der Berufsbildner von Nathalie hinter dem beobachteten Verhalten schwerwiegendere Probleme, wie zum Beispiel Drogenkonsum, vermuten würde.

Letztes Mittel – die Lehrvertragsauflösung

Eine Lehrvertragsauflösung ist immer das letzte Mittel in einem Konfliktfall. Das Vorhaben der Berufsbildnerin im zweiten Fallbeispiel ist deshalb überstürzt und dürfte kaum von Erfolg gekrönt sein. Der Lehrvertrag kann nur in gegenseitigem Einvernehmen oder aber aufgrund wichtiger Gründe aufgelöst werden (siehe Kasten). Einer dieser Gründe, damit der Lehrvertrag aufgelöst werden kann, lautet: «Wenn die Bildung nicht oder nur unter wesentlich veränderten Verhältnissen zu Ende geführt werden kann.» Diese unscharfe Formulierung gibt immer wieder zu Diskussionen Anlass.

Üblicherweise werden in einem Fall, wie er oben beschrieben ist, zuerst Massnahmen zur Verbesserung der Situation festgehalten. In einer Vereinbarung kann festgelegt werden, welche Ziele der Lernende im nächsten Zeugnis erreichen soll. Gleichzeitig muss abgesprochen werden, ob und, wenn ja, wie der Lernende im Lehrbetrieb unterstützt werden kann und ob er Stützkurse an der Berufsfachschule erhält.

Sollte es letztlich dennoch zur Lehrvertragsauflösung kommen, muss das kantonale Berufsbildungsamt dieser zustimmen. Es lohnt sich, das Berufsbildungsamt bereits vorher einzubeziehen: In einem komplexen Konfliktfall, der auf eine Lehrvertragsauflösung zusteuert, kann das Amt einen letzten Anlauf zur Lösungssuche unterstützen.

Selten – die Lehrvertragsverlängerung

Schliesslich kann es vorkommen, dass ein Lehrvertrag zwar nicht aufgelöst, aber verlängert wird. Dies macht vor allem dann Sinn, wenn die Ausbildung länger oder wiederholt unterbrochen wurde – zum Beispiel bei Schwangerschaft oder längerer Krankheit. Hingegen wird der Lehrvertrag bei Nichtbestehen der (schulischen) Lehrabschlussprüfung normalerweise nicht verlängert: Die ehemaligen Lernenden beginnen als betrieblich voll einsatzfähige Mitarbeitende zu arbeiten und wiederholen die Prüfung ein Jahr später.

Die Beispiele zeigen: Der rechtliche Hintergrund ist in Konfliktfällen wissenswert. Oft sind in solchen Situationen aber besonders die kommunikativen und pädagogischen Fähigkeiten von Berufsbildnerinnen und Berufsbildnern gefragt.

Der Lehrvertrag

Der Lehrvertrag ist ein Arbeitsvertrag, bei dem die Ausbildung im Vordergrund steht und der in der Regel mit jugendlichen Arbeitnehmenden (sowie ihrer gesetzlichen Vertretung) abgeschlossen wird. Diese Besonderheiten bringen es mit sich, dass er klaren gesetzlichen Regelungen unterliegt (Art. 344–346a OR) und von der kantonalen Aufsichtsbehörde genehmigt werden muss. Es besteht ein gesamtschweizerisch einheitliches Formular, das unter http://lv.dbk.ch heruntergeladen werden kann.

Folgende Punkte müssen gemäss Art. 344a OR zwingend geregelt werden:

  • 
Berufsbezeichnung sowie Beginn und Ende des Lehrverhältnisses
  • 
Lohn (KV Schweiz veröffentlicht für den kaufmännischen Bereich und den Detailhandel jährlich Empfehlungen)
  • 
Probezeitdauer (in der Regel zwischen einem und drei Monaten)
  • 
Wöchentliche Arbeitszeit
  • 
Ferien

Um Missverständnissen und späteren Uneinigkeiten vorzubeugen, ist es zudem sinnvoll, auch weitere Aspekte zu klären. Das Gesetz sieht hier beispielsweise explizit die Beschaffung von Berufswerkzeugen, Beiträge an Unterkunft und Verpflegung oder Übernahme von Versicherungsprämien vor. Zu berücksichtigen ist auch eine allfällige Beteiligung an den Schulmaterialkosten oder eine Zeit-/Kostenbeteiligung bei Sprachaufenthalten im Ausland. KV Schweiz empfiehlt für Ersteres die volle Übernahme und bei den Sprachaufenthalten eine 50/50-Lösung.

Der Lehrvertrag ist ein befristeter Vertrag, der nur unter bestimmten Umständen aufgelöst werden kann. Möglich ist dies ohne speziellen Grund während der Probezeit (bei einer Kündigungsfrist von sieben Tagen), danach ist nur eine fristlose Auflösung möglich, wofür wichtige Gründe vorliegen müssen. Diese sind unter Art. 346 Abs. 2 OR aufgelistet.
 

 

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Michael Kraft ist Verantwortlicher für -Jugendpolitik und --beratung beim Kaufmännischen Verband Schweiz. Er berät Lernende und Berufs-bildner/-innen in Fragen rund um die Lehre und den Berufseinstieg.
www.kvjugend.ch 

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