Interview mit der ersten Schweizer Linienpilotin

«Es gibt immer Lösungen»

Als erste Linienpilotin der Schweiz löste Regula Eichenbergers Stellenantritt bei der Crossair 1998 eine mediale Berichterstattungs-Welle aus. Mittlerweile liegt Eichenbergers letzter Flug sieben Jahre zurück. Vor kurzem erschien ihr Buch über ihre Arbeitserlebnisse.

Das Fliegen liegt Ihnen im Blut. Ihre Eltern betrieben einen kleinen Flugplatz in Buttwil. Alle Familienmitglieder sind flugbegeistert: Ihr Vater, Ihre Schwester und Sie. Sie bestanden die Privatpiloten-Theorie Prüfung mit 16 Jahren ohne je zuvor eine Flugstunde genommen zu haben. Zuletzt flogen Sie einen Airbus, davor eine Boeing 676. Seit sieben Jahren sind Sie nun pensioniert. Worin besteht für Sie der Zauber der Fliegerei?

Regula Eichenberger: Aus dem Gefühl beim Abheben von der Startbahn und daraus, verschiedene Flugzeugtypen zu beherrschen. Der Zauber zeigt sich auch, wenn man die Landschaft von oben sieht und Naturphänomene wie Nordlichter auf Flügen über dem Nordatlantik, Sonnenauf- und -untergänge sowie den Mond und den Sternenhimmel beobachtet. Nicht zuletzt aber auch in der Zusammenarbeit mit der Crew, obschon das nicht immer leicht war, weil sich das Team immer wieder neu zusammengesetzt hat.

Was war Ihr Lieblingsflugzeug?

Die Boeing 767.

Weshalb?

Sie hat ein grosses Cockpit, im Gegensatz zu kleineren Flugzeugen, in denen man schulternahe an der unbeheizten Scheibe sitzt. Zudem liess sich die Maschine sehr leicht steuern.

Sie transportierten nicht nur Personen, sondern auch Frachtgut oder steuerten eine Maschine bei einem Ausmusterungs-Flug. Woran erinnern Sie sich besonders gern?

An einwöchige Aufenthalte in Goa, Mombasa und Nordamerika, besonders aber auch an meine Einsätze bei anderen Airlines. Etwa, als ich in Vietnam stationiert war. Das war 1989, gerade nach dem Mauerfall in Berlin. Das Leben in Saigon war sehr interessant, alle fuhren damals noch mit Velos. Richtig herausgefordert wurde ich aber in Afrika, wo ich bei der Zusammenarbeit mit der Crew ab und zu ein Auge zudrücken musste.

Das heisst?

Manchmal versuchten Mitarbeitende, Angehörige an Bord zu schmuggeln. Als ich das erste Mal einen blinden Passagier im WC entdeckte, musste ich leer schlucken. Bemerkt hatte ich ihn nur, weil ich ausnahmsweise hinten im Flugzeug einstieg. Ich suchte dann das Gespräch mit dem Kabinenchef. Das gab Ärger, weil wir als fremde Crew «stur» darauf beharrten, die Flugregeln einzuhalten. Was ich nicht verstand: In Afrika sind die Menschen sehr herzlich. Wird ein Crewmitglied darum gebeten, jemanden mitzunehmen, wird diesem Wunsch nachgekommen.

Um Sie herum brach nach Ihrer Anstellung bei der Crossair ein Medienrummel aus. Der österreichische Sender ORF widmete Ihnen als Pilotin und Doris Wilson, einer Crossair Co-Pilotin, sogar eine eigene Sendung. Was bedeutete Ihnen das?

Ich war damals voll berufstätig und arbeitete viel. Das Ganze war eher eine Belastung. Ich fühlte mich teils überfordert und musste auch Anfragen ablehnen. Etwa alle 1. August-Reden. Die Aufregung legte sich rasch, das Ganze fing aber wieder von vorne an, als ich Captain wurde.

«Flugkapitänin», «Frau Eichenberger» oder «Captain». Titel für Pilotinnen gab es damals noch nicht. Wie wollten Sie selbst angesprochen werden?

Mit Captain Regula Eichenberger, Kommandantin Eichenberger oder nur Frau Eichenberger.

Als Pilotin verdienten Sie damals schon in den 2000-Jahren gleich viel wie Piloten. Beim Bodenpersonal gab es dagegen Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern. Wie erklären Sie sich das?

Es gab Lohnklassen für Piloten, die nach meiner Anstellung bei der Crossair so belassen wurden. Das Unternehmen verzichtete darauf, eine tiefere Lohnkategorie für mich zu schaffen. Beim Bodenpersonal entstanden die Lohnunterschiede dagegen historisch. Frauen erhielten in gewissen Berufen einfach weniger Lohn als Männer.

Eine Frau am Flugsteuer war vor wenigen Jahren Diskriminierungen ausgesetzt. In Ihrem Buch schildern Sie einige Beispiele. Etwa, dass ein Passagier seiner Tochter erzählte, das Flugzeug rüttle, weil eine Frau es fliege oder eine Passagierin einen Nervenzusammenbruch erlitt (da sitzt ja eine Frau!) als sie Sie im Cockpit erblickte. Ein italienischer Tankwart wollte Ihr Flugzeug nicht betanken, weil es von Ihnen gesteuert wurde. Was empfinden Sie, wenn Sie an solche Erlebnisse denken?

Als ich mein Buch schrieb, war das gewissermassen eine Vergangenheitsbewältigung und löste bei mir nachträglich ein Kopfschütteln über die Arroganz meiner Mitmenschen aus. Ich bin mir aber nicht sicher, ob solche Geschichten der Vergangenheit angehören.

Buchtipp: Über den Wolken. Mein Leben zwischen Himmel und Erde.

Regula Eichenberger, ueber den WolkenRegula Eichenberger wollte fliegen. Unbedingt. Immer schon. Und als ihre zwei Jahre ältere Schwester den Privatpilotenschein machte, lernte sie einfach mit. So bestand sie – ohne je einen Kurs besucht zu haben – mit noch nicht einmal siebzehn Jahren die Theorieprüfung. Acht Jahre später begann die Tochter eines Fluglehrers dann, anderen beizubringen, wie man in die Luft geht und dort auch bleibt. Im Jahr 1983 bewies Moritz Suter, der Gründer der Crossair, sein Marketingtalent und setzte Regula Eichenberger als erste Schweizer Linienpilotin ein. In ihrer Autobiografie lesen wir von Halbgöttern in Uniform und kalten Füssen im Cockpit, davon, dass man sich in ein Flugzeug verlieben kann, und von Situationen, die so brenzlig werden können, dass es Nerven aus Stahl braucht.

Regula Eichenberger, Über den Wolken, Wörterseh Verlag, 2022.

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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