Firmenteams – die neuen Youtube-Stars
Grooved Ihre Abteilung schon wie die Berliner Philharmoniker? Und moved Ihr Chef schon wie Jagger? Musikalische Metaphern und der Orchester-Vergleich gehören zu den beliebtesten Motiven in der internen Kommunikation und externen Selbstdarstellung von Unternehmen. Was hat es damit auf sich?

Gute Stimmung beim Trommelworkshop der Firma Swissgrid (Bild: zVg).

Singen mit Säge: Mitarbeiter des deutschen Baumarkts Obi geben ihre Firmenversion von Queens «We will rock you» zum Besten.
Orchester repräsentieren überall auf der Welt die Utopie eines idealen Führungs-, Organisations- und Arbeitsmodells, in welchem sich individuelle Virtuosität, kollektiver Teamgeist und visionäre Leadership in einer leistungs-, erfolgs- und zielorientierten Arbeitsgemeinschaft zusammenfinden. Im Gegensatz zu den ebenfalls beliebten Metaphern aus der Welt des Sports gibt es zwar einen Wettbewerb, aber keinen Wettkampf und somit keine Verlierer. Das verbindet und wirkt sympathisch.
Oktett musiziert auf Autoteilen
Kein Wunder also, dass Unternehmen sich gerne dieser Bilder bedienen. Die geschliffene Ikonographie einer allgegenwärtigen globalen Musikindustrie mit ihrem perfekten Identifikations- und Konsumangebot liefert dazu die fixfertigen Blaupausen und drängt sich als ideales Referenzsystem der Businesswelt geradezu auf. Beispiele gibt es massenhaft. Der Autohersteller Ford promotet ein neues Modell, indem er es in seine Einzelteile zerlegt und daraus aufwändig echte Instrumente bastelt, auf denen ein erlesenes Oktett den Corporate Soundtrack spielt. Oder man springt wie Obi mit seinen Queen-Persiflagen in Wie, wo, was weiss Obi augenzwinkernd auf den Starexpress auf und fährt mit einer guten Idee und minimalen Mitteln marketingmässig in der ersten Klasse mit.
Diese Welle macht auch vor Schweizer KMU nicht halt. Ganze Belegschaften rocken die Bude vor laufender Kamera und präsentieren sich mit einem professionell gemachten Lipdub auf Youtube: In diesen Lipdub-Musikclips mimen die Mitarbeiter synchron zu einem eingespielten Hit bei einer Stafette durch das Unternehmen die singenden Stars (hier ein Beispiel der vanBaerle AG). Die anspruchsvollen Videodrehs bilden nach innen ein aufregendes Teamerlebnis, während das Unternehmen als Arbeitgeber nach aussen seine dynamische und menschliche Seite präsentiert.
Mit Trommeln zu neuen Einsichten
Mit ähnlichem Ziel funktionieren interaktive Drum-Events (Beispiele: Trommelkonzert am Weiterbildungstag des Pflegehotels St. Johann; Fernsehsendung zu einem Trommelworkshop der Swissgrid AG). Diese seit Jahren populären Teamveranstaltungen nutzen die emotionale Kraft einer überzeugenden Orchestrierung, um einige ganz grundlegende Prinzipien gelingender Zusammenarbeit und gemeinsamer Ausrichtung auf ein Ziel zu veranschaulichen.
Unter den Ausnahmebedingungen einer Situation, in welcher sämtliche Arbeitsschritte und ihre Auswirkungen im Raum für alle Beteiligten gleichermassen und unmittelbar einsehbar sind (first best solution), liefern diese Sessions für die Teilnehmer oft eine verblüffend neue Sicht auf firmeninterne Zusammenhänge und ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl. Karl Bücher, dessen bahnbrechendes Werk «Arbeit und Rhythmus» 1899 die Arbeitssoziologie begründete, hätte daran seine Freude gehabt. Wies er doch als erster und akribisch nach, dass Rhythmisierung die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Arbeitsgestaltung und somit oberste Führungsaufgabe ist. Ohne Rhythmus als ordnendes und verordnetes Prinzip ist Arbeit schlicht nicht denkbar!
Dirigenten referieren über virtuoses Führen
In diesem Sinne evoziert das Bild des Orchesters immer auch die notwendige Figur des Dirigenten. Ihm fällt eine geradezu auratische Führungs- und Schlüsselfunktion zu. Kein Wunder also, dass Wirtschaftsführer sich gerne den Vergleich mit einem Dirigenten gefallen lassen. Entsprechend sind renommierte Orchesterdirigenten und Buchautoren wie etwa der Österreicher Christian Gansch oder die Schweizerin Graziella Contratto gern gesehene Referenten zum Thema virtuoses Führen. Auch führt eine aktuelle Studie der HSG Hochschule St.Gallen den internationalen Erfolg des Lucerne Festival Orchestra auf den integrativen und transformationalen Führungsstil seines charismatischen Leiters Claudio Abbado zurück (Titel der Case Study: «Lucerne Festival Orchestra, Vom Team aus Stars zum Starteam»). Obwohl mit dem ebenso weltberühmten Orpheus Chamber Orchestra ein klassisches Orchester bewiesen hat, dass es auch ohne Dirigent und absolut radikaldemokratisch funktionieren kann. Die 10 Punkte des «Orpheus Prozess» bilden inzwischen ein Modell, welches von Organisationsberatern weltweit angewandt wird (die 10 Punkte finden Sie hier: scrollen Sie zur Mitte der Website).
Swing vor Form
Entscheidend ist letztlich nicht die Organisationsform, sondern wie es in ihr rockt, grooved und swingt. Was Duke Ellington über die Musik sagte, gilt als universelles Führungs- und Organisationsprinzip auch für jedes Unternehmen: «It don’t mean a thing, if it ain’t got that swing.»