Bildung und Kompetenzen

Früh übt sich: Wie in Jugendlichen
 der Unternehmergeist geweckt wird

Um innovative Ideen zu entwickeln und diese auch umsetzen zu können, braucht es spezifische Kompetenzen. Gut, 
wenn die schon bei Lernenden gefördert werden. Eine Möglichkeit dafür bieten Juniorfirmen. So können Unternehmen heute schon das unternehmerische Denken und Handeln ihres Nachwuchses fördern – und morgen profitieren.

Die Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts zeichnet sich durch eine sehr dynamische Umwelt mit zunehmenden Herausforderungen für Unternehmen aus. Um in einer solchen Gesellschaft ihren Erfolg sichern zu können, müssen Unternehmen erhöhte Innovationsfähigkeit beweisen. Ein zentrales Ziel erfolgreicher Unternehmen liegt deshalb darin, alle Mitarbeiter zu einem ausgeprägten unternehmerischen Denken und Handeln zu motivieren. Das gilt insbesondere auch für die Mitarbeiter von morgen: die jungen Menschen, die heute noch in Ausbildung sind.

In Lehrbetrieben und Schulen lernen sie, sogenannte Lebensunternehmer zu werden. Sprich, sie erwerben Fachkenntnisse, aber auch Methodenkompetenz sowie Selbst- und Sozialkompetenzen. Oder wie es ein Kaufmann im 1. Lehrjahr ausdrückt: «Lebensunternehmer zu sein, bedeutet für mich nicht nur, dass ich selbständig Tätigkeiten und Arbeiten ausführe, sondern auch, dass ich persönliche Verantwortung dafür übernehme.  Lebensunternehmer sind nach der Lehre fit für das Leben – beruflich und privat. Wir sind offen gegenüber Neuem. Das alleine reicht aber nicht aus, das Tun gehört auch dazu. Ein Lebensunternehmer spricht nicht nur von einer Idee, sondern setzt diese auch um.»

Entscheidend ist die Umsetzung

Unternehmerisches Denken und Handeln 
heisst, neue Geschäftschancen zu entdecken oder zu kreieren und diese auch wirklich umzusetzen. Diese prozessorientierte Definition von Entrepreneurship findet in Wissenschaft und Praxis eine breite Akzeptanz (Fueglistaller, Müller, Müller & Volery, 2012, S. 33 ff). Sie macht deutlich, dass nicht jeder, der eine erfolgversprechende Geschäftsidee hat, unternehmerisch handelt – das tut nur, wer die Geschäftsidee angemessen bewertet und auch wirklich umsetzt. Handeln kann auch nicht automatisch als unternehmerisch bezeichnet werden – erst in Kombination mit einer neuen Geschäftsidee oder einem neuen Geschäftsmodell entsteht unternehmerisches Handeln im Sinne unserer Definition.

In einem Forschungsprojekt des Instituts für Entrepreneurship an der Universität Liechtenstein über unternehmerisches Denken und Handeln in Ausbildungsbetrieben und Schulen wurde untersucht, wie stark die unternehmerische Orientierung bei Jugendlichen ausgeprägt ist. Befragt wurden 570 Lernende in Ausbildungsbetrieben und Jugendliche in Schulen im deutschsprachigen Raum (CH, D, A, FL). Direkt nach dem Schulabschluss möchte niemand der befragten Lernenden eine Unternehmung gründen; fünf Jahre danach immerhin 8,9 Prozent.

Diese Quote ist deutlich tiefer als der vergleichbare Wert bei den Schülern. 22,3 Prozent der Schüler geben an, dass sie fünf Jahre nach Abschluss der Schule eine Unternehmung gründen möchten. Bei der Interpretation des tieferen Wertes der Lernenden muss berücksichtigt werden, dass die befragten Jugendlichen aus Ausbildungsbetrieben grosser Unternehmen wie Bühler, HiIti, Rieter oder Zumtobel stammen. In etablierten Konzernen wird unternehmerisches Denken und Handeln weniger durch die Gründung neuer Unternehmen gelebt als durch die strategische Erneuerung und Innovation im Sinne der Corporate Entrepreneurship (oder Intrapreneurship).

Kompetenzen entwickeln

Im Unterschied zu relativ stabilen Persönlichkeitseigenschaften, beispielsweise der Extraversion oder der Gewissenhaftigkeit, sind Kompetenzen lernbar und veränderbar. Kompetenzen kann man als Fähigkeiten und Skills verstehen, die eine Voraussetzung für erfolgreiche Problemlösungen und Leistung sind. Als Schlüsselkompetenz für unternehmerisches Denken und Handeln gilt dabei die Aktivitäts- und Handlungskompetenz. Sie ist eine zentrale Voraussetzung, dass neue Ideen auch wirklich umgesetzt werden.

Im deutschsprachigen Raum setzt sich zunehmend eine erweiterte Auffassung durch, die Kompetenz als Selbstorganisationsfähigkeit versteht. Als Fähigkeit, sich selbst Ziele zu setzen, entsprechend zu handeln und aktiv in neuen Anforderungssituationen zu lernen (Heyse & Erpenbeck, 2010).  Das Kompetenzmodell von Heyse & Erpenbeck, mit dem wir arbeiten, baut auf vier Basiskompetenzen auf: personale Kompetenz, Aktivitäts- und Handlungskompetenz, sozial-kommunikative Kompetenz und Fach- und Methodenkompetenz. Diese vier Basiskompetenzen werden in 64 Teilkompetenzen aufgespalten. Anhand dieses Rasters kann für den Lernenden auch ein persönlicher Entwicklungsplan erarbeitet werden, um die von der beruflichen Tätigkeit verlangten Kompetenzen zu fördern.

Lernen durch Tun

Lernplattformen zur Kompetenzentwicklung in der Ausbildung Jugendlicher können unter anderem sein:  Juniorenfirmen oder Juniorenprojekte, Lernwerkstätte oder selbstgesteuertes Lernen. In den Juniorenfirmen und Juniorenprojekten der Berufsausbildung steht die Kompetenzentwicklung im Vordergrund. Diese pädagogisch-didaktischen Konzepte basieren auf dem Prinzip des handlungsorientierten Lernens – des Lernens durch Tun. Das Lernen erfolgt durch eigenes Handeln, Erleben und Entdecken. Dabei spielt die Reflexion der Erfahrungen eine zentrale Rolle. Die Lerneffekte gehen weit über die Aneignung von Kenntnissen und Fertigkeiten hinaus und bieten für die Kompetenzentwicklung von Jugendlichen ideale Voraussetzungen. Durch die Konfrontation mit offenen und dynamischen Situationen lernen die Jugendlichen, unter Ungewissheit zu entscheiden und ihr Handeln selbst zu organisieren.

Die Untersuchung hat gezeigt, dass sich bei den befragten Jugendlichen, die Juniorenfirmen oder -projekte durchlaufen haben, die Aktivitäts- und Handlungskompetenz erhöht hat. Und zwar sowohl bei den Jugendlichen, die Führungsfunktionen übernommen haben, als auch bei allen anderen Teammitgliedern. Bei den Jugendlichen mit Führungsfunktion stieg die Aktivitäts- und Handlungskompetenz sogar signifikant an.

Leader zeigen Extraversion

Der wichtigste Grund, warum Jugendliche gerne die Führung übernehmen, sind die Freude und der Spass daran, andere Menschen zu beeinflussen und Verantwortung zu übernehmen. Die jugendlichen Leader zeigen starke Extraversion und eine ausgeprägte Gewissenhaftigkeit. Die ausgeprägte Motivation zu führen korreliert positiv und signifikant mit der Aktivitäts- und Handlungskompetenz. Lernende mit einer solch hohen affektiven Führungsmotivation schätzen sich 
selber als entscheidungsfähig, innovationsfreudig, belastbar, handlungsbereit und ergebnisorientiert ein – das sind genau die Kompetenzen, die unternehmerische Jugendliche auszeichnen.

Bei den untersuchten Juniorenfirmen zeigte sich, dass sich die Jugendlichen vor allem mit dem Business, mit der Effektivität und Effizienz von Geschäftsprozessen beschäftigt haben. Das Lernen war erst dann ein Thema, wenn die Coaches interveniert haben und die Erfahrungen gemeinsam aufgearbeitet wurden. Man kann sich das Verhältnis zwischen Lernen und Handeln wie eine Schaukel vorstellen: Überwiegt das Handeln, gehen die Reflexivität und das Lernen zurück; wird die Reflexivität zu stark betont, kann der Handlungsstrom abnehmen. In Juniorenfirmen und Projekten sind Handeln und Lernen gleichberechtigte Ziele. Eine gute Balance kann erreicht werden, wenn man während oder nach dem Handeln einen Schritt zurück macht und über die Erfahrungen im Team und in der Juniorenfirma nachdenkt. Erst nach dieser Reflexion sollte der nächste Schritt eingeleitet werden. Die Ziele und Prozesse sind den Veränderungen innerhalb oder ausserhalb der Juniorenfirma anzupassen.

Positiver Effekt auf Motivation

Das Reflektieren der Erfahrungen spielt offenbar nicht nur für das Lernen, sondern auch für die Zufriedenheit und Motivation der Jugendlichen eine wichtige Rolle. Jugendliche, denen eine bessere Balance zwischen Handeln und Lernen gelingt, sind mit ihrer persönlichen Arbeit in der Firma besonders zufrieden. Generell lässt sich eine hohe bis sehr hohe Zufriedenheit mit der Arbeit des gesamten Teams feststellen – auf einer Skala von 1  bis 5 wird im Durchschnitt ein Wert von 4,0 vergeben.  Offenbar spricht die Möglichkeit, eigene Ideen zu entwickeln, sie umzusetzen und für die Ergebnisse Verantwortung zu übernehmen, Jugendliche an.

Beispiele aus der Praxis: So lassen
Unternehmen ihre Lernenden handeln

Bei der Hilti AG gehören Juniorenfirmen zum festen Bestandteil der Berufsausbildung. Grundlage der Juniorenfirmen sind reale Geschäfte. Es geht um ein reales Unternehmen, das in eine grössere Unternehmung eingebettet ist und alle wichtigen betrieblichen Funktionen ausübt wie Beschaffung, Finanzierung, Forschung und Entwicklung, Produktion, Marketing und Verkauf. Diese betrieblichen Funktionen werden durch Führungsfunktionen überlagert, die von den Jugendlichen selber wahrgenommen werden.

Im Unterschied zu klassischen Juniorenfirmen werden nicht nur einzelne Projekte oder Aufträge von den Lernenden abgewickelt, sondern es wird ein Unternehmen gegründet, weiterentwickelt und nach einigen Monaten wieder aufgelöst. In der Juniorenfirma sind die Lernenden des dritten Lehrjahres aller Lehrberufe der Hilti in Schaan eingebunden. Ziel ist es, damit eine ganzheitliche Ausbildung anzubieten, welche die personale Kompetenz, die Aktivitäts- und Handlungskompetenz, die Fach- und Methodenkompetenz und die sozial-kommunikative Kompetenz entwickeln soll. Unternehmerisches Denken und Handeln zu fördern, steht dabei an erster Stelle.

Lebensunternehmer bei Login

Der Ausbildungsverbund Login mit über fünfzig Mitgliedsfirmen aus den Sektoren Bahn, Flug, Bus, Schiff und Tourismus verfolgt die Philosophie des Lebensunternehmers: Berufsbildung wird als eine Reise verstanden, auf der die Lernenden selbständig und eigenverantwortlich neue berufliche Erfahrungen sammeln. Login-Lernende sollen sich nicht nur beruflich, sondern auch persönlich und im gesellschaftlichen Bereich weiterentwickeln und zu Lebensunternehmern werden. Das heisst, dass die Mitarbeitenden selbst die Verantwortung für ihre berufliche Laufbahn übernehmen und versuchen, ihre Arbeitsmarktfähigkeit zu wahren beziehungsweise zu erhöhen. Dafür nötig ist die ständige Weiterentwicklung und Anpassung der persönlichen Kompetenzen an die sich schnell ändernden Bedürfnisse der Unternehmen. Login will Lernende ganzheitlich ausbilden, fördern und fordern. Die Lernenden sollen sich als Person, im Beruf und in der Gesellschaft weiterentwickeln und auf allen drei Ebenen Selbständigkeit und Verantwortungsbewusstsein sichtbar leben.

Dies wird in Juniorenprojekten gefördert, in denen die Jugendlichen selbständig umfangreiche Aufgaben abwickeln dürfen. Die Lernenden werden bewusst in das grosse Ganze mit einbezogen. Es werden ihnen die Gesamtzusammenhänge erklärt und nicht nur einzelne, zusammenhangslose Teilschritte beigebracht. So antwortete ein Lernender im Bereich Automatik auf die Frage nach seiner Tätigkeit: «Ich bin dafür zuständig, dass ein Kabel innerhalb des Zuges korrekt eingebunden wird. Dieses Kabel ist wiederum dafür da, dass die Brems-leistung gleichmässig erfolgt und nicht ein Zugwagen mehr oder weniger als der andere bremst. Ich sorge somit dafür, dass die Bahn 2000 erfolgreich funktioniert.» Juniorenfirmen und das Konzept des Lebensunternehmers sind Plattformen für das Lernen. Sie entstehen in einem bestimmten Ausbildungskontext – in einer Unternehmung oder einer Schule. Diese Organisationen haben ein Muster gemeinsam geteilter, grundlegende Überzeugungen, die für die Gruppe insgesamt typisch sind. Die Werte bilden den Kern der Kultur.

Zeit für die Reflexion einplanen

Wie immer das konkrete Muster auch ausgeprägt ist, die dominierenden Werte beeinflussen die Kultur des Ausbildungsbetriebes oder der Schule – vor allem die Lernkultur. Wer unternehmerisches Denken und Handeln fördern will, muss dem Kreieren, dem Experimentieren und der Ungewissheit breiten Raum lassen. Lernende sollen ermutigt werden, Risiken einzugehen und unerprobte, unbekannte Wege einzuschlagen. Doch wer Risiken eingeht, kann auch Fehler machen. Das wiederum verlangt ein lernfreundliches Umfeld, das offen für neue Ideen ist, bewusst Zeit zur Reflexion einplant und Fehler als Lernpotenziale versteht.  Der Geschäftsleiter einer Juniorenfirma fasst die Lernbilanz zusammen: «Wir haben das 
beste Ergebnis aller Juniorenfirmen erzielt – seit zwölf Jahren. Das löste bei uns eine riesige Freude aus. Wir haben gespürt, dass die meis-ten Mitglieder der Juniorenfirma etwas leisten wollten und konnten. Auch die Veränderung der einzelnen Personen war klar ersichtlich. Sie haben es vielleicht selber nicht immer gleich bemerkt, aber ich bin überzeugt, sie werden in Zukunft verstehen, was sie durch das Projekt gelernt haben.»

Literatur

  • Baldegger, U., Jochum-Gasser, R. & Müller, D. (Hrsg.): Wie Ideen laufen lernen – 
Unternehmerisches Denken und Handeln in der 
Berufsausbildung. Discover, 2011.
  • Fueglistaller, U., Müller, C., Müller, S. & Volery, T.: Entrepreneurship. Modelle – Umsetzung – Perspektiven. Mit Fallbeispielen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Gabler, 2012 
(3. Aufl.).
  • Heyse, V., Erpenbeck, J. & Ortmann, St. (Hrsg.): Grundstrukturen menschlicher 
Kompetenzen: Praxiserprobte Konzepte und 
Instrumente. Waxmann, 2010.
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Dr. Ruth Jochum-Gasser ist wissenschaftliche Projektmitarbeiterin am Van Riemsdijk-Lehrstuhl für Entrepreneurship an der Universität Liechtenstein und beschäftigt sich unter anderem mit jugendlichen Entrepreneuren.

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Daniel Müller, MBA, ist Hochschuldozent am Van Riemsdijk-Lehrstuhl für Entrepreneurship an der Universität Liechtenstein. Er lehrt und forscht unter anderem im Bereich Business Planning und Entrepreneurial Skills.

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