Web 2.0 / HR 2.0

Give HR a «Second Life» –
die Generation Y erfordert Umdenken

Wer beim «War for Talent» zu den Gewinnern gehören will, die unter den besten Talenten rekrutieren können, muss die «Second Life»-Generation von Arbeitskräften erfolgreich ansprechen und an sich binden. Neue Technologien bieten zwar wertvolle Unterstützung, doch es braucht dringend einen evolutionären Kulturwandel. HR spielt dabei die zentrale Rolle.

«Der Hype um ‹Second Life› hat sich ein Jahr nach seinem Höhepunkt deutlich abgekühlt.» So beurteilte kürzlich ein renommiertes Online-Magazin die Entwicklung der gerade erst fünf Jahre alten virtuellen Parallelwelt. Und tatsächlich, die Fakten sprechen eine deutliche Sprache: Die Zahl der aktiven Nutzer schrumpft; die «Second Life»-Inseln sind meist entvölkert, Programmabstürze häufen sich und die Übertragungszeiten sind nervend lange. Dazu kommen nun auch Klagen wegen Fälschungen von Markenprodukten und Verbreitung von Kinderpornografie.

Trotzdem, die Forderung ist erlaubt: «Give HR a Second Life». Denn es wäre kurzsichtig, «Second Life» (SL) auf die synthetische Umgebung mit selbstgebastelten virtuellen Charakteren zu reduzieren. SL steht für eine technologische und soziologische Umwälzung der Unternehmenswelt. Diese ist im vollen Gange. Die meisten Unternehmen sind aber ungenügend darauf vorbereitet.

Unausgeschöpfte Möglichkeiten

Sind Sie bereit für einen Test? Worauf beziehen sich folgende Bezeichnungen: WoW, Level 60, GM, Quest, Azeroth, Raid, RL, Kalimdor? Wenn Sie es nicht herausgefunden haben, gehören Sie mit Bestimmtheit nicht zu den über zehn Millionen aktiven Nutzern, die regelmässig das weltweit erfolgreichste Online Game «World of  Warcraft» (WoW) spielen. WoW spielt – ähnlich wie SL – in einer Fantasy-Welt. Die Akteure sind vornehmlich so genannte Avatare – von den Nutzern geschaffene grafische Fantasiegestalten. Diese Avatare begegnen sich in der Spielwelt und erfüllen gemeinsam Aufgaben (Raids oder Quests). So sammeln sie Punkte und steigen in der Spielerhierarchie auf. Die höchste Stufe im Grundspiel ist Level 60.

An dieser Stelle interessiert weniger das Spiel selbst, sondern die Fähigkeiten, die sich die Spieler damit aneignen können. Beispielsweise der Gildenmeister (GM), eine der höchsten Spielfunktionen: Er kann bis zu mehrere hundert Avatare anführen. Diese muss er rekrutieren, motivieren, evaluieren und eventuell entlassen. Er muss Einsatzpläne erarbeiten, Schulungsprogramme und Strategien entwickeln, Meinungsverschiedenheiten schlichten usw. Dies alles ohne direkten Personenkontakt, zeitliche und geografische Grenzen sowie in einer global verständlichen Sprache.

Es sind exakt die Fähigkeiten, die heute Manager auch im realen Leben (RL) mit der Führung virtueller Teams im globalen Umfeld benötigen. Das bestätigen nicht nur aktuelle Studienergebnisse.(1)  Auch Unternehmen begehen bereits beherzte Schritte. So setzen beispielsweise Philips und Johnson & Johnson Online-Spiele ein zur Verbesserung der Zusammenarbeit von verschiedenen Divisionen. Die Zeiten sind deshalb wohl nicht mehr fern, in denen sich Bewerbungsgespräche mehr um die Erkundung der virtuellen WoW-Kontinente «Azeroth» und «Kalimdor» als um den Sprachaufenthalt in Spanien drehen werden!

Neue Herausforderungen

Online Games, SL und andere Web-2.0-Technologien (s. Kasten) gewinnen nicht nur wegen ihres Potenzials für die Mitarbeiterinteraktion, -kommunikation und -entwicklung an Bedeutung. Sie verdrängen zunehmend «alte» Medien wie E-Mail und Internet. Vor allem junge Arbeitnehmer unter 27 Jahren provozieren den Technologiewandel. Diese so genannte Generation Y nutzt bereits heute häufiger Facebook und Youtube als Google und Yahoo (vgl. Abbildung 1)! Es erstaunt deshalb nicht, dass die Gartner Group prophezeit, in drei Jahren werde im Geschäftsleben Instant Messaging das Standard-Kommunikationstool für Sprache, Video und Text sein wird.

Wie eine aktuelle Hewitt-Umfrage(2) zeigt, ist es genau diese Generation Y, die alle Unternehmen für sich als Mitarbeitende gewinnen wollen. Wer aber glaubt, es reiche für einen attraktiven Arbeitgeber aus, Web-2.0-Technologien im Unternehmen zur Verfügung zu stellen, unterliegt einem Trugschluss. Das neue Technologieverständnis der Generation Y ist bloss ein Symptom dafür, dass diese Generation ganz andere Anforderungen und Herausforderungen an Arbeitgeber stellt. Wer sie für sich gewinnen will, muss sich einem Kulturwandel unterziehen.

Verändertes Selbstverständnis

Wie lassen sich die Vertreterinnen und Vertreter der Generation Y beschreiben? Tatoos, Piercings und Freizeitbekleidung sind Indikatoren, aber letztlich nur Äusserlichkeiten, an die man sich am Arbeitsplatz gewöhnen wird. Bedeutender ist ihr Selbstverständnis.  Die Generation Y erwartet:

  • Ausgewogene Work-Life Balance: Man setzt sich ein für ein Projekt oder eine Aufgabe, will dafür aber auch eine zeitliche Kompensation wie etwa ein Sabbatical – und das schon nach ein bis zwei Jahren.
  • 
Gelebte Corporate Social Responsibility: Unternehmen sind attraktiv, die sich aktiv und nachhaltig für gesellschaftliche und ökologische Belange engagieren.
  • 
Teamorientierung: Das Team ist der Orientierungspunkt. Hierarchien werden nicht per se akzeptiert. Führungskräfte müssen laufend beweisen, dass sie ihrem Führungsanspruch auch gerecht werden (wie bei den Online Games).
  • 
Unmittelbares Feedback/Belohnung: Mit Web-2.0-Medien geben die Nutzer einander laufend Feedback. Das erwartet die Generation Y auch von Managern. Zudem wollen sie die Belohnung (Bonus/Malus) unmittelbar sehen. Sie haben nicht die Geduld, beispielsweise die Vesting-Periode für Optionenprogramme oder gar den Bonus abzuwarten.
  • 
«Open» Workspace: Sie haben keine Hemmungen, abteilungsübergreifend bzw. mit Kunden, Lieferanten und Mitbewerbern projektorientiert zusammenzuarbeiten.
  • 
My Job 1.0, 2.0, 5.3 ... : Diese Generation fühlt sich als Portfolio-Arbeiter. Sie stellen ihre Arbeitskraft projektmässig Unternehmen zur Verfügung. Anstellungen können ein paar Monate oder ein paar Jahre dauern.  «Lifelong Jobs» kennen sie nicht.
  • 
Massgeschneiderte Karriere: Sie gehen davon aus, dass Unternehmen individuell auf ihre Karrierebedürfnisse eingehen können. Standard-Entwicklungsprogramme sind «old economy»!
  • 
Intrinsische Motivation: Eine gerechte Entlöhnung ist für diese Generation wichtig. Aber diese steht nicht im Vordergrund. Andere Attribute (s. o.) haben Priorität.

Diese Bedürfnisse gilt es zu verstehen und sich entsprechend anzupassen. Das fällt vielen Unternehmen nicht leicht. Welches Unternehmen ist schon bereit, zu rekrutierende Führungskräfte zuerst durch ihre zukünfigen Mitarbeitenden interviewen zu lassen (Google), ein projektbasiertes Aktienprogramm einzuführen, die Mitarbeitenden selbst entscheiden zu lassen, an welchen Projekten sie arbeiten wollen (Facebook), oder jedem Mitarbeitenden eine am Lebenszyklus orientierte, indivi-duelle Karriere-Entwicklung zu garantieren (DekaBank)?

HRM spielt eine zentrale Rolle beim Technologie- und Kulturwandel

Unternehmen stehen mitten in einem bedeutenden Technologie- und Kulturwandel. Die Web 2.0 (3.0, 4.0 ...)-Technologien sollen nicht nur für die Kundeninteraktion verwendet werden. Sie spielen auch für die Mitarbeitergewinnung, -kommunikation und -entwicklung eine zentrale Bedeutung. Diese Technologien gilt es nicht einfach zu übernehmen, sondern zielgruppengerecht einzuführen. Hierzu ist es unerlässlich, dass HRM die Generation Y einbindet, grosse Freiräume sicherstellt und bereit ist, neue Wege für die Unterstützung des Mitarbeiter-Lebenszyklus zu beschreiten (s. Abbildung 2).

Der Technologiewandel muss zwingend ergänzt werden durch einen Kulturwandel. Hier bewegen sich die meisten Unternehmen nur sehr zaghaft. Wer aber denkt, die neue Generation von Mitarbeitenden mit den alten bewährten Methoden ansprechen und für sich gewinnen zu können, wird Schiffbruch erleiden. Die Generation Y weiss ganz genau, was sie will, und sucht sich Arbeitgeber, die diese Anforderungen erfüllen. Wer im «War for Talent» zu den Gewinnern zählen will, tut gut daran, seine Personalprogramme den neuen Gegebenheiten anzupassen. Dieser Wandel ist nicht revolutionär, sondern evolutionär. Er muss aber mit der Stoppuhr und nicht mit dem Jahresplaner vorangetrieben werden. Bei beiden Veränderungen spielt HR eine zentrale Rolle.

Das Gewinnen und Behalten von Talenten gehört mittlerweile zu den obersten Unternehmensprioritäten. Neue Technologien und veränderte Bedürfnisse der Generation Y erlauben bzw. fordern vom HRM, in eine aktivere unternehmerische Rolle zu schlüpfen. In diesem Sinne bieten sie für HR tatsächlich ein «Second Life». Die Chance gilt es beim Schopf zu packen. Ein erster Schritt ist, sich im Blog http://oleanta.blogspot.com mit diesem Thema weiter zu befassen.

Neue Technologien im Web 2.0

Der Begriff Web 2.0 wurde einer breiteren Öffentlichkeit durch Tim O’Reillys Artikel «What is Web 2.0?» im September 2005 bekannt gemacht. Seitdem hat sich einiges auf dem Markt getan und der Begriff Web 2.0 musste für alles Neue im Internet herhalten. Grundsätzlich wird mit Web 2.0 letztlich eine veränderte Nutzung und Wahrnehmung des Internets bezeichnet. Im Vordergrund dabei steht die Interaktion, und zwar zwischen dem Betreiber einer Online-Dienstleistung und deren Nutzern sowie auch zwischen den Nutzern untereinander. Die typischen Beispiele dafür sind Wikis, Blogs, Foto- und Videoportale (etwa Flickr und Youtube), soziale Online-Netzwerke wie MySpace, Facebook oder StudiVZ sowie Social-Bookmarking-Portale wie del.icio.us oder Tauschbörsen.

  • (1) B. Reeves, T. Malone: Leadership in Games and at Work, Juni 2007
  • (2) 
Employer Branding in Deutschland, Schweiz, Österreich, 2008
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Charles Donkor ist Partner der Manres AG, einer Unternehmensberatung für Führungs-, Executive- Team- und Kulturentwicklung. Er unterstützt Verwaltungsratsgremien und Geschäftsleitungen bei der Evaluation und Weiterentwicklung ihrer Leistungsfähigkeit und Zusammenarbeit.

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