Inklusion

HR ohne Vorurteile: Wege zu einer inklusiveren Organisationskultur

«Rassistisch? Frauenfeindlich? Homophob? Ich doch nicht!». Die meisten von uns werden sich für offen und tolerant halten. Doch leider sind Vorurteile weit verbreitet – weil sie unbewusst sind. Wie man das «Schubladendenken» überlisten kann.

Stellen Sie sich vor, auf dem Schreibtisch der Person, die für das HR zuständig ist, liegen zwei Bewerbungen. Beide Bewerbenden haben ähnliche Qualifikationen und Erfahrungen, aber eine Person hat einen «ausländisch» klingenden Namen. Ohne sich dessen bewusst zu sein, greift die zuständige HR-Person zur Bewerbung mit «schweizerischen» Namen, weil sie vertraut klingt.

Dieses häufig vorkommende Beispiel verdeutlicht, wie unbewusste Vorurteile den Einstellungsprozess beeinflussen können (vgl. Fibbi & Zschirnt, 2021). Deshalb ist es im HR-Bereich notwendig, sich mit Stereotypen und unbewussten Vorurteilen (oder auch implizite Vorurteile, engl. «unconsious bias») auseinanderzusetzen.

Stereotype und Vorurteile sind weit verbreitet – und häufig unbewusst

Stereotype sind vereinfachte und relativ unbewegliche Vorstellungen über bestimmte Gruppen von Menschen. Diese Vorstellungen basieren auf allgemeinen Annahmen und nicht auf den individuellen Eigenschaften einer Person. Bei stereotypem Denken liegt der Fokus auf bestimmten (vermeintlichen) Eigenschaften oder Merkmalen einer Personengruppe und nicht auf dem Gesamtbild. Es entsteht ein einseitiges Bild von Menschen, das nicht der Realität entspricht.

Stereotype können sowohl negative als auch positive Annahmen beinhalten (vgl. Krell et. al., 2018). Zum Beispiel könnte die Annahme, dass alle jungen Menschen technikaffin sind, ein Stereotyp sein. Stereotype können zu voreiligen Schlussfolgerungen führen und die Entscheidungen von Personen beeinflussen. Sie können auch dazu führen, dass Betroffene nicht ihr volles Potenzial ausschöpfen können, weil ihnen ihre Fähigkeiten abgesprochen werden oder sie sich selbst ihre Fähigkeiten absprechen, da sie die stereotypen Annahmen verinnerlicht haben.

Vorurteile entstehen durch stereotypes Denken und sind in den meisten Fällen negativ besetzt. Sie sind oft mit den Emotionen Angst und vermeintliche Bedrohung verbunden und führen zu einer mangelnden Auseinandersetzung mit der Realität. Vorurteile äussern sich durch Herabsetzung, Ablehnung oder einer feindseligen Einstellung (vgl. Garms-Homolová, 2021).

Unbewusste Vorurteile haben wir alle. Das ist die gute und die schlechte Nachricht. Sie entstehen durch Prägung, gesellschaftliche Einflüsse und persönliche Erfahrungen und wirken oft, ohne dass wir uns dessen bewusst sind (vgl. Schach, 2023). Viele Entscheidungen laufen unbewusst ab, weil das Gehirn schnell, energiesparend und effektiv arbeiten will. So entsteht auch das sogenannte «Schubladendenken» (vgl. Krell et. al., 2018). Unbewusste Vorurteile können zum Beispiel dazu führen, dass eine Person im HR unbewusst Bewerberinnen und Bewerber bevorzugt, die ihr ähnlich sind, sei es in Bezug auf das Geschlecht, das Alter oder den sozialen Hintergrund.

Unbewusste Vorurteile schränken Mitarbeitendenpotenzial ein

Stereotype und unbewusste Vorurteile können Auswirkungen auf die Personalarbeit haben. Der Rekrutierungsprozess ist besonders anfällig. Das beginnt bei der Stellenausschreibung, wie sie formuliert ist, welche Personen sie anspricht und welche eher nicht. Wer wird zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen und wer nicht? Auf welchen Grundlagen wird diese Entscheidung getroffen?

Zum Beispiel werden häufiger Männer zu Vorstellungsgesprächen für Führungspositionen eingeladen als gleich qualifizierte Frauen (vgl. Kohler, 2024). Ohne es bewusst zu merken, werden Männern eher Qualitäten zugeschrieben, die für eine Führungsposition notwendig sind. Ein weiterer Punkt sind die Personalförderung und Gehaltserhöhungen. Auch hier können unbewusste Vorurteile einen Einfluss darauf haben, welche Mitarbeitenden gefördert werden bzw. wer eine Beförderung erhält und wer nicht. Am Beispiel der Geschlechter zeigt sich, dass es Frauen um die Dreissig schwerer haben, befördert zu werden, als gleichaltrige Männer (vgl. Kohler, 2024).

Das kann HR gegen unbewusste Vorurteile tun

Was kann gegen unbewusste Vorurteile unternommen werden, wenn diese unter Umständen gar nicht bemerkt werden? Die Erkenntnis, dass wir alle unbewusste Vorurteile haben und dadurch gewisse Entscheidungen eine bestimmte Richtung haben, ist ein guter Anfang. Es hilft auch, das eigene Verhalten zu beobachten und die eigenen Entscheidungen und Motive kritisch zu hinterfragen. Sich zu den Themen weiterzubilden ist ein weiterer Faktor, der dabei hilft, bestehende unbewusste Vorurteile zu erkennen und diese zu «verlernen».

Um gegen unbewusste Vorurteile vorzugehen und damit die Organisationskultur inklusiver zu gestalten, sollten Entscheidungsprozesse, die sich auf Mitarbeitende beziehen grundsätzlich überprüft werden. Hier einige Beispiel welche Fragen gestellt werden können, um die Prozesse zu prüfen:

Recruiting:

  • Welche Sprache wird verwendet (z.B. in Stellenausschreibungen)?
  • Wie läuft das Auswahlverfahren ab? Wer entscheidet was?
  • Gibt es Bewerbungen die «automatisch» aussortiert werden? Wenn ja, warum?

Beförderungen / Gehaltserhöhungen:

  • Wer wird von wem befördert? Auf welchen Grundlagen? Wer nicht?
  • Wer erhält eine Gehaltserhöhung? Wer nicht? Auf welchen Tatsachen beruht die Entscheidung?

 

Institut für Gender und Diversity

Das Institut für Gender und Diversity (IGD) der OST – Ostschweizer Fachhochschule bietet Trainings zu unbewussten Vorurteilen und verschiedene Workshops zum Thema inklusive Diversität und inklusive Führung an. In diesen Seminaren lernen die Teilnehmenden mehr über Stereotype, unbewusste Vorurteile und wie sie diesen begegnen können. Gemeinsam werden praktische Methoden zur Umsetzung in der eigenen Organisation erarbeitet, um eine inklusivere Organisationskultur zu schaffen, in der sich alle Mitarbeitenden einbringen und ihr Potenzial entfalten können. Mehr zu den Angeboten

 


Quellen:

Fibbi, Rosita & Zschirnt, Eva (2021): Ethnische Diskriminierung auf dem Schweizer Arbeitsmarkt.
Garms-Homolová, Vjenka (2021): Sozialpsychologie der Informationsverarbeitung über das Selbst und die Mitmenschen. Springer Verlag.
Kohler, Franziska (2024): Gender Intelligence Report – 13 Milliarden weniger Boni für Frauen: Was steckt dahinter?
Krell, Gertraude; Ortlieb, Renate; Sieben, Barbara (2018): Gender und Diversity in Organisationen, Grundlegendes zur Chancengleichheit durch Personalpolitik. Springer Gabler Wiesbaden.
Schach, Annika (2023): Diversity & Inclusion in Strategie und Kommunikation. Springer Gabler.

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Sara Juen
Text: Sara Juen

Sara Juen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Gender und Diversity der Fachhochschule OST – Ostschweizer Fachhochschule.

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