HR Today Nr. 5/2021: Remote Work – Geschichten aus dem Homeoffice

«Humor ist, wenn man trotzdem lacht»

Das Homeoffice. Für die einen das Unwort des Jahres, für die anderen ein wahrer Segen. Doch hat sich unser Alltag durch das Arbeiten in den eigenen vier Wänden verändert?

Adolph Knigge (1752 bis 1796) befasste sich in seinem berühmtestes Werk «Über den Umgang mit Menschen» mit Verhaltensregeln im Alltag. Was würde uns der deutsche Schriftsteller in der aktuellen Situation für das Arbeiten zu Hause empfehlen? Bestimmt wären Anstand und Würde zuoberst auf seiner Liste.

Respekt und Rollentausch

Vor unseren Endgeräten sitzend und in flache Bildschirme starrend, könnte der Home sapiens leicht mit seinen verwandten Artgenossen im Zoo verwechselt werden. Genauso triebhaft verhalten sich bisweilen einige Gesprächspartner. Zu Hause zu arbeiten mit sich gehenzulassen verwechselnd, führen sie sich gelegentlich auf, wie es ihnen gerade in den Kram passt. Da gilt offenbar mehr HOMEoffice als HomeOFFICE! Dabei hat sich, ausgenommen vom Arbeitsplatz, wirklich nicht viel verändert. Es sind immer noch dieselben internen wie externen Kommunikationspartner, dasselbe Produkt, dieselbe Dienstleistung. Weshalb gibt es also komödiantische Slapstick-Einlagen wie Chefs im T-Shirt und mit ungekämmtem Haar oder eine desinteressierte Zuhörerschaft? Die einfache Antwort: Es fehlt uns an Respekt. Die komplexere Variante: Wir brauchen einen Arbeitsort fernab von daheim, um uns abzugrenzen und bewusst in eine berufliche Rolle zu schlüpfen.

Sag mir, wie du isst …

Auch wenn manche Verhaltensmuster unserer Zeitgenossen unsere Geduld strapazieren, ist Humor in solchen Situationen doch oft der beste Ratgeber. Lachen ist bekanntlich gesund. Jüngst widerfuhr Franziska* ein solch nervig-komisches Erlebnis. Ihre Mitbewohnerin, eine herzensgute Mittzwanzigerin, ist nicht die leiseste Persönlichkeit. Besonders am Frühstückstisch pflegt sie beim Verspeisen ihres liebgewonnenen Müeslis gut hörbare Kaugeräusche von sich zu geben. Diese waren zuletzt so laut, dass sich Franziskas Gegenüber im virtuellen Call darüber beschwerte.

Mahlzeiten scheinen ganz allgemein ein Auslöser verschiedenster Konflikte zu sein. So bestimmt der Ehemann plötzlich das Mittagsmenü mit. Aufgrund geschlossener Restaurants ist die Kreativität der Hausköche zudem noch stärker gefordert als sonst. Zum Glück bieten Online-Rezepte oder Nachbarn wertvolle Hilfestellung, wie bei Sandra*, die ihren Vermieter im oberen Stock per elektronischer Nachricht um ein Stück Brot bat. Sie habe gerade unsäglichen Hunger.

Die Verschiebung des Lebensschwerpunkts in unser trautes Heim lässt uns die Wohnräume kreativ umgestalten. Wenn das Zuhause zum alleinigen Aufenthaltsort wird, soll es auch etwas darstellen. Galaxus, Brack & Co. wissen davon ein Lied zu singen. Es wird geshoppt, was das Zeug hält. Endlich hängt der langersehnte goldene Spiegel über dem Esstisch, die blaue imitierte Vase war ein Schnäppchen, das nigelnagelneue Bett verspricht die schönsten Träume.

Nicht immer sind solche Einkäufe aber ungefährlich. Sebastian* kam der Erwerb eines Bücherregals um ein Haar teuer zu stehen. Beim alleinigen Aufbau, der Herr ist Single, passierte es: Das gesamte Möbel inklusive Inhalt entleerte sich über seinem Kopf. Mit viel Glück blieb es bei einer Beule.

Was wir von Kindern lernen können

Die schönsten Erlebnisse zum Schmunzeln liefern Kinder und Tiere. Verzeihen Sie mir an dieser Stelle diesen Vergleich, beide vereint jedoch die sorglose Verspieltheit. Das Sprichwort «nur Kinder und Narren sagen die Wahrheit» passt perfekt zum Beispiel von Michael*, als dessen fünfjährige Tochter während eines Conference Calls lauthals vermeldete: «Papa, ich habe Kacki gemacht!» Diese ehrliche Aussage blieb bei den Teilnehmenden nicht unbemerkt. Deren Lacher führten glücklicherweise zu einer entspannteren Diskussion.

Das Homeoffice trägt mit solchen Beispielen zu mehr Menschlichkeit im Businessalltag bei. Sei es, weil der Nachwuchs den Begriff «Pitch» mit «Bitch» verwechselt oder eine Mitarbeitende Nachrichten mit Hieroglyphen an die Chefin weiterleitet, die sich daraufhin in Sorge nach ihrem Gesundheitszustand erkundigt. Auch vor der Kamera herumstreifende Katzen, Hunde und sonstige Bewohner des hauseigenen Tierparks lockern virtuelle Meetings auf.

Was sich liebt, das neckt sich

Die neugewonnene Zeit zu zweit führt vereinzelt zu romantischen Höhenflügen. Diese Achterbahnfahrten sind jedoch vor allem Frischverliebten vorbehalten. Gereifte Paare dürfen sich durch die engen Platzverhältnisse dagegen einer gegenseitig zunehmenden Gereiztheit erfreuen, denn die befristet eingerichteten Arbeitsplätze im Wohnzimmer, in der Küche oder im Keller fordern unsere planerischen Fähigkeiten. Nicht immer sind die Terminkalender perfekt aufeinander abgestimmt und die Organisation ist nicht immer vorausschauend gewährleistet. So wohnte Priska*, HR-Leiterin in einem grösseren Schweizer Konzern, neulich dem Schauspiel ihres Mannes bei, der während ihres Calls versuchte, an seine in der Wohnung verstreuten Kleider zu gelangen. Notabene nur in Unterhose bekleidet! Aus der Ferne betrachtet ein Bild zum Lachen. Sind wir jedoch persönlich betroffen, bleibt uns dieses auch mal im Hals stecken. In einer solchen Situation und im Umgang mit den individuellen Marotten unserer Beziehungspartner hilft wie immer nur eine transparente und wohlmeinende Kommunikation – und die berühmte Prise Humor.

Was ist nur mit uns passiert?

Wofür wir seit vielen Jahren gekämpft haben und immer mit den gleichen Ausreden abgefertigt wurden, war endlich da – ja, sogar ein Muss! Viele unter uns können, dürfen, sollen müssen seit einem Jahr Homeoffice praktizieren. Eine Welle der Freude und Freiheit hatte uns im Frühling 2020 erfasst. Seither ist ein Jahr vergangen. Wir sind weiser geworden und vom Homeoffice-Lehrling zum Homeoffice-Spezialisten gereift.

Ein wesentlicher Punkt betrifft die Identifikation mit einem Unternehmen, dem Team, der Aufgabe. Ohne Anwesenheit im Büro und physische Treffen mit unseren Kollegen eine komplexe Angelegenheit. Das hat auch Praktikant Marcel* erfahren, der aktuell für einen breiteren Einblick im Unternehmen zwischen drei verschiedenen Standorten des Arbeitgebers zirkuliert. Dank Covid-19 darf er die verschiedenen Geschäftsbereiche nun vom Bildschirm aus erleben. Die Sinnfrage ist in solchen Situationen durchaus gerechtfertigt, denn solche Beispiele zeigen: Der Berufsalltag droht zu einem Einheitsbrei zu verkommen und die charakteristischen Unternehmensmerkmale verkümmern.

Der Mensch ist (noch) keine Maschine

Für die Leserinnen und Leser dieses HR-Fachmagazins stellen sich neben aller Komik deshalb auch ernste Fragen: Wie rekrutieren wir in der aktuellen Situation? Wie motivieren wir die Mitarbeitenden? Wie gehen wir mit rechtlichen Situationen um? Mit der Technik können wir einen grossen Teil der HR-Aufgaben mit virtuellen Plattformen abfedern. Dies gelingt sogar besser als vermutet. Was dagegen brachliegt, sind alle nichttechnischen Komponenten. Etwa, wenn wir einer nahestehenden Person mit einem lieb gemeinten Zeichen – einem Händedruck, einem Schulterklopfen oder einer Umarmung – Mut machen wollen, wenn wir im Bewerbungsprozess herausfinden möchten, ob wir jemanden «riechen können», wenn wir uns zusammen an einen Tisch setzen und gemeinsam Lösungen erarbeiten, oder wenn wir uns einen Feierabenddrink genehmigen möchten, scheitern wir am virtuellen Bildschirm.

In diesen alltäglichen Situationen sind die Fähigkeiten gefragt, die uns zu dem machen, was wir sind: Menschen. Wollen wir uns nicht in virtuelle Roboter verwandeln, brauchen wir deshalb zwingend ein Stück von unserem physischen Berufsalltag zurück.

Und täglich grüsst das Murmeltier

Wie eingangs erwähnt, braucht der Homo sapiens die Abgrenzung von zu Hause, um seine berufliche Rolle wahrzunehmen und sich mit dem Unternehmen zu identifizieren. Gleich wichtig sind persönliche, neue Erlebnisse, denn in der aktuellen Endlosschleife erstarren wir. Was folgt, ist das Gefühl, in Watte gepackt zu sein – ein von der Politik verordneter Winterschlaf. So viele Vorteile das Homeoffice bietet und so sehr es fixer Bestandteil unserer Arbeitswelt bleiben wird, so sehr brauchen wir die physischen Impulse von aussen für Innovationen, für unsere Entwicklung und nicht zuletzt für ein Leben, das diese Bezeichnung auch verdient hat.

* Sämtliche Anekdoten sind wahrheitsgetreu wiedergegeben. Die Namen wurden vom Autor bewusst geändert.

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Bernie Tewlin ist Managing Director der da professionals ag.

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