IBM streicht Hunderte HR-Stellen – wegen KI
Warum der globale Tech-Konzern IBM seine HR-Abteilung zur Ader lässt – und was das für die Zukunft und das Rollenverständnis des HR bedeutet. Stichwort: «Identitätskrise».

Die Entlassungen bei IBM sind Vorboten einer HR-Identitätskrise. (Bild: ChatGPT)
«Mit agentischer KI das ‹Menschliche› zurück ins HR bringen.»
So kündigt das Tech-Unternehmen den Release seiner bevorstehenden KI-Agenten an – also von künstlicher Intelligenz (KI), die selbstständig Aufgaben ausführt.
«Heute wird viel kostbare Zeit für repetitive HR-Aufgaben verschwendet», heisst es auf der Produkt-Website weiter. Und: «Befreien Sie Ihre Angestellten und HR Professionals von repetitiven Aufgaben».
Es ist eine der Floskeln, auf die man allenthalben trifft, wenn es um den richtigen Einsatz von KI geht – ob in Artikeln, LinkedIn-Posts von KI-Consultants oder schlicht ganz banal im Alltag. Nicht Menschen ersetzen, um Profit zu generieren, sondern ihnen mittels KI die Chance geben, sich auf wesentliche Aufgaben zu konzentrieren und die sisyphoshafte Mühsal der Wiederholung hinter sich zu lassen.
Doch das «Menschliche» geht, die Maschine kommt: Hunderte HR-Professionals bei IBM sind ihren Job los.
Bereits jetzt führe AskHR, die hauseigene Lösung für agentische KI, im Unternehmen satte 94 Prozent aller HR-Routineaufgaben aus, bis hin zu Lohnabrechnungen, sagte IBM CTO Ji-eun Lee bereits im April. Nicht nur im HR, sondern in über 70 Geschäftsbereichen. Das mit Erfolg: Insgesamt habe der Einsatz agentischer KI seit 2022 zu 3,5 Milliarden Dollar Profit geführt, so Lee.
Die Nachricht über das Streichen Hunderter Stellen in IBMs HR-Abteilungen kam Anfang Mai direkt von CEO Arvind Krishna im Rahmen der jährlichen IBM-Konferenz «Think» in Boston, wie das «Wall Street Journal» berichtete.
Zwar beschäftigt IBM global über 270'000 Angestellte, Hunderte HR-Angestellte zu entlassen, dürfte aber dennoch ein bedeutsamer Schritt sein, denn ein altes Pi-mal-Daumen-Prinzip besagt immerhin, auf eine HR-Person sollten ungefähr 100 Angestellte kommen. Dies natürlich im Kontext grosser Firmen – und mit anderen Ausnahmen.
Der Tech-Gigant betont jedoch, dass trotz des Einsatzes von KI der Firmen-Headcount gestiegen sei. Die Stellen, die im HR verloren gingen, seien, so IBM, dafür im Verkauf und bei der Softwareentwicklung dazu gekommen.
HR-Abteilungen stehen unter enormem Produktivitätsdruck
«Ist das das Ende von HR, wie wir es kennen?», fragt LinkedIn-Influencer und HR-Branchen-Insider Josh Bersin im April in einem Blog-Artikel nach dutzenden Gesprächen mit hochdotierten Firmen. Er schreibt, HR-Abteilungen stünden bereits jetzt unter starkem Produktivitätsdruck: «Beeilt euch und macht ein paar Produktivitätsprojekte», sei das Messaging, das aus den C-Level-Etagen komme.
Dass es in HR-Abteilungen kein Optimierungspotenzial gebe, möchte Bersin mit seinem saloppen Kommentar aber nicht behaupten: «KI kann dank ihrer erstaunlichen Fähigkeiten zur Datenintegration und -generierung wahrscheinlich 50 bis 75 Prozent der Aufgaben übernehmen, die wir aktuell im HR-Bereich erledigen», sagt Bersin.
Das verdeutlicht, dass weder die Sichtweise korrekt ist, dass KI keine Stellen kosten wird, noch, dass sie alle Stellen kosten wird, sondern, dass die Realität komplexer ist. Der technologische Wandel, angetrieben vom ökonomischen Druck, führt in seiner Logik eher dazu, dass sich manche Aufgabenprofile verschieben und manche ganz verschwinden – während das, wie im Falle von IBM, mit mehr Einstellungen einhergeht.
Gleichzeitig sei hier aber der Kontext erwähnt: Die Stellen, die IBM im Verkauf und bei der Softwareentwicklung geschaffen hat, sind ebenfalls in Gefahr, glaubt man diversen Branchenkoryphäen wie etwa Metas Mark Zuckerberg, der die Anzahl von Softwareingenieuren zugunsten von agentischer KI reduzieren will.
«HR steht vor einer echten Identitätskrise»
– Josh Bersin, Branchenanalyst
«HR steht, wie andere Funktionsbereiche in unseren Unternehmen auch, vor einer echten Identitätskrise», resümiert Bersin. Denn: Was ist überhaupt die Aufgabe von HR, wenn die Hälfte der Aufgaben – oder mehr – wegfällt? Braucht es das HR in dieser Form überhaupt noch? Was bleibt am Ende?
Das sind Fragen, die aufgrund der rasanten Entwicklung – mit Blick auf die Erreichung gewisser Benchmarks sprechen manche Fachleute von einer «exponentiellen Eskalation», also einer Entwicklung, die immer schneller und schneller wird – nur schwer zu beantworten sind. Was heute noch als Best Practice gilt, kann insbesondere im Falle von KI morgen schon überholt sein, denn von KI angetriebene HR-Tools spriessen wie Pilze aus dem Boden und vielen Leuten ist noch gar nicht bewusst, was KI-Tools bereits jetzt für Aufgaben zu bewältigen vermögen.
Ob der vielbeschworene «menschliche Faktor» im HR tatsächlich den technologischen Wandel – als mehr als Firmenrhetorik – überleben kann, ist bestenfalls fraglich. In einer unternehmerischen Welt, in der meist harte Zahlen die Agenda bestimmen, bleibt der irreduzible «menschliche Faktor» meist unberücksichtigt. Die Anreize kippen einseitig. Das macht der aktuelle Fall bei IBM deutlich.