Basel Economic Forum 2017

«Ich kann den Kassierer nicht zum Programmierer ausbilden»

Online Einkauf und Self-Checkout im Supermarkt: Manche Veränderungen im Detailhandel fallen sofort ins Auge. Was es aber heisst, wenn Personalfachleute, Sachbearbeiter und sogar Juristen und Ärzte durch Computer ersetzt werden, sehen wir von aussen nicht. Die HR-Chefin von Coop, Nadine Gembler, darüber, wie die Digitalisierung personalintensive Branchen trifft und wie sie mit den Veränderungen umgeht.

Frau Gembler, welche Veränderungen in der Arbeitswelt beobachten Sie aktuell?

Nadine Gembler: Die Veränderungen in der Dienstleistungsbranche, wie wir sie beispielsweise mit Airbnb und booking.com im Tourismus oder mit Uber und den selbstfahrenden Postautos im Transport-Business erleben, sind wohl für alle offensichtlich. Auch die Transformationen im Detailhandel sind durch den online Einkauf und die Self-Checkout-Kassen augenfällig. Dabei arbeiten in den Verkaufsstellen mit Self-Checkout-Kassen seit deren Einführung gar nicht weniger Mitarbeitende.

Aber was es für den Arbeitsmarkt genau heisst, wenn Mitarbeitende im Backoffice wie Personalfachleute, Sachbearbeiter im Kundendienst aber auch hochqualifizierte Arbeitskräfte wie Juristen und Ärzte durch Computer wie Watson teilweise oder vollständig ersetzt werden können, ist von aussen noch nicht zu beobachten, obwohl diese Transformationsprozesse auch schon im Gang sind.

Einerseits werden in Zukunft auch gut qualifizierte Stellen wegfallen, andererseits werden wir auch künftig unter einem Fachkräftemangel leiden. Dieses Spannungsfeld ist eine grosse Herausforderung, da niemand so genau weiss, welche Aufgaben es künftig noch braucht und welche nicht. Ich lese jeden Tag neue Artikel, die erörtern, wer in diesem Change zu den Verlierern und wer zu den Gewinnern gehört.

Wie gehen Sie mit diesen Veränderungen um?

Ich denke, wir sollten uns nicht primär damit beschäftigen, welche Berufe und Funktionen es in Zukunft geben wird, sondern welche übergreifenden Kompetenzen gefragt sein werden. Wenn wir diese kennen, können wir dem Wandel heute schon besser begegnen, als wenn wir verzweifelt versuchen Szenarien von künftig möglichen Berufsbildern zu kreieren, die enorm schwer abschätzbar sind.

Die von Ihnen moderierte Breakout-Session «Detailhandel» geht den Folgen von «Digitalisierung in personalintensiven Bereichen» nach. Wie trifft die Digitalisierung personalintensive Bereiche?

Je mehr Mitarbeitende ein Unternehmen hat, umso grösser sind die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Angestellten und somit auf den gesamten Arbeitsmarkt in der Schweiz. Der Schweizer Detailhandel beschäftigt 350 000 Personen und bietet jede achte Lehrstelle an. Wenn es hier zu grossen Veränderungen kommt, wird das für alle spürbar sein.

Personalintensive Branchen sind oft mit einem hohen Anteil an nicht oder eher schwach ausgebildetem Personal verknüpft. Wir werden uns in der Breakout-Session die Frage stellen, wie wir insbesondere diese Mitarbeitergruppe im Veränderungsprozess begleiten können. Ist es überhaupt möglich, mit der Förderung von Erst- oder Zweitausbildungen für Erwachsene, wie sie nun auch der Bund propagiert, das Problem zu lösen? Und wie gehen wir damit um, dass wir ja selbst alle nur erahnen können, in welche Richtung die Reise geht?

Schätzungen zu Folge sind 60 Prozent der Berufe, die es in 20 Jahren gibt, heute noch gar nicht bekannt. Damit verbunden ist auch die Frage, ob hier wirklich die 4. Industrielle Revolution in Form einer riesigen Welle auf uns zukommt. Man kann auch der Meinung sein, dass Berufe sich schon immer verändert haben und es sich hier um einen fliessenden Prozess handelt, der völlig zu Unrecht dramatisiert wird.

Wie gehen Sie bei Coop mit dem Thema Digitalisierung um?

Ausbildung ist ein Schlüsselbegriff. Wir investieren heute schon etwa 45 Mio. Schweizer Franken pro Jahr in die Aus- und Weiterbildung unserer Mitarbeitenden. Sie hat aber ihre Grenzen.

Auch mit einer noch so guten Ausbildung werde ich den Kassierer nicht zum Programmierer ausbilden können, der die Self-Checkout-Kasse entwickelt. Also muss ich schauen, ob wir den Kassierer für eine Aufgabe vorbereiten können, welche für ihn in Reichweite ist und welche wir auch mittel- bis langfristig weiterhin oder vermehrt benötigen.

Das Thema des Basel Economic Forum (BEF) 2017 ist «Veränderungen in der Arbeitswelt». Was erwarten Sie von diesem Thema?

Ich finde es interessant, dass das Basel Economic Forum 2017 den Technologiewandel in Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Wandel stellt, denn die Digitalisierung ist ja keine rein technologische Entwicklung. Es geht hier um einen umfassenden Transformationsprozess, der die ganze Gesellschaft betrifft, die sich wiederum selbst mit der demographischen aber auch gesetzlichen und politischen Entwicklung in einem starken Veränderungsprozess befindet.

Am BEF werden Sie ein Referat halten zum Thema Detailhandel. Worum wird es darin konkret gehen?

Ich werde aufzeigen, von welchen Veränderungen der Detailhandel heute schon betroffen ist, welche uns erwarten und wie wir versuchen, uns darauf vorzubereiten. Mir geht es insbesondere darum, die Mitarbeiterentwicklung nicht nur unter dem Blickpunkt des Fachwissens zu beleuchten, sondern vor allem zu erläutern, welche Kompetenzen uns neben den Fachkenntnissen helfen können, fit für die Zukunft zu sein.

Die Digitalisierung, die alternde Gesellschaft und der Fachkräftemangel sind ja nicht nur Herausforderungen, welche die Entwicklung jedes Einzelnen betreffen. Hier geht es vor allem auch darum, wie wir unsere Mitarbeitenden künftig führen oder begleiten wollen und wie wir als Unternehmung dazu künftig organisiert sind.

Basel Economic Forum, 17. November 2017

Das Basel Economic Forum (BEF) ist das Wirtschaftsforum für die trinationale Metropolitanregion Basel und die Nordwestschweiz.

Hochkarätige Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik liefern mit ihren Referaten Denkanstösse und Lösungsvorschläge, welche in Podiums- und Plenumsdiskussionen diskutiert werden. Breakout Sessions fördern der Austausch von Erfahrung und Ideen.

 

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