Sucht am Arbeitsplatz

Im Rausch bei der Arbeit

Wenn der Verdacht aufkommt, ein Mitarbeiter konsumiere Drogen oder habe seinen Alkoholkonsum nicht im Griff, 
ist rasches Handeln gefragt. Denn die Erfahrung von 
Experten zeigt: Oft nützt Abwarten nichts. Auch eine gewisse Verhandlungshärte hilft – eine Gratwanderung.

Es gibt angenehme Themen, die HR-Experten mit Mitarbeitern besprechen müssen, und es gibt unangenehme. Und dann gibt es noch die Gespräche, die man am liebsten gar nicht führt. Einen Mitarbeiter auf ein Suchtproblem anzusprechen, zum Beispiel. Ein heikles Unterfangen, denn meist besteht nur ein Verdacht, indirekt wirkt fast jede noch so sorgfältig gewählte Formulierung wie ein Vorwurf, und das Thema greift in die Privatsphäre des Betroffenen ein.

Verständlich also, dass sich viele Personalverantwortliche lange abwartend verhalten. Trotz Signalen, dass etwas nicht stimmt. Doch damit machen sie die Sache fast immer nur schlimmer, wie Ruedi Rüegsegger, Arbeitspsychologe bei der Suva und Berater für Suchtfragen am Arbeitsplatz, sagt: «In der Zeit, in der das Problem nicht angesprochen wird, verstärkt es sich meist.» Rüegsegger kennt traurige Schicksale. Personen, die sich über Jahre in einer Zickzack-Bewegung in Firmen halten konnten: In nüchternen Momenten wollen die Betroffenen ihre Probleme in den Griff kriegen, sie bessern sich, geben sich Mühe, arbeiten an sich. Bis zu einer Phase, in der es zum Rückfall kommt, der vieles noch schlimmer macht. Das Verlangen nach dem Suchtmittel, nach der Wirkung, die es auslöst, ist grösser.

Nervenzellen im Kommunikationsrausch

Was Rauschmittel bewirken, ist ein wahrer Freudentanz im Hirn. Alkohol, Cannabis, Kokain und andere Drogen wirken direkt auf die so genannten Botenstoffsysteme, die für die Kommunikation zwischen den Nervenzellen verantwortlich sind. Dabei werden Botenstoffe, unter ihnen auch Dopamin und Serotonin, verstärkt ausgeschüttet. Das vor allem im Belohnungszentrum unseres Kopfes.

Trotzdem, und das ist die gute Nachricht: Wirklich abhängig von den Stoffen wird der kleinere Teil der Konsumierenden. «Beim Kokain rutschen rund 15 Prozent der Konsumenten in eine Abhängigkeit, beim Alkohol ungefähr 10 Prozent, bei Stoffen wie Ecstasy oder Speed sind die Zahlen noch tiefer. Bei Nikotin hingegen sind es rund 30 Prozent», sagt Boris Quednow. Der Psychologe untersucht an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Zürich in einer Langzeitstudie, was sich bei einer Sucht im Gehirn verändert und warum gewisse Menschen abhängig werden und andere nicht. Noch liegen die Antworten nicht vor, doch Quednow geht davon aus, dass nicht alle Menschen gleich anfällig für Suchterkrankungen sind.

Die schlechte Nachricht: Sind Personen einmal abhängig, ist es oft sehr schwierig, von der Droge wegzukommen. Selbst dann, wenn eine lange Abstinenz geschafft ist, wie Quednow sagt: «Suchtmittel wie beispielsweise Kokain werden stark mit der Umwelt assoziiert. Wenn sich ein ehemaliger Kokainkonsument wieder in einem entsprechenden Milieu aufhält, wird das Verlangen nach der Droge reaktiviert.» Kokain wirkt zwischen 20 und 60 Minuten lang, in denen der Kampfmodus des Neandertaler-Menschen ins Rollen kommt: Chemisch laufen die gleichen Prozesse ab wie bei einer akuten Gefahr, der unsere Vorfahren entweder mit Flucht oder mit Kampf begegnet sind. Gefühle wie Schmerz, Müdigkeit oder Hunger werden ausgeschaltet, das Selbstvertrauen steigt, die Aggressionsschwelle wird tiefer gesetzt.

Doch nach dem Hoch folgt das Tief. Und das fühlt sich deutlich unangenehmer an. «Beim Crash sinkt die Stimmung, die kognitiven Funktionen nehmen deutlich ab, das Selbstvertrauen fällt in sich zusammen und es kommt zu depressiven Verstimmungen», sagt Boris Quednow. Nach dem Kokainkonsum daure diese Phase mehrere Stunden oder Tage. Bei Alkohol und anderen Drogen kann es länger gehen, und die körperlichen Entzugserscheinungen können stärker sein.

Daher kann auch ein Rauschgiftkonsum am Wochenende die Arbeitsleistung unter der Woche beeinflussen. Doch selbst kurz nach dem Konsum ist die Wirkung von Stimulanzien wie Kokain, Ritalin oder Speed nicht bei allen gleich. Quednow: «Man hat festgestellt, dass sich die Arbeitsleistung von Personen, die im Normalzustand eine eher schlechte Leistung erbringen oder die übermüdet sind, besser werden. Bei leistungsstarken oder ausgeschlafenen Personen hingegen wirken sich die Drogen eher negativ auf die Arbeitsleistung aus.»

Obwohl die Leistung bei manchen Mitarbeitern durch Drogen gesteigert werden kann, ist es riskant für Unternehmen, wenn Mitarbeiter Stimulanzien konsumieren. Erstens würden unternehmensrelevante Entscheidungen in schlechter Qualität getroffen, zweitens fallen süchtige Personen langfristig immer öfter aus. «Unter Kokain erhöht sich das Risiko für Herz- und Hirninfarkte sowie Embolien um das 20fache, kommt noch Alkohol hinzu, steigt die Wahrscheinlichkeit sogar um das 40fache», so Quednow. Trotz dieser Zahlen ist der Konsum von Kokain in den vergangenen zehn Jahren in Europa angestiegen. Das legt nahe, dass die Gesamtneigung, Drogen zu konsumieren, ebenfalls angestiegen ist. Dazu liegen jedoch keine Zahlen vor. «Fest steht, dass in der Schweiz Kokain nach Cannabis, bei dem übrigens ein Drittel der hiesigen Bevölkerung angibt, es mindestens einmal im Leben ausprobiert zu haben, die am zweithäufigsten konsumierte Droge ist.» Wahrscheinlicher als ein genereller Anstieg des Rauschmittelkonsums ist eine Verdrängung innerhalb der Suchtmittel selbst. Heroin zum Beispiel ist stark rückläufig, laut Quednow gibt es kaum Neueinsteiger. Ist Kokain also die Droge der Stunde? «Die Bezeichnung als Kapitalismus-Droge ist berechtigt. Als oral-narzisstische Droge, die dem Bedürfnis nach Konsum und ‹immer mehr haben wollen› entspricht, passt sie in die Zeit unseres Wirtschaftssystems.»

Gerade die Wirtschaft aber, und insbesondere Unternehmen, die mit grossen finanziellen Risiken hantieren, sollten nach Quednow wegen der erklärten Wirkung sehr darauf bedacht sein, dass ihre Angestellten kein Kokain konsumieren – weder bei der Arbeit noch in grösseren Mengen in ihrer Freizeit. Doch wie lässt sich das prüfen?

Erste Massnahmen bei einem Verdacht

Wichtig ist es, dem Betroffenen eine «ernste Chance» zu geben, wie Ruedi Rüegsegger von der Suva sagt.

  1. Bei einem ersten Gespräch wird ausgedrückt, dass eine Veränderung im Verhalten beobachtet wurde. Es wird Hilfe angeboten, indem entsprechende Beratungsstellen genannt werden. Gleichzeitig wird auf das Rauschmittel-Reglement des Unternehmens oder die erwartete Haltung eingegangen.
  2. Wenn sich die Situation nach zwei, drei Monaten verbessert hat, wird dem Betroffenen gedankt. Wenn nicht, kommt es zu einem zweiten Gespräch, dieses Mal mit einem nächsthöheren Vorgesetzten. Der Druck wird erhöht, indem schriftliche Regeln vereinbart werden.
  3. Tritt auch nach weiteren zwei Monaten keine Besserung ein, wird die Kündigungsandrohung ausgesprochen.

www.suva.ch - Prävention - Arbeit - Gefahren - waswo

Eingriff in Persönlichkeitsrechte

Bei einem Verdachtsfall können dem Betroffenen Atemluftkontrollen, Blut- oder Urintests vorgeschlagen werden, es kann aber niemand dazu gezwungen werden. Ruedi Rüegsegger von der Suva erklärt: «Will ein Arbeitgeber Stichproben machen, muss dies in einem Betriebsreglement, welches als Teil eines Arbeitsvertrages von den Vertragspartnern unterschrieben wird, festgehalten sein.» Solche Proben werden in der Schweiz als starker Eingriff in die Persönlichkeitsrechte empfunden, es gelte darum, Zurückhaltung zu üben. Zudem seien vor allem Urinproben sehr fälschungsanfällig. Ein Alkoholtest ist deshalb fraglich, weil es keine definierte Promille-Grenze für den Arbeitsplatz gibt. «Es hängt stark von der körperlichen Beschaffenheit des Trinkers, von der Art der Arbeit und des Alkohols ab, ob beispielsweise ein Glas drin liegt oder nicht.»

Fällt einem Arbeitgeber ein Mitarbeiter auf, der angetrunken oder berauscht zur Arbeit kommt, ist es seine Pflicht, abzuklären, ob der Betreffende die Arbeit trotzdem ohne erhöhte Gefährdung erledigen kann. Gemäss Artikel 82 des Unfallversicherungsgesetzes (UVG) hat ein Chef, der einen Mitarbeiter wissentlich berauscht arbeiten lässt, nicht alle notwendigen Unfallverhütungsmassnahmen getroffen. Der Arbeitnehmer nimmt seine Pflicht nicht wahr  und verstösst gegen Artikel 11 der Verordnung über die Unfallverhütung (VUV).

Hilfe anbieten, Druck aufbauen

Was ist also bei einem Verdachtsfall zu tun? «Streitet der Arbeitnehmer eine Beeinträchtigung ab und erklärt sich nicht bereit, sich einem Test zu unterziehen, muss der Chef sich für den sicheren Weg entscheiden und den Mitarbeiter nach Hause schicken oder ihm eine ungefährliche Tätigkeit überlassen», heisst es in einer Suva-Broschüre zum Thema Suchtmittel am Arbeitsplatz.

Ein solcher Vorfall darf jedoch nicht unter den Tisch gekehrt werden. «Wenn es zu Auffälligkeiten kommt, sucht man am besten so schnell wie möglich das Gespräch», sagt Rüegsegger. Dabei müsse zweigleisig gefahren werden: erstens Hilfe anbieten, zweitens aber auch einen gewissen Druck aufbauen (siehe Kasten Seite 35). Dazu hat der Arbeitgeber laut Rüegsegger klar das Recht, selbst wenn der Konsum des Rauschmittels am Wochenende oder am Feierabend erfolgt ist. Denn neben der Arbeitssicherheit, für welche die Arbeitgeber zuständig sind, haben sie das Anrecht auf anständige Leistung von ihren Mitarbeitern.

Diese kann nach einem feuchtfröhlichen Abend ganz schön beeinträchtigt sein. Laut Sucht Schweiz liegt die Blutalkoholkonzentration am Montagmorgen um sechs Uhr immer noch bei 1 Promille, wenn sie Sonntagnachts um Mitternacht bei 1,6 Promille lag. «Schätzungen zufolge erbringen Menschen mit einem Alkoholproblem im Schnitt nur 75 Prozent ihrer Leistung in Unternehmen», sagt Karin Luks, Beraterin bei Sucht Schweiz. Glaubt man den Hochrechnungen, wonach 3 bis 5 Prozent der Schweizer Bevölkerung einen problematischen Umgang mit Alkohol haben und rund 250 000 Personen alkoholabhängig sind, entsteht so ein grosser Schaden für die Wirtschaft. «Wir haben keine konkreten Zahlen zu den einzelnen Rauschmitteln, aber viele Anfragen gehen bei uns nach wie vor wegen Alkohol ein. Amphetamine, Ritalin und Kokain werden konsumiert, das Thema wird in den Medien aber auch sehr stark aufgenommen», sagt Luks. Über diese Medienpräsenz ist sie nicht nur glücklich. «Möglicherweise kommen so manche erst auf die Idee, diese Stoffe auszuprobieren.»

Die sinnvolle Prävention

Bleibt die Frage einer sinnvollen Prävention. Für Luks ist klar: Zwar ist viel passiert in den Betrieben, um das Thema Alkohol zu enttabuisieren, trotzdem gibt es noch Lücken. «Wenn an Apéros Alkohol ausgeschenkt wird, wird ausgeblendet, dass es Personen gibt, für welche diese Versuchung nicht unproblematisch ist. Es wird suggeriert: Bei uns haben sich alle im Griff.» Unternehmen sollten nach Möglichkeit ein betriebliches Präventionsprogramm haben und über Richtlinien zum Umgang mit Alkohol und anderen Suchtmitteln verfügen. Wichtig findet Luks zudem gesunde Arbeitsbedingungen und eine gute Kommunikationskultur, «damit Probleme angesprochen werden können».
In dieses Horn bläst auch Boris Quednow. Er fordert mehr Aufklärungsarbeit. «Es braucht Drogenerziehung in den Schulen und interne Fortbildungen für Führungskräfte und Mitarbeiter in den Unternehmen.» Der Kokainkonsum werde beispielsweise noch in vielen Unternehmen schlicht verdrängt.

Ruedi Rüegsegger wünscht sich ebenfalls mehr Schulungen für Vorgesetzte und Mitarbeiter. Ein klares Reglement könne viel zur Prävention beitragen, sagt er. Sowie eine alkoholfreie Kantine, Sensibilisierungsaktionen und «hin und wieder ein alkoholfreier Apéro».

Links

Informationen, Ansprechpartner und nützliche Hinweise wie zum Beispiel Videos, in denen schwierige Gesprächssituationen nachgespielt werden, finden Sie unter:

www.suchtschweiz.ch
www.alkoholamarbeitsplatz.ch

 

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