Hoher Druck und Selbstzweifel

Imposter Syndrome: Das Dilemma der Besten

Eine neue medizinische Studie beleuchtet das Imposter Syndrome bei Ärztinnen und Ärzten und dessen Verbindung zu Burnout. Besonders betroffen: junge High-Achiever,
die trotz Anerkennung von Selbstzweifeln geplagt werden.
Wie kann HR diese verborgene Krise angehen?

Fallbeispiel Coaching: Eine erfolgreiche, hoch gewissenhafte junge Ärztin mit Forschungsstipendium berichtete von ihrer Angst, im Mitarbeitergespräch gekündigt zu werden, da sie sich inkompetent fühlt. Obwohl sie stattdessen unerwartet befördert wurde, zweifelt sie weiterhin an sich.

Inzwischen ist gut dokumentiert, dass Ärztinnen und Ärzte hohe Burnout-Raten und starken beruflichen Stress aufweisen. Viele leiden an mangelndem Selbstwertgefühl mit selbstkritischen und perfektionistischen Einstellungen. Dieses systemimmanente Problem wird durch professionelle Normen der Medizinkultur wie Opferbereitschaft und Verausgabungsneigung bis hin zur Vernachlässigung der eigenen Gesundheit begünstigt.

Das 1978 erstmals erwähnte Imposter-Phänomen bzw, Imposter Syndrome beschreibt das psychologische Phänomen, dass objektiv kompetente Personen an massiven Selbstzweifeln leiden. Nicht selten handelt es sich dabei um High-Achiever, die insgeheim davon überzeugt sind, dass ihr Erfolg nicht auf eigenen Fähigkeiten und Anstrengungen basiert, sondern zufällig, unverdient oder sogar erschlichen ist.

Verbreitung und Intensität des Selbstzweifels

Eine Querschnittstudie mit über 3000 Teilnehmenden untersuchte das Imposter Syndrome bei US-amerikanischen Ärztinnen und Ärzten mithilfe eines etablierten Fragebogeninstruments zur Selbsteinschätzung. Daraus resultierte ein vierstufiger Schweregrad-Score (mild, moderat, häufig, intensiv). Es zeigte sich, dass fast ein Viertel der Ärztinnen und Ärzte (23 Prozent) häufig oder sogar intensiv am IP leidet.

Frauen und Jüngere waren stärker betroffen, ebenso Mitarbeitende in bestimmten Fachgebieten oder akademischem Umfeld. Arbeitnehmende anderer Branchen, die als Vergleichsgruppe fungierten, zeigten weniger häufig ein Imposter Syndrome. Gemäss der Studie stellt das IP einen unabhängigen Risikofaktor für Burnout (beziehungsweise emotionale Erschöpfung, Depersonalisation, Suizidgedanken) dar.

HR-Strategien gegen das Burnout-Risiko

Welche Schlussfolgerungen können für das HR aus diesen Erkenntnissen gezogen werden? Auch High-Achiever können mit dem Imposter Syndrome einen versteckten Risikofaktor für Burnout aufweisen, wobei Ausbildungs- und Übergangszeiten wie zum Beispiel Rotationen zwischen Abteilungen, eine besonders vulnerable Phase darzustellen scheinen. Auch wenn das IP insgesamt mit zunehmender Berufserfahrung abnimmt, entwickeln sich die damit verbundenen Einstellungen und Gewohnheiten schon früh in der Karriere und können länger anhalten, sodass rechtzeitige Massnahmen sinnvoll sind.

Um negative Folgen dieses Phänomens wie berufliche Unzufriedenheit und Leistungsminderung bis hin zu Arbeitsunfähigkeit oder gar Berufsausstieg zu vermeiden, benötigen auch hochqualifizierte, scheinbar belastbare Mitarbeitende in Zeiten des Fachkräftemangels besondere Aufmerksamkeit. HR-Personen können das Thema Imposter Syndrome behutsam adressieren und zum Beispiel proaktiv durch regelmässiges wertschätzendes Feedback positiv beeinflussen.

Da eine perfektionistische Arbeitskultur mit teilweise unrealistischen Ansprüchen an die eigene Leistungsfähigkeit und ein Umfeld hochkarätiger Peers einen fatalen Nährboden für das Imposter Syndrome darstellen könnten, sind Massnahmen auf verschiedenen Ebenen erforderlich. Es scheint sinnvoll, eine Exzellenz- statt Perfektionismuskultur zu etablieren, Rollenbilder anzupassen und ein «growth mindset» zu fördern. Neben optimalen Aus- und Weiterbildungsbedingungen können interkollegiale Gesprächsangebote, Austausch mit Role Models und frühzeitige individuelle Trainings von Skills in diesem Prozess nützlich sein. Hier spielt das HR eine wichtige Rolle.


Quelle:

Shanafelt TD et al., «Imposter Phenomenon in US Physicians Relative to the US Working Population», Mayo Clin Proc., November 2022; 97(11): 1981-1993. doi.org/10.1016/j.mayocp.2022.06.021

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Sabine Werner

Sabine Werner ist Fachärztin für Dermatologie FMH, Mitglied des Leitungsaus­schusses von ReMed (Unterstützungsnetzwerk für Ärzte in Krisensituationen), Referentin im Karriereförderungsprogramm Aiming Higher für Assistenzärztinnen und Mitgründerin einer Beratungsfirma. Sie ist Coach für Ärztinnen und Ärzte und Trainerin mit Fokus auf die Themen Persönlichkeit, Resilienz und Karriere.

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