Arbeit und Recht

Ist die Berufung auf Normalarbeitszeit gemäss GAV nach 
jahrelangem Dulden einer Abweichung rechtsmissbräuchlich?

Urteil des Bundesgerichts vom 18. September 2013 (4A_194/2013, ausserdem praktisch identisch begründete Entscheide gegen dieselbe Arbeitgeberin in 4A_196/2013, 4A_198/2013, 4A_200/2013, 4A_202/2013 und 4A_204/ 2013).

Das Urteil

Der Kläger arbeitete seit April 1980 bei der Arbeitgeberin. Die Arbeitgeberin schlug im Juli 2010 ihren Grenzgängern, wozu auch der Kläger gehörte, infolge des schwachen Eurokurses eine Lohnreduktion vor. Der Kläger lehnte dies ab, worauf ihm die Arbeitgeberin kündigte. 
Im anschliessenden Gerichtsverfahren machte er 38 000 Franken wegen missbräuchlicher Kündigung und 24 000 Franken als Entschädigung für geleistete Überstunden geltend.

Nachdem der Arbeitnehmer vor dem Bezirksgericht Arlesheim in beiden Punkten obsiegte, legte die Arbeitgeberin Berufung ein. Das Kantonsgericht Basel-Landschaft wies die Überstundenentschädigung ab. Vor Bundesgericht war schliesslich einzig noch streitig, ob die Überstundenentschädigung gerechtfertigt sei oder nicht. Im Betrieb besagter Arbeitgeberin wurden seit 1999 41 Stunden pro Woche gearbeitet. Die 41-Stunden-Woche wurde zwischen der Geschäftsleitung und der Arbeitnehmervertretung jeweils jährlich vereinbart und war auch im Arbeits- und Gleitzeitreglement der Arbeitgeberin vorgesehen. Gemäss dem seit 2006 anwendbaren Gesamtarbeitsvertrag gilt jedoch eine 40-Stunden-Woche. Im GAV ist eine auf 24 Monate befristete Ausnahmeregelung für die Abweichung von der jährlichen Normalarbeitszeit vorgesehen. Darüber hinaus hätte die Zustimmung der Verbände eingeholt werden müssen. Dies wurde vorliegend aber nicht gemacht.

Das Bundesgericht entschied deshalb, dass die Vereinbarung zwischen der Arbeitgeberin und der Arbeitnehmervertretung nicht gültig sei. Die Arbeitgeberin wandte dagegen ein, dass die Geltendmachung der Überstundenentschädigung rechtsmissbräuchlich sei. Immerhin sei den Arbeitnehmern die Abweichung zum GAV bekannt gewesen und sie hatten über Jahre hinweg 41 Stunden pro Woche gearbeitet, ohne je dagegen protestiert zu haben. Hätte die Arbeitgeberin gewusst, dass diese zusätzliche Stunde als Überstunde gelte, wäre sie aus dem GAV ausgetreten. Durch das Zuwarten der Arbeitnehmer sei ihr ein Nachteil entstanden. Das Bundesgericht sah es allerdings nicht als stichhaltig begründet an, dass die Arbeitgeberin tatsächlich aus dem GAV ausgetreten wäre, da ein GAV als Gesamtpaket immer Vor- und Nachteile mit sich bringt. Das Gericht hielt der Arbeitgeberin entgegen, dass sie jederzeit das Verfahren nach GAV einleiten und sich die abweichende Normalarbeitszeit von den Verbänden hätte genehmigen lassen können. Die Überstundenentschädigung wurde dem Kläger deshalb vor Bundesgericht zugesprochen.

Konsequenz für die Praxis

Der blosse Umstand, dass der Arbeitnehmer einen Zustand jahrelang duldet und Ansprüche erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend macht, scheint aus Sicht des Arbeitgebers zwar oft unfair, begründet aber alleine keinen Rechtsmissbrauch. Gemäss der ständigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann vom Arbeitnehmer nicht verlangt werden, dass er eine rechtswidrige Situation erkenne und sich dagegen auch noch zur Wehr setze.

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Yvonne Dharshing-Elser arbeitet als Anwältin in der Steuer- und Rechtsabteilung der OBT AG in Zürich. Sie berät vorwiegend KMU in Fragen des Arbeits-, Vertrags- und Gesellschaftsrechts.

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