Generationen

Junge wollen eine Chill-Zone, Ältere Tageslicht

Die Büros der Zukunft erinnern eher an Lounge-
Zonen in Szenebars als an ergonomisch eingerichtete Arbeitsplätze. Klar, kann man sich darin junge, technikbegeisterte Mitarbeiter besser vorstellen 
als graumelierte, erfahrene Arbeitskräfte. Doch das 
Bild entspricht nicht der Realität – mit dem 
demografischen Wandel wird die Belegschaft älter, 
nicht jünger. Wichtig also, dass sich in Büros Jung und Alt wohlfühlen.

Die Diskussion um das innovative und motivierende zukunftsfähige Büro wird getragen von der Vorstellung, dass nur junge, sehr technikaffine Menschen, die sogenannten Generations X, Y und Z, diese Büros bevölkern. Wir erfreuen uns an bunten Bildern von Unternehmen wie Google und Microsoft, in denen meist junge Menschen in ansprechendem und wohnlichem Ambiente, das iPad auf dem Schoss, ihrer Arbeit nachgehen, miteinander kommunizieren oder einfach «chillen». Dabei blenden wir den sich rasant vollziehenden demogradischen Wandel gerne aus. Denn Bilder der ergrauten Generation passen scheinbar wenig in die Szenarien moderner Arbeitswelten.

Ruhestand für 50 Millionen Arbeitnehmer

Prognosen besagen, dass das Durchschnittsalter der Erwerbstätigen bis zum Jahr 2020 um zwei Jahre ansteigen wird. Heute machen die 50- bis 64-Jährigen rund 30 Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter aus, bis ins Jahr 2020 werden es rund 40 Prozent sein – und damit wird der Peak in der Entwicklung hin zu einer älter werdenden Belegschaft noch nicht erreicht sein. In Europa gehen in den nächsten zehn Jahren 50 Millionen Arbeitnehmer in den Ruhestand, aber nur 20 Millionen Arbeitnehmer rücken nach. Und die Schweiz ist – nach Japan – eine der von der demografischen Alterung in unmittelbarer Zukunft am stärksten betroffenen Nationen.

Nur durch die Abkehr von dem auchdie schweizerische Familienpolitik bis heute prägenden patriarchalischen «Ernährermodell» und die stärkere Einbindung von Frauen in den Arbeitsmarkt ist dieser Trend nicht umzukehren. Ganz davon abgesehen, dass bis heute erfolgversprechende Modelle zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowohl in der Politik als auch in der Personalstrategie der meisten Unternehmen fehlen. Somit kommt der Anpassung und Flexibilisierung des Rentenalters und damit einer längeren Lebensarbeitszeit eine hohe Bedeutung zu. Die aufgrund einer gesunden Ernährung, guter Hygienestandards, der umfassenden medizinischen Versorgung, aber auch der verbesserten Arbeitsbedingungen erhöhte Lebenserwartung bei guter Gesundheit lässt dies ohne weiteres zu.

Die Unternehmen sind also damit konfrontiert, die wirtschaftlichen Herausforderungen in Zukunft mit älteren Belegschaften zu bewältigen und sich dabei auf deren Leistungs- und Innovationskraft verlassen zu müssen. Damit stellt sich auch die Frage, wie die Büroarbeitswelt in Zukunft gestaltet sein muss, damit ältere Mitarbeitende sich darin wohlfühlen und wertschöpfend ihrer Arbeit nachgehen können. Dass dies nicht nur etwas mit Ergonomie und Gestaltung, sondern ganz besonders auch mit Arbeitsprozessen, Freiheiten und Führungskultur zu tun hat, versteht sich dabei von selbst.

Wohlbefinden ist ein zentrales Ziel menschlichen Strebens. Wohlbefinden sorgt für Entspannung, Sicherheit, Geborgenheit und Zuversicht. Und Wohlbefinden stellt sich nur aus dem positiven Einklang verschiedener Sinneseindrücke und körperlicher Zustände ein. Dieses Wohlfühlen ist nicht nur für Ältere, sondern auch für Junge ein wesentlicher Faktor dafür, dass sie leistungsfähig und motiviert bleiben und die an sie gestellten Anforderungen erfüllen können. Leider wird diese durch zahlreiche Studien bewiesene Tatsache in Unternehmen, deren Denken und Handeln sich auf Ökonomie und Bilanzierung reduziert, ignoriert.

Das Gespenst «Defizitmodell»

Wohlfühlen kann der Mensch sich nur in einer guten Umgebung. Somit kommt dem Arbeitsraum und seiner angemessenen Einrichtung sowie seinen physikalischen Umweltbedingungen ein besonderer Stellenwert zu. Aber was muss am Raum anders sein, damit auch Ältere das geeignete Umfeld und die passenden Arbeitsmittel finden, um motiviert ihren Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten zu können? Muss ein alters- oder «alterns»-gerechter Arbeitsplatz überhaupt anders gestaltet sein?

Zunächst einmal soll an dieser Stelle mit einigen gängigen Vorurteilen aufgeräumt werden. In unseren Köpfen und auch in denen zahlreicher Personalverantwortlicher geistert ein sogenanntes Defizitmodell herum. Demzufolge herrscht die Meinung vor, dass Altern generell und schicksalhaft mit Verlusten auf allen Ebenen, Physis, Geist und Motorik, verbunden sei. Dazu zählt auch das Vorurteil, dass ältere Mitarbeitende grundsätzlich unflexibel, wenig aufgeschlossen gegenüber Neuerungen, langsam, unmotiviert, desinteressiert und lernunfähig, besonders aber auch krankheitsanfällig seien.

Zahlreiche Untersuchungen zeigen ein ganz anderes Bild. Über 60-jährige Menschen können durchaus in der Lage sein, komplexe Informationen gleich gut aufzunehmen und zu verarbeiten wie 40-Jährige. Bei den sogenannten «kristallisierten» Fähigkeiten, dem faktischen und prozeduralen Wissen (Wenn-dann-Regeln), ist ein noch kleinerer Unterschied erkennbar. Diese Fähigkeiten bleiben bis ins hohe Alter erhalten und können sogar noch entwickelt werden. Dadurch können nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gerade Ältere in der Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft mit Stärken wie der naheliegenden Erfahrung, Urteilsfähigkeit, Sorgfalt, Kommunikationsfähigkeit, Toleranz, Loyalität, Risikoeinschätzung und komplexen Problemlösungsstrategien brillieren.

Buchtipps

Bettina Staniek, Johann Eisele, Christine Volm: Bürobau Atlas: Grundlagen, Planung, Technologie, Arbeitsplatzqualitäten. Callwey 2005, 300 Seiten

Christian Schittich: Arbeitswelten: Arbeiten im Wandel sozialer und organisatorischer Strukturen. Detail Verlag 2011, 176 Seiten

Marc Beise, Hans-Jürgen Jakobs: Die Zukunft der Arbeit. Süddeutsche Zeitung 2012, 336 Seiten

Gute Qualität hilft auch Jüngeren

Um die Leistungsfähigkeit und Gesundheit zu sichern, ist eine neue Qualität der Arbeit zu definieren, die sich an den Menschen mit ihren individuellen Bedürfnissen und Potenzialen orientiert. Mit einem neuen ergonomischen Stuhl und etwas mehr Licht ist es dabei nicht getan.

Das Arbeiten im Büro hat in den letzten Jahren eine erhebliche Steigerung der Belastungs- und Stressintensität erfahren. Diese hat dazu geführt, dass bei Mitarbeitenden, die meist am Computer arbeiten und dadurch eine statische Körperhaltung einnehmen, eine immense Zunahme krankheitsbedingter Ausfalltage zu verzeichnen ist. Beschwerden im Rücken-, Nacken- und Schulterbereich, Kopfschmerzen, Augenbeschwerden und viele andere sind in allen Altersklassen zu verzeichnen. Nicht zu unterschätzen sind zudem die psychischen Belastungen durch Informations- und E-Mailflut, Informationstechnologie, enge Zeitvorgaben, Überforderung, Unterforderung, schlechte Führungskultur und einige andere vermeidbar erscheinende Missstände.

Wie können also die Arbeitsplätze und das Arbeitsumfeld so optimiert werden, dass sich neue Gesundheits- und Leistungspotenziale erschliessen? Sicher nicht durch eine Ausstattung, die an Produkte aus Sanitätshäusern erinnert. Denn die darin begründete Stigmatisierung mit der in der Regel einhergehenden schlechten bis nicht vorhandenen Designqualität ist genau das, womit sich ältere Mitarbeitende nicht umgeben wollen. Möbel und technische Ausstattung sollten im Sinne von «one fits all» gut gemacht und von hoher Qualität sein. Bildschirme sollten zum Beispiel hochauflösend und ausreichend dimensioniert sein. Diese Bildschirme helfen nicht nur älteren Menschen, sondern reduzieren nach Erkenntnissen angesehener Forschungsinstitute auch bei jüngeren Menschen die Fehlerquote. Billig kann auch hier teuer werden.

Dem notorischen Bewegungsmangel im Büro sollte zunächst einmal mit einem motorisch einstellbaren Steh-/Sitzarbeitsplatz begegnet werden. Die Erfahrung zeigt, dass es dabei wichtig ist, die Mitarbeitenden, ob jung oder alt, in der richtigen Nutzung zu unterweisen.

Still und hell

Ältere Mitarbeiter sind besonders empfindlich gegen Lärm und brauchen aufgrund der altersbedingten Abnahme der Sehkraft auch mehr Licht. Die Positionierung dieser Mitarbeitenden in ruhigere Zonen und die Installation akustisch wirksamer Schallschutzwände zwischen den Arbeitsplätzen sowie eine ausreichende Reduzierung der Nachhallzeiten sind wiederum für die gesamte Belegschaft vorteilhaft. Auch sollten Ältere die Möglichkeit haben, ihren Arbeitsplatz nahe am Tageslicht zu wählen. Ein Beleuchtungskonzept mit optional über die Norm hinausgehenden und individuell regelbaren Beleuchtungsstärken kann altersbedingte Sehschwächen ausgleichen.

Bewegung, Abwechslung und Vielfältigkeit der Arbeitsumgebung im Sinne eines «Enriched Environment» bieten die seit den 90er-Jahren in Skandinavien und den Beneluxländern eingeführten, als «Flexible Office» oder «Business Club» bezeichneten, non-territorialen Bürokonzepte. Vielfältige, ansprechend gestaltete Arbeitsplatzszenarien decken den Bedarf im Spektrum zwischen fokussierter Einzelarbeit und kommunikativen Teamprozessen ab. Mit der sich damit verbindenden Wahlfreiheit und den individuellen Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitstages sind sie für die Nutzer eine Bereicherung und können Wohlbefinden, Identifikation, Stolz und Engagement gleichermassen fördern. Richtig gemacht vermitteln sie Wertschätzung und, wie Erfahrungen zahlreicher Unternehmen zeigen, können die Quote der Krankenstände in erheblichem Masse reduzieren helfen.

Doch nur einhergehend mit Arbeitsprozessen, die die Potenziale besonders älterer Mitarbeiter erkennen und durch wechselnde psychische und kognitive Anforderungen fördern, sowie mit einer auf Respekt und Anerkennung basierenden Führungskultur können Arbeitsräume ihre Wirkung entfalten und mit dafür sorgen, dass Zufriedenheit, Motivation, Gesundheit, Leistungsbereitschaft und -fähigkeit erhöht und krankheitsbedingte Fehlzeiten reduziert werden.

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Martin Kleibrink 
ist Architekt und 
Geschäftsführer von Kleibrink. Smart in Space in Zürich. 
Zuvor war er Corporate 
Architect bei Credit 
Suisse.

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