BGM Special 2020

Kaffee-Ecke statt Designer-Bürostuhl

Die Corona-Krise hat viele Unternehmen zum Umdenken gezwungen – plötzlich boomen flexible ­Arbeitsweisen. Welche Chancen dies für ein künftiges Zusammenarbeiten bietet und wie kleine Sachen Grosses bewirken können.

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«Gesunde und leistungsfähige Mitarbeitende sind für den Firmenerfolg entscheidend», sagt Andreas Wieser. Der ehemalige Co-Leiter des Projekts «Gesundheitsförderliche Büroräume» von Gesundheitsförderung Schweiz ist mittlerweile selbständig, gilt aber nach wie vor als Experte auf diesem Gebiet. «Eine angenehme Arbeitswelt motiviert und fördert die Produktivität.» Das beginne bei einer funktionierenden Kaffeemaschine und gehe über einen ergonomisch eingerichteten Arbeitsplatz bis hin zur gut funktionierenden IT-Einrichtung.

Wiesers Aussagen lassen sich wissenschaftlich belegen. So hat Gesundheitsförderung Schweiz zusammen mit zwei Fachhochschulen und weiteren Partnern mit dem Forschungsprojekt «Office, Change & Health»* aufzeigen können, welchen Einfluss Faktoren hinsichtlich des Büroraums sowie das Workplace Change Management auf die psychische Gesundheit und das Arbeitsengagement von Mitarbeitenden haben. «Angeführt wird die generelle Rangliste der belas­tenden Faktoren auf die psychische Gesundheit durch soziale Stressoren wie Mitarbeitende oder Führungskräfte, Zeitdruck sowie qualitative Überforderung», erklärt Wieser. «Mit den richtigen Massnahmen kann ein gesundheitsförderlich gestalteter Büroraum präventiv entgegenwirken und eine starke Ressource für die Mitarbeitenden darstellen.» Beispielsweise, indem man durch eine angepasste Raumaufteilung für weniger Störfaktoren und Unterbrechungen sorge oder Möglichkeiten für gelegentlichen privaten Rückzug biete.

Individuelle Bürolösungen

Wer denkt, er müsse das von Google etablierte Bürokonzept kopieren, liegt falsch. «Das funktioniert nicht», gibt Wieser zu bedenken. Jede Organisation sei einzigartig. «Deshalb passt ein bestimmtes Bürokonzept in einem Unternehmen, in einem anderen hingegen nicht. Sogar zwischen verschiedenen Unternehmensbereichen können Unterschiede bestehen.» Für manche seien Einzelbüros die richtige Lösung, für andere eher Open- oder Multispace-Konzepte. «Arbeitswelten müssen zur Organisation und ihrer Arbeit passen, der Strategie dienen sowie die Unternehmenskultur und das Arbeiten unterstützen.»

Wie gross ein Unternehmen ist, spielt laut Wieser keine Rolle: «Bei kleinen und grossen Unternehmen sind bei der Gestaltung von Büroräumlichkeiten die gleichen Einflussfaktoren zu berücksichtigen.» Kleineren Unternehmen mit wenig Budget rät der Experte jedoch, noch mehr zu priorisieren und vor allem dort zu investieren, wo die grösste Wirkung zu erwarten ist. «Eine einfache Umgestaltung bestehender Räume mit Farben und Pflanzen bringt häufig mehr als ein Neubau nach falschem Konzept und eine wohnliche Kaffee-Lounge zum informellen Austausch kann mehr bewirken als ein Designerstuhl.»

Stakeholder einbeziehen

«Bitte vergessen Sie die Nutzenden nicht», rät Wieser. Ungeachtet des auserkorenen Bürokonzepts müssten bei der Gestaltung von Büroräumlichkeiten möglichst alle Interessengruppen in einem interdisziplinären Team einbezogen werden. Dazu gehören für Wieser Vertreter aus IT, HR, Facility Management, Einrichtungsfachleute, Führungskräfte und Mitarbeitende. Der langfristige Nutzen für Letztere gehe neben den Bauterminen und dem Finanzcontrolling jedoch oft vergessen. «Durch den Einbezug der Nutzenden meint man, Zeit oder – durch eine etwas teurere Ausstattung – Geld zu ­verlieren», führt Wieser aus. «Das ist etwas kurzsichtig gedacht, denn der grösste Kostenblock eines Unternehmens ist meist das Personal.» Häufen sich Ineffizienz, Unzufriedenheit, Demotivation und Krankheitsausfälle, käme dies oft teurer zu stehen. «Die Umgestaltung der Arbeitsplätze ist ein emotionales Thema und der Wechsel zu einer anderen Arbeitsweise gelingt nicht von heute auf morgen», sagt Wieser. Für den erfolgreichen und gesundheitsförderlichen Umgang mit der Veränderung sei eine Kompetenzentwicklung bei Führungskräften und Mitarbeitenden unabdingbar. «Die beste Maschine nützt nichts, wenn sie vom Maschinisten nicht bedient werden kann.»

Wohin geht die Reise?

«Die Corona-Krise kann den konsequent umgesetzten modernen Arbeitswelten einen Schub geben», sagt Wieser. «Viele Mitarbeitende wurden von einem Tag auf den anderen ins Homeoffice geschickt, die Organisationen mussten sich erstmals mit dieser neuen Form der Zusammenarbeit auseinandersetzen. Jetzt können sie diese Erfahrungen nutzen und in Konzepte zu neuen Arbeitswelten integrieren.»

Das Social Distancing habe noch etwas anderes zu Tage geführt: «Viele Arbeitnehmende haben gemerkt, wie gerne sie mit anderen vor Ort zusammenarbeiten und wie sehr sie den sozialen Austausch geniessen. Ich wünsche mir, dass uns dies zu einem flexiblen Arbeiten im Büro, im Homeoffice und in Coworking-Spaces führt.»

* Faktenblätter und sämtliche Ergebnisse des Forschungsprojekts: fws-office.ch

FWS Office & Checklisten

FWS Office ist ein Teil des Gesamt­angebots Friendly Work Space von Gesundheitsförderung Schweiz. ­Dieses unterstützt Unternehmen ­dabei, ein systematisch umgesetztes betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) aufzubauen und zu ­optimieren.

Für Unternehmen stehen in den ­Bereichen Büro, Change und Mitarbeitenden-Kompetenzen Online-Checklisten zum Download bereit. Diese ermöglichen Unternehmensverantwortlichen, einzuschätzen, in welchem Mass ihr Büroraumveränderungsprojekt gesundheitsförderlich gestaltet ist und welche Massnahmen getroffen werden können, um die Kompetenzen der Mitarbeitenden zu fördern.

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Online-Redaktorin, HR Today. es@hrtoday.ch

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