Arbeit und Recht

Krankentaggeldversicherung – 
worauf der Arbeitgeber achten sollte

Die Lohnfortzahlungspflicht bei Krankheit ist in Art. 324a OR geregelt. Davon kann aber abgewichen werden und die dann meistgewählte Lösung ist die Lohnfortzahlung durch eine Krankentaggeldversicherung. Wie sicher dieser Weg tatsächlich ist, hängt von den Versicherungsbestimmungen ab, aber auch von der Umsetzung im einzelnen Arbeitsverhältnis.

Eine Versicherungslösung für die Lohnfortzahlung bei Krankheit kann gestützt auf das Krankenversicherungsgesetz (KVG) oder das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) erfolgen. Die Unterschiede sind erheblich: Krankentaggeldversicherungen gemäss KVG sind zwingenden gesetzlichen Schutzbestimmungen unterworfen. Bei einer Taggeldversicherung gemäss VVG hingegen herrscht Vertragsfreiheit. Diese gibt den Versicherern erheblich grössere Gestaltungsmöglichkeiten. Diese fehlen der Taggeldversicherung nach KVG, was dazu geführt hat, dass diese in der Praxis nur noch äusserst selten vorkommt. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich deshalb ausschliesslich auf Krankentaggeldversicherungen nach VVG.

Krankentaggeldversicherungen sind unterschiedlich ausgestaltet. Häufig anzutreffen ist die Lohnfortzahlung während 720 Tagen innert 900 Tagen. Oft wird dabei eine «Karenzfrist» vorgesehen, die von wenigen Tagen bis zu einigen Monaten reichen kann, 
d.h. die Taggeldleistungen werden von der Versicherung erst nach Ablauf dieser Zeit erbracht. Auch die Taggeldhöhe kann variieren. Bei längerfristigen Taggeldleistungen beträgt das Taggeld oft 60 bis 80 Prozent des Lohnanspruches. Die Aufteilung der Versicherungsprämien ist ebenfalls unterschiedlich: Entweder teilen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmende die Prämien oder der Arbeitgeber übernimmt diese alleine.

Art. 324a Abs. 4 OR schreibt vor, dass die von der gesetzlichen Lohnfortzahlungspflicht abweichende Versicherungslösung der gesetzlichen Regelung «mindestens gleichwertig» sein muss. Der Arbeitgeber ist gut beraten, die Versicherungslösung auf ihre Gleichwertigkeit zu prüfen, da sich allfällige Ansprüche der Arbeitnehmenden aus einer unzulässigen Versicherungslösung gegen den Arbeitgeber richten (s. Kasten).

Eine Krankentaggeldversicherung ist auch «selling argument» von Arbeitgebern: Mit dem Angebot einer Versicherungslösung im Falle lang anhaltender Arbeitsunfähigkeit soll den Arbeitnehmenden die Sorge um den damit verbundenen allfälligen Lohnausfall abgenommen werden. Oft sind Arbeitgeber deshalb bestrebt, den Arbeitnehmenden bereits im Arbeitsvertrag oder in Reglementen die Modalitäten der Versicherung darzulegen. Dabei ist höchste Vorsicht geboten: Je nachdem, wie solche Verweise auf Krankentaggeldversicherungen formuliert sind, sind sie als Zusicherungen dieser Leistungen durch den Arbeitgeber selber zu verstehen. Dabei muss der Arbeitgeber bedenken, dass Versicherungsleistungen aus verschiedenen Gründen zu Recht oder zu Unrecht ausbleiben können.

Ist die (ausgebliebene) Leistung der Versicherung aber durch den Arbeitgeber zugesichert worden, muss er unter Umständen dafür aufkommen. Prekär wird dies vor allem bei längeren Taggeldleistungen, selbst dann, wenn das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der zugesicherten Taggeldleistung endet. Zwar gilt die gesetzliche Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers grundsätzlich nur, solange ein Arbeitsverhältnis besteht. Doch aus einer unglücklich formulierten Zusicherung von Krankentaggeldern kann sich eine Verpflichtung des Arbeitgebers auf Ausrichtung dieser Leistungen ergeben, selbst über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus.

Aufmerksamkeit ist auch bei allfälligen Versicherungsvorbehalten angebracht. Die Bedingungen der Versicherer können generell vorsehen, dass Leiden, die bereits vorbestanden haben, während einiger Zeit von der Versicherung ausgeschlossen werden. Grundsätzlich hat der Arbeitgeber keinen Anspruch, von den Arbeitnehmenden über ihren Gesundheitszustand aufgeklärt zu werden. Wichtig ist deshalb, dass er seine Mitarbeitenden über den Ausschluss vorbestehender Leiden informiert. Andernfalls riskiert er, für die ausgebliebene Leistung der Versicherung zu haften. Die Information ist vorzugsweise zu dokumentieren.

Der Arbeitgeber ist deshalb gut beraten, bei der Formulierung der Krankentaggeldlösung höchste Vorsicht walten zu lassen und etwa bereits bestehende Arbeitsverträge, Mitarbeiterhandbücher und Reglemente auf eventuelle Risiken zu überprüfen sowie die Dokumente allenfalls anzupassen. Generell empfiehlt es sich, nur das Bestehen einer Krankentaggeldversicherung zu erwähnen und bezüglich der einzelnen Modalitäten auf die jeweils gültige Police zu verweisen. Ebenso sollte nicht versäumt werden, das Verhältnis zwischen der gesetzlichen Lohnfortzahlungspflicht und der getroffenen Versicherungslösung klarzustellen.

Welche Lösung ist gleichwertig?

Die Frage nach der Gleichwertigkeit ist nicht leicht und nicht generell zu beantworten, zumal es keine gefestigte Rechtsprechung gibt. Folgende Eckpfeiler kann man sich merken:

  • Die Gleichwertigkeit lässt sich nicht am Einzelfall beurteilen, denn offensichtlich sind Karenztage für denjenigen unvorteilhafter, der nur Kurzabsenzen hat. Massgebend für die Beurteilung ist die Gesamtheit der Versicherungsleistungen für den ganzen Betrieb.
  • Karenzfristen bis zu drei Tagen sind zulässig, sofern sie durch eine längere Leistungsdauer ausgeglichen werden. Bei längeren Karenzfristen hat der Arbeitgeber im Rahmen seiner gesetzlichen Lohnfortzahlungspflicht (drei Wochen im ersten Dienstjahr, danach je nach der in der Rechtsprechung entwickelten Skala) oder der vertraglich zugesicherten Lohnfortzahlung selber Leistungen zu erbringen. Vorsicht ist auch angebracht, wo ein Gesamtarbeitsvertrag (GAV) eine Lohnfortzahlungspflicht ohne Karenztage vorsieht.
  • 
Prämienbeteiligungen durch Arbeitnehmende sind nur zulässig, soweit die Versicherung Leistungen erbringt, die über die gesetzliche Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers hinausgehen.

Gleichwertigkeit wurde beispielsweise bejaht bei Lohnfortzahlung von 60 bis 80 Prozent während 720 Tagen innert 900 Tagen. Oder auch bei 80 Prozent Lohnfortzahlung während 720 Tagen mit zwei Karenztagen, aber bei voller Prämienzahlung durch den Arbeitgeber.
Die oft in Gesamtarbeitsverträgen anzutreffende Regelung einer Lohnfortzahlung von 80 Prozent  während 720 innert 900 Tagen und hälftiger Prämienbeteiligung ist gleichwertig, nach Ansicht des Bundesgerichts selbst bei zwei bis drei Karenztagen.

 

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Gudrun Österreicher Spaniol

Gudrun Österreicher Spaniol
ist Fachanwältin SAV Arbeitsrecht und Partnerin bei Burckhardt. Sie berät vorwiegend Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer in Fragen des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts.

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