Leistungserwartungen diskutieren – ohne Noten und Urteile

Das herkömmliche Mitarbeitergespräch stammt aus der hierarchischen Führungsära. Es versagt in der agilen Arbeitswelt und belastet Beziehungen. Gefragt ist ein Dialog auf Augenhöhe, der nicht auf formale Beurteilung setzt, sondern auf Wertschätzung und Motivation. Ein Plädoyer für eine zeitgemässe Lösung.

Mitarbeitergespräche gehören zum Standardrepertoire des Personalmanagements. Mangels Alternativen finden sie in den meisten Unternehmen weiterhin im herkömmlichen Schema statt: Die Mitarbeitenden werden jährlich durch die nächsthöhere Führungskraft beurteilt. Aus diesem Urteilsspruch des Chefs oder der Chefin ergeben sich Konsequenzen für die Beurteilten, etwa eine Gehaltserhöhung, die Aufnahme in den Talentpool oder eine «Optimierungsmassnahme», die top-down definiert, terminiert und kontrolliert wird. Mitarbeitende werden quasi als Objekte vermessen, beurteilt, belohnt oder bestraft. Das mitdenkende, eigenverantwortliche Individuum bleibt dabei auf der Strecke.

Neues Führungsverständnis etabliert sich

Auf diese mühsame Pflichtübung kann die Mehrheit der Mitarbeitenden verzichten, da sie nichts bringt. Ebenso bekunden immer mehr Vorgesetzte Mühe mit dieser unpassenden bis zuweilen unangenehmen Lehrer-Schüler-Situation. Sowieso ist das Führungsverständnis des «Bosses» tendenziell am Aussterben, da er in vielen Fällen genauso wenig wie sein Team weiss, was in einem komplexen und unsicheren Wirtschaftsumfeld künftig auf das Unternehmen zukommt.

Die traditionelle «Meisterin», die ihren «Gesellen» hinsichtlich Allgemein- und Expertenwissen überlegen ist, gibt es immer seltener. An ihre Stelle treten Führungskräfte, die entweder über ein breites Allgemein- oder ein tiefes Expertenwissen verfügen.¹ In beiden Fällen ist die vorgesetzte Person auf das Know-how der Mitarbeitenden angewiesen – Lösungen werden gemeinsam erarbeitet. Die Führungsrolle verschiebt sich in Richtung «Befähigerin», «Coach» oder «Partnerin». Egal welche dieser drei Rollen gerade gefragt ist, alle gehen sie davon aus, dass Mitarbeitende in der Lage sind, einen Grossteil der Antworten selbst zu finden. Flexible Arbeitsbedingungen, Du-Kultur und die Zusammenarbeit in agilen Teams tragen dazu bei, dass klassische Mitarbeitergespräche zu einem Fremdkörper werden, den das HR-Management in Rente schicken sollte.

Dialog statt Zeugnis

Selbstverständlich bleibt es wichtig, über Leistung und gegenseitige Erwartungen zu sprechen. Das entspricht einem Mitarbeitenden-Bedürfnis und ist eine Notwendigkeit für jede professionelle Organisation. Nur braucht es dafür keine Noten oder Urteilssprüche, denn diese machen die Führungsperson weder glaubwürdiger noch die Mitarbeitenden produktiver. Es braucht Wertschätzung.

Das Mitarbeitergespräch benötigt somit eine Neuausrichtung, bei der ein qualitativ hochstehender Dialog zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden die Basis ist. Eine inhaltlich orientierte, lateral ausgerichtete Diskussion über Leistungserwartungen und Zukunftsanforderungen, die hochgradig auf die individuelle Situation einzugehen vermag. Ein Dialog auf Augenhöhe, der persönlichen Bedürfnissen und Prioritäten folgt, statt einem standardisierten Bewertungsraster für alle.

Ob daraus konkrete Zielsetzungen resultieren, hängt stark vom jeweiligen Jobprofil ab. Pflegefachleute, Buschauffeure oder Verkaufspersonal benötigen keine SMARTen² Ziele , denn ihre Aufgaben orientieren sich an kollektiven, stabilen Leistungsstandards. Wichtig ist, dass diskutiert und geklärt ist, wo die Schwerpunkte fürs kommende Jahr liegen. So können vorhandene Potenziale bestmöglich genutzt und allfällige Defizite zielgerichtet angegangen werden (zum Beispiel Projekte, Zusatzaufgaben, Weiterbildung).

Geradezu toxisch können individuelle Ziele zudem für Mitarbeitende in der dynamischen Projektwelt sein, da die gegenseitige Abhängigkeit hoch ist und der Projekterfolg auf intensiver und uneigennütziger Kollaboration basiert. Auch Vorgesetzte sind heute Teil einer gemeinsamen Verpflichtung, so dass jede Form der Über- oder Unterordnung die motivierende Wirkung von Zielen hintertreibt.

Zeit für Veränderungen

Gespräche auf Augenhöhe bedeuten auch, dass Mitarbeitende bei ihrem Gespräch stärker gefordert sind. Hinsetzen und konsumieren ist passé. Stattdessen müssen sie sich intensiv mit ihrer persönlichen Leistung und Rolle im Team auseinandersetzen. Anspruchsvoller ist das neue Mitarbeitergespräch auch für Vorgesetzte. In dieser Konstellation liegt der Akzent viel stärker auf einem Gespräch von Mensch zu Mensch mit eigener Dynamik. Ebenso gilt es, auf Themenvorschläge und Feedbacks der Mitarbeitenden gekonnt einzugehen.

Das Universitäts-Kinderspital Zürich sah sich 2017 mit vielen der obigen Herausforderungen konfrontiert. Es gab eine Reihe unterschiedlicher Beurteilungssysteme und die Motivation, Mitarbeitergespräche durchzuführen, war so tief, dass ein Drittel aller Gespräche gar nicht stattfand. Aus diesem Grund entwickelte das HR-Team mit einer interdisziplinären Arbeitsgruppe ein neuartiges Konzept, das 2018 mit durchschlagendem Erfolg getestet und 2019 unternehmensweit eingeführt wurde (siehe Box).

Quellen:

  • ¹ T-Konzept gemäss Armin Trost, Neue Personalstrategien zwischen Stabilität und Agilität, 2018
  • ² Die SMART-Formel wird häufig verwendet für die Zielformulierung und steht für Spezifisch (S), Messbar (M), Attraktiv (A), Realistisch (R) sowie Terminierbar (T).

Best Practice: Mitarbeitergespräch 2.0

Die Zürcher Agentur C-Factor unterstütze das Universitäts-Kinderspital Zürich, eine neue Form von Mitarbeitergespräch in eine gebrauchsfertige Lösung umzusetzen. Kern der Lösung ist ein Set von rund zwei Dutzend verschiedenen Themenkarten. Sie enthalten eine breite Auswahl an möglichen Gesprächsthemen von der Fach- und Sachkompetenz über die Sozialkompetenz bis zur Persönlichkeits- oder Selbstkompetenz. Aus dieser «Menükarte» an Themen wählen sowohl vorgesetzte Person wie Mitarbeitender je einige für sie relevante Themen aus, die während des Gesprächs gemeinsam diskutiert werden.

Zwei einseitige Formulare gehören ebenfalls dazu: Eines zur Vorbereitung für Mitarbeitende, mit dem sie ihre Themenwünsche und Einschätzung der Lage mitteilen. Und eines für die Vorgesetzten, mit dem diese die wichtigsten Besprechungspunkte kurz zusammenfassen. Ebenso nimmt die vorgesetzte Person noch eine schriftliche Gesamtbeurteilung vor, was aus arbeitsrechtlichen Gründen weiterhin sinnvoll erscheint. Die Einschätzung beschränkt sich jedoch auf das Notwendigste. Zur Auswahl stehen lediglich drei Optionen:

  • Wir sind erfolgreich zusammen unterwegs.
  • Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit sind Veränderungen notwendig.
  • In wichtigen Bereichen sind die Arbeitsleistung und/oder das Verhalten ungenügend. Das Arbeitsverhältnis kann in der bisherigen Form nicht aufrechterhalten werden.

Im Vergleich zu standardisierten Bewertungsdossiers im herkömmlichen Mitarbeitergespräch nimmt die «Papierarbeit» der vorgesetzten Person spürbar ab.

Der Abschluss bildet eine handschriftlich verfasste «Postkarte» der Führungskraft, die sie ihren Mitarbeitenden nach dem Gespräch mit einem persönlichen Dank, Lob oder Gruss überreicht. Abgerundet wird die bewusst «analog» gestaltete Lösung von einer Broschüre mit den wichtigsten Richtlinien zum Vorgehen. mitarbeitergespraech.ch

 

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Désirée Nater ist stellvertretende Leiterin HRM am Universitäts-Kinderspital Zürich.

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Philipp Metzler ist Partner bei der Kommunikationsagentur C-Factor in Zürich. Er berät und unterstützt verschiedene Unternehmen im Bereich Unternehmenskommunikation, Content Marketing und Employer Branding.

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