PISA für Kinder, PIAAC für Erwachsene

PISA für Erwachsene: Erschreckende Ergebnisse

Die Anfang Oktober vorgestellte PIAAC-Studie zeigt, wie unsere Nachbarn in Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich lesen, rechnen und mit dem Computer umgehen können. Die Studie zeigt aber auch, welche Faktoren Einfluss auf den Erwerb und Verlust dieser Kompetenzen haben und wie die Personalentwicklung die Ergebnisse für die Gestaltung der betrieblichen Aus- und Weiterbildung nutzen kann.

Am 8. Oktober präsentierte die OECD erste Ergebnisse der PIAAC (Programm for the International Assessment of Adult Competencies) Studie. An dieser Studie nahmen 166'000 Erwachsene im Alter von 16 bis 65 Jahren in 24 Ländern teil. Die Schweiz war an der Untersuchung nicht dabei, weswegen auf die Ergebnisse der Nachbarländer verwiesen wird.

Untersucht wurden die Lesekompetenz, die alltagsmathematische Kompetenz sowie die technologiebasierte Problemlösekompetenz. Gefragt wurde nach alltäglichen Aufgaben wie dem Vergleich eines Supermarktangebots oder der Suche nach einem Jobangebot in einer Onlinestellenbörse. Die OECD spricht bei diesem Bündel von entscheidenden Grundkompetenzen, um Informationen zu verarbeiten. Sie bilden damit eine wichtige Voraussetzung, um erfolgreich am beruflichen und gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Kritiker wenden ein, dass nicht berufsspezifische Kompetenzen untersucht worden und somit Erwachsene mit einer Berufsausbildung benachteiligt seien. Unbestreitbar handelt es sich jedoch um Kompetenzen, die sowohl in der Aus- und Weiterbildung, der Arbeit als auch im gesellschaftlichen Leben in vielfältiger Weise zum Einsatz kommen.

Zunächst erstaunt die verhaltene Reaktion der Presselandschaft. So wurde über das mittelmässige Abschneiden von Österreich und Deutschland nur wenige Tage in der Boulevardpresse berichtet. Während nach den Veröffentlichungen der PISA-Ergebnisse regelmässig eine bildungspolitische Debatte startet, in der Politiker jeglicher Couleur die Reform des Bildungssystems fordern, blieb der Aufschrei diesmal aus. Offensichtlich berührt es uns mehr, wenn unsere Kinder nicht lernen, als wenn wir Erwachsenen schlecht abschneiden. Dabei sind die Ergebnisse ähnlich beunruhigend wie diejenigen der PISA-Studie. Für Deutschland kann man die Ergebnisse wie folgt zusammenfassen:

Im Bereich der Lesekompetenz liegt Deutschland leicht unter dem Durchschnitt aller teilnehmenden Länder. Auffallend ist hier vor allem der untere Leistungsbereich. 18 Prozent aller teilnehmenden Personen erreichten nur die niedrigste Kompetenzstufe, was etwa dem Leseverständnis eines Grundschulkindes entspricht. Im Bereich der alltagsmathematischen Kompetenz liegt Deutschland leicht über dem OECD-Durchschnitt. Beim technologiebasierten Problemlösen verfügten 45 Prozent der untersuchten Teilnehmenden nur über eine geringe Kompetenz und können damit nur einfachste Aufgaben am Computer lösen. Ähnlich wie bei der PISA-Studie wird das Leistungsniveau in Deutschland stark von sozio-ökonomischen Faktoren beeinflusst.

Italien und Spanien Schlusslichter

Österreich und Frankreich schnitten in allen Kompetenzbereichen noch schlechter ab als Deutschland. Italien liegt zusammen mit Spanien in allen Kompetenzbereichen am Ende des Feldes.

Alarmierend ist dieses Ergebnis, weil die Studie gleichzeitig nachweist, dass ein geringes Niveau in den geprüften Kompetenzen mit einem geringen Einkommen, einer geringeren Produktivität, einem erhöhten Risiko für Arbeitslosigkeit und weiteren negativen sozio-ökonomischen Effekten einhergeht.

Ähnlich wie bei der PISA-Studie wird in der Tagespresse vor allem das Länder-Ranking diskutiert. Wie bei Sportveranstaltungen stehen Rangfolge und das Abschneiden einzelner Länder höher im Rennen. Neben diesen offensichtlichen Ergebnissen liefert die Studie aber auch vertiefte Einblicke in den Erwerb und Verlust von Kompetenzen im Laufe des Lebens. Vor allem diese Resultate sind für die Personalentwicklung interessant.

Kompetenzerwerb und -verlust im Laufe des Lebens

Das Kompetenzniveau erreicht in der Altersklasse der 25- bis 30-Jährigen das höchste Niveau und sinkt dann wieder ab. Auf den ersten Blick scheint das Ergebnis damit das gängige Vorurteil zu stützen, dass ältere Mitarbeitende nicht mehr so leistungsfähig und kompetent sind. Diese einfache Interpretation der Daten ist jedoch verkürzt. Zum einen handelt es sich nicht um eine Längsschnittstudie. Es wird also nicht untersucht, wie sich das Kompetenzniveau in einer Altersgruppe zum Beispiel eines Jahrgangs im Laufe des Lebens verändert, sondern es werden die heute 60-Jährigen mit den heute 30-Jährigen verglichen. Die 60-jährigen Personen haben jedoch ihre Grundbildung zu einer anderen Zeit erhalten. Abschlüsse auf Universitäts- oder Fachhochschulniveau waren damals viel seltener als heute. 1950 haben die meisten das Bildungssystem ohne Abschluss auf Sekundarstufe verlassen. Auch die Qualität der Ausbildung hat sich im Laufe der Zeit verändert.

Ein zweites Argument spricht gegen das Alter als Hauptfaktor für den Kompetenzverlust. Der Verlauf der Kurven variiert von Land zu Land. In einigen Ländern verläuft der Verlust der Kompetenzen viel flacher als in anderen und teilweise nehmen die Kompetenzniveaus in der Altersklasse der 60- bis 65-Jährigen sogar wieder zu. Es müssen also noch andere Faktoren einen Einfluss auf die Zunahme bzw. Abnahme der Kompetenzniveaus haben.

Für die OECD sind dies vor allem das Niveau und die Qualität der Grundbildung, die Teilnahme an Weiterbildung, das Anspruchsniveau der Arbeit und die Möglichkeit, die untersuchten Kompetenzen auch ausserhalb der Arbeit anzuwenden. Das Niveau und die Qualität der Grundbildung entscheidet, auf welchem Kompetenzniveau gestartet wird. Das Kompetenzniveau korreliert daher stark mit dem Bildungsniveau. Je höher der Bildungsabschluss umso höher ist das Niveau der untersuchten Kompetenzen.

Die Studie kann ebenfalls einen Zusammenhang mit der Weiterbildung nachweisen. Dieser Zusammenhang ist statistisch jedoch nicht so gewichtig wie bei der Grundbildung. Dies liegt vor allem daran, dass das Bildungsniveau und die Teilnahme an Weiterbildungen stark miteinander korrelieren. Wer gut gebildet ist, hat meist eine anspruchsvollere Arbeit und bildet sich weiter. In einer negativen Spirale befinden sich die Teilnehmenden mit niedrigerem Kompetenzniveau. Sie haben oft einen niedrigen Bildungsabschluss, führen weniger anspruchsvolle Tätigkeiten aus und bilden sich nicht weiter. Sowohl für staatliche Akteure als auch für die betriebliche Personalentwicklung sollte es ein Ziel sein, diese Spirale zu durchbrechen. Das ist jedoch nicht so einfach, da gerade das Fehlen der untersuchten Grundkompetenzen eine Barriere für klassische Weiterbildungsseminare darstellt. Hier sind neue Weiterbildungskonzepte gefragt, die auf die Kompetenzen und Bedürfnisse der Zielgruppe abgestimmt sind.

Lernen neben der Arbeit

Ein weiterer wichtiger Faktor für den Aufbau und Erhalt der Kompetenzniveaus ist das Anspruchsniveau der Arbeit. Komplexe ganzheitliche Tätigkeiten, in denen die untersuchten Kompetenzen auch eingesetzt werden, fördern und erhalten diese. Die OECD fordert daher von den Unternehmen, Arbeitsprozesse so zu gestalten, dass die Anwendung und Vertiefung von Kompetenzen gefördert wird. Auch hierzu kann die Personalentwicklung einen Beitrag leisten, indem sie das Unternehmen bei der Gestaltung lernförderlicher Arbeitsplätze unterstützt und eine Lernkultur im Unternehmen etabliert.

Der Erwerb und Erhalt von Kompetenzen findet nicht nur in formellen Lern-Settings wie einer Aus- oder Weiterbildung statt. Auch durch Aktivitäten ausserhalb der Arbeit können diese gefördert werden. Wer in seiner Freizeit viel liest oder sich ehrenamtlich um die Finanzen eines Sportvereins kümmert, investiert indirekt in den Aufbau und Erhalt seiner Kompetenzen. Weiterbildung und die Möglichkeit, seine Kompetenzen innerhalb und ausserhalb der Arbeit einzusetzen, haben vor allem in späteren Lebensphasen einen grossen Einfluss auf den Erhalt der Kompetenzen. «Use it or lose it» ist hier das Motto.

Die Ergebnisse der PIAAC-Studie eröffnen keine grundlegend neuen Erkenntnisse und decken sich mit Ergebnissen anderer Studien etwa zum Kompetenzerwerb im Alterungsprozess. Die Studie untermauert aber, dass sich Investitionen in Grund- und Weiterbildung lohnen und zeigt auf, wo die neuralgischen Punkte liegen.

Personalentwicklung als kontinuierlicher Prozess

Das IAP berät und unterstützt Unternehmen im gesamten Personalentwicklungsprozess. Dafür werden der Entwicklungsbedarf in der Organisation identifiziert, spezifische Massnahmen konzipiert und Programme zur Entwicklung von Mitarbeitenden eingeführt. 

Quellen

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Christoph Gütersloh ist Dozent und Berater am Institut für Angewandte Psychologie IAP der ZHAW. Er ist verantwortlich für den MAS Ausbildungsmanagement und berät Unternehmen und Organisationen rund um Themen der Weiterbildung. Themenschwerpunkte: Digitalisierung, Social Learning, Selbstgesteuertes Lernen, Kompetenzorientierung und Kompetenzmanagement.

Weitere Artikel von Christoph Gütersloh