BGM Special 2020

Psychische Probleme frühzeitig erkennen

Die psychische Gesundheit von Jugendlichen ist ein strategischer Schwerpunkt von Gesundheitsförderung Schweiz. René Marcello Rippstein, Mitglied der Geschäftsleitung und Leiter Betriebliches Gesundheitsmanagement, spricht darüber, wie diese gestärkt und gefördert werden kann.

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«Jugendliche entwickeln viele gesundheitsbezogene Verhaltensweisen, die sich ver­festigen und sich auf die gesamte Lebensspanne auswirken können. Um ihre Ressourcen zu stärken, sind BGM-Programme für sie deshalb besonders wichtig», sagt René ­Marcello Rippstein, Mitglied der Geschäftsleitung und Leiter Betriebliches Gesundheitsmanagement bei der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz. Bereits 2011 hat die Stiftung deshalb damit begonnen, ein Angebot zu entwickeln (siehe Box), das die psychische Gesundheit von ­Jugendlichen im Setting Betrieb fördert und seither laufend entwickelt wird.

Wie es um die Gesundheit der Jugendlichen bestellt ist, zeigt der Job-Stress-Index 2018. Demnach hat die erwerbstätige ­Altersgruppe der 16- bis 24-Jährigen das schlechteste Verhältnis zwischen Ressourcen und Stressoren. Auch die gesundheitsbedingten Produktivitätsverluste sind gemäss Rippstein bei dieser Altersgruppe am höchsten. «Studien belegen, dass 10 bis 20 Prozent der Jugendlichen an einer psychischen Erkrankung leiden.» Somit bilden sie eine vulnerable Gruppe.

Gründe für psychische Probleme

Die häufigsten Auslöser für psychische Probleme von Jugendlichen sind gemäss ­Rippstein schwierige Arbeitssituationen, zwischenmenschliche Schwierigkeiten, Überforderung und Stress. Das zeigt auch die LiSa-Studie aus dem Jahr 2013, bei der über 800 Lernende aus Ostschweizer Gesundheits-, Sozial- und Baubetrieben nach schwierigen betrieblichen Situationen gefragt wurden. Die Ergebnisse des LEVA-Projekts der Erziehungsdirektion des Kantons Bern belegt zudem, dass die häufigsten Gründe für Lehrvertragsauflösungen schlechte Arbeitszeiten, unangenehme

Arbeit und fehlende Mitbestimmung sind. «Arbeitgebende müssen psychische Probleme bei Jugendlichen frühzeitig erkennen», betont Rippstein. Anzeichen dafür seien beispielsweise Abweichungen im Sozialverhalten. Etwa Veränderungen in der Stimmungslage, Rückzug, Abweichungen im Arbeitsverhalten oder ein Leistungseinbruch. Auch die Vernachlässigung der Körperpflege oder Selbstgespräche weisen auf ein psychisches Problem hin.

Ganzheitlicher Ansatz

In den letzten Jahren stärker in den Fokus gerückt, gewinnt die psychische Gesundheit als nicht übertragbare Krankheit somit an Bedeutung. «Sie ist ebenso wichtig wie die physische», sagt Rippstein. «Es braucht beide, um gesund zu sein.»

FWS Apprentice

Um die psychische Gesundheit der Jugendlichen im Betrieb gezielt zu unterstützen und zu fördern, entwickelt Gesundheitsförderung Schweiz gemeinsam mit Partnern für Arbeitgebende das Angebot Friendly Work Space (FWS) Apprentice. Neben der Applikation FWS Apprentice Experts für Berufsbildungsverantwortliche und regelmässigen Erfahrungsaustauschtreffen, die im Herbst lanciert werden, profitieren Nutzer bereits heute von einer Wissens-Website und einem Weiterbildungsangebot.

Die Website bietet Fachinformationen und Hilfsmittel wie Checklisten und Good-Practice-Beispiele zur Gesundheit und zur Führung von Lernenden, zu Besonderheiten des Jugendalters, Aufgaben und Stress sowie Motivation und Leis­tung. Ziel von FWS Apprentice ist, Berufsbildungsverantwortliche dabei zu unterstützen, Lernenden beizubringen, besser mit Belastungen und ihren Ressourcen umzugehen. Lernende werden damit auf das Thema Stress sensibilisiert und lernen ihre Handlungsmöglichkeiten kennen. Die Inhalte der Website FWS Apprentice stehen allen Berufsbildungsverantwortlichen gratis in den drei Sprachen Deutsch, Französisch und Italienisch zur Verfügung.

fws-apprentice.ch

 

Jugendliche stehen unter grossem Druck

Warum Jugendliche überdurchschnittlich häufig verunfallen und was Betriebe dagegen tun können: ein Gespräch mit Edith Müller Loretz, Leiterin Gesundheitsschutz bei der Suva.

Weshalb beschäftigt die Suva die psychische Gesundheit von Jugendlichen?

Edith Müller Loretz: Jugendliche und vor allem Lernende verunfallen überdurchschnittlich häufig im Beruf und in der Freizeit. Gründe dafür orten wir bei der Unerfahrenheit im Beruf und beim teils riskanten Sport- und Freizeitverhalten.

Die psychische Gesundheit spielt dabei ebenfalls eine zentrale Rolle. So verunfallen und verletzen sich Jugendliche häufiger, die gestresst sind, schlecht und zu wenig schlafen oder vermehrt zu Genuss- und Suchtmitteln greifen.

Gibt es hierzu Statistiken?

Leider existieren hierzu keine Statistiken, da psychische Erkrankungen von der Unfallstatistik nicht erfasst werden. Eine Zunahme der psychosozialen Risiken ist jedoch vor allem im Gesundheits- und Sozialbereich zu verzeichnen¹. Generell haben die Hospitalisierungen infolge psychischer Erkrankungen in allen Altersgruppen in den letzten Jahren zugenommen².

Inwiefern ist das für die Suva als ­Arbeitgeber relevant?

Das Thema psychische Gesundheit ist Teil unseres betrieblichen Gesundheitsmanagements. Im nächsten Jahr wollen wir das Ressourcen-Stressmanagement ausbauen, um so für die Herausforderungen durch Veränderungsdruck und Digitalisierung gerüstet zu sein.

… und als Unfallversicherer?

Unfälle und Verletzungen sind immer ein Zusammentreffen von verschiedenen Risikofaktoren. Stress spielt dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle. Studien zeigen, dass das Gefühl von Hektik und Zeitdruck das Unfallrisiko vor allem in risikoreichen Branchen massiv erhöht. Eine schlechte psychische Verfassung kann ausserdem zu Schlafproblemen oder vermehrtem Suchtmittelkonsum führen. Beide Faktoren beeinflussen wiederum das Unfallrisiko. So erleiden Personen mit Schlafproblemen und mit zu wenig Schlaf fünfmal so häufig Stolper- und Sturzunfälle bei der Arbeit.

Mit der Kampagne «Sichere Lehrzeit» unterstützen wir Lehrbetriebe bei der Unfallprävention. Wir beraten Betriebe, wie sie mit ihren Lernenden Themen wie Stresssituationen, Ressourcen, höhere Arbeitsbelastungen, genügend Schlaf oder Fitness angehen können. In Kursen und Schulungen thematisieren Arbeitssicherheit-Spezialisten zudem die erhöhte Unfallgefährdung von Lernenden und die besonderen Präventionsanforderungen dieser Zielgruppe.

Wodurch unterscheiden sich die Bedürfnisse der Jugendlichen von jenen der Erwachsenen?

Der Start in der neuen Arbeitsumgebung und in der Berufsschule kann bei Jugendlichen einen hohen Erwartungsdruck auslösen. Gleichzeitig ist es die Zeit der Abnabelung von zu Hause mit zunehmender Bedeutung von Freundschaften. Jugendliche sind somit einem sehr grossen Anpassungs- und Veränderungsdruck unterworfen. Grundsätzlich unterscheiden sich ihre Bedürfnisse aber nicht massiv von jenen der Erwachsenen: Jugendliche wollen ernst genommen werden, fordern einen wertschätzenden Umgang und benötigen ein gewisses Verständnis für die Entwicklungsphase, in der sie sich befinden. Dabei sind klare Vorgaben und Leitplanken wichtig, ebenso verlässliche Vorbilder, an denen sie sich orientieren können.

Welche Instrumente stellen Sie Ihren Versicherten zur Verfügung?

Wir unterstützen Betriebe und deren Mitarbeitende mittels Kampagnenelementen und mit unseren Angeboten und Präventionsmodulen zum Ressourcen- und Stressmanagement. Dabei weisen wir die versicherten Firmen auch auf Analyseinstrumente wie FWS Job-Stress-Analysis oder den StressNoStress-Check³ hin. In den Sicherheitslehrgängen der Suva und im Lehrgang Betriebliches Gesundheitsmanagement, den wir in Kooperation mit Gesundheitsförderung Schweiz anbieten, zeigen wir Unternehmen Wege und Instrumente auf, welche die psychische Gesundheit aller Mitarbeitenden erhalten und fördern sowie Unfälle und Verletzungen verhindern.

Quellen:

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Christine Bachmann ist stellvertretende Chefredaktorin von HR Today. cb@hrtoday.ch

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