Arbeitsrecht

Rechtsnatur und Auslegung eines Sozialplans

Der Sozialplan ist in der Schweiz gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Das hat zur Folge, dass Sozialpläne von verschiedenen Parteien und mit den verschiedensten Inhalten abgeschlossen werden. Den Sozialplan als einheitlichen Vertragstyp gibt es deshalb nicht. Massgebend für die rechtliche Einordnung des Sozialplans sind neben dem Inhalt in erster Linie die Parteien und die Art des Zustandekommens. Von der Rechtsnatur des Sozialplans hängt dessen Auslegung ab. Ist er als Gesamtarbeitsvertrag zu qualifizieren oder wie ein solcher zu behandeln, sind die darin enthaltenen normativen Bestimmungen – d.h. Bestimmungen über Abschluss, Inhalt und Beendigung der einzelnen Arbeitsverhältnisse – wie ein Gesetz auszulegen. Geht es hingegen um die Anpassung von Individualarbeitsverträgen, kommen die Grundsätze über die Auslegung von Verträgen zum Zug.

In den Entscheiden 4C.401/2006 und 4C.399/2006 vom 12. Februar 2007 kam das Bundesgericht zum Schluss, dass ein zwischen dem Arbeitgeber und den Gewerkschaften oder der Betriebskommission vereinbarter Sozialplan wie ein Gesamtarbeitsvertrag (GAV) und damit wie ein Gesetz auszulegen sei. Gleichzeitig verwarf es die in seinem Urteil 4C.168/2003 vom 17. Oktober 2003 vertretene Auffassung, beim Sozialplan überwiege die vertragliche Rechtsnatur zumindest dann, wenn er hinsichtlich des Gegenstands und des Adressatenkreises begrenzt sei und ihm deshalb der generell-abstrakte Charakter fehle.

Sozialplan mit Arbeitnehmerverband

Vereinbart der Arbeitgeber mit einem Arbeitnehmerverband einen Sozialplan, liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts eine besondere Art des GAV nach OR 356 vor. Die Arbeitnehmer können sich direkt auf die darin zu ihren Gunsten festgeschriebenen Rechte berufen, der Sozialplan wirkt insofern normativ. Daran ändert auch nichts, dass sich ein Sozialplan auf ein ganz bestimmtes Ereignis bezieht, das unter Umständen nur eine begrenzte Zahl der Mitarbeiter eines Betriebs betrifft. Die Bestimmungen des Sozialplans regeln die Auswirkungen des Ereignisses auf die Arbeitsverhältnisse nicht individuell-konkret für den einzelnen Arbeitnehmer, sondern generell-abstrakt für sämtliche betroffenen Mitarbeiter. Ihnen kann deshalb der normative Charakter nicht abgesprochen werden.

Sozialplan gestützt auf Delegationsnorm im GAV

Wird der Sozialplan auf Arbeitnehmerseite gestützt auf eine Delegationsnorm in einem GAV von der Arbeitnehmervertretung des Betriebs abgeschlossen, liegt eine vereinbarte Betriebsordnung im Sinn von Artikel 38/2 des Arbeitsgesetzes vor. Die darin enthaltenen Bestimmungen haben auf Grund der Delegationsnorm des GAV für die Mitarbeiter des Betriebs, die dem GAV unterstellt sind, ebenfalls normative Wirkung, das heisst sie gelten für diese unabhängig vom Willen der Einzelarbeitsvertragsparteien und sind, sofern die GAV-Parteien nichts anderes vereinbaren, unabdingbar und somit für die Einzelarbeitsvertragsparteien relativ zwingend.

Freiwilliger und einseitiger Sozialplan

Stellt der Arbeitgeber von sich aus, also freiwillig und einseitig, einen Sozialplan auf, handelt es sich lediglich um eine Offerte. Nimmt ein Arbeitnehmer diese an, wird der Sozialplan integrierender Bestandteil seines Einzelarbeitsvertrags. Ein solcher Sozialplan hat keine normative Wirkung, das heisst er gilt nur für die Parteien dieses Einzelarbeitsvertrags.

Auslegung eines Sozialplans

Hat ein Sozialplan normativen Charakter, ist er nach den für Gesetze geltenden Grundsätzen auszulegen. Gemäss ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts ist eine Gesetzesbestimmung in erster Linie nach ihrem Wortlaut auszulegen. An einen klaren und unzweideutigen Gesetzeswortlaut ist die rechtsanwendende Behörde gebunden. Abweichungen von einem klaren Wortlaut sind indessen zulässig oder sogar geboten, wenn triftige Gründe zur Annahme bestehen, dass er nicht dem wahren Sinn der Bestimmung entspricht. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm, aus ihrem Sinn und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften ergeben.

Vom klaren Wortlaut kann auch abgewichen werden, wenn die grammatikalische Auslegung zu einem Ergebnis führt, das der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann. Doch ist im Rahmen der Anwendung von normativen Bestimmungen eines GAV die Bedeutung der Unterscheidung zwischen der Auslegung nach den für Verträge geltenden Grundsätzen und nach denjenigen für Gesetze nicht zu überschätzen. So haben die normativen Bestimmungen eines GAV zwar eine gesetzesähnliche Funktion. Sie gründen aber dennoch in einem Vertrag, so dass der Wille der am Abschluss des GAV beteiligten Parteien ein gewichtigeres Auslegungselement ist als derjenige des Gesetzgebers bei der Gesetzesinterpretation. Doch ist gemäss Bundesgericht bei der Auslegung der normativen Bestimmungen mit Rücksicht auf den Schutz des Vertrauens der an der Normsetzung nicht beteiligten Einzelvertragsparteien immer zu fragen, ob der nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung ermittelte Vertragswille auch einer objektiven Auslegung nach Wortlaut, Sinnzusammenhang und Ratio standhält.

Hat ein Sozialplan keine normative Wirkung, ist er wie ein Vertrag auszulegen. Der Inhalt eines Vertrags bestimmt sich in erster Linie nach dem übereinstimmenden wirklichen Parteiwillen. Kann kein solcher ermittelt werden, sind die Erklärungen der Parteien auf Grund des Vertrauensprinzips so auszulegen, wie sie nach ihrem Wortlaut und Zusammenhang sowie den gesamten Umständen verstanden werden durften und mussten.

Sozialplan und Betriebsübergang

Überträgt der Arbeitgeber gemäss OR 333 den Betrieb oder einen Betriebsteil auf einen Dritten, so geht das Arbeitsverhältnis von Gesetzes wegen mit allen Rechten und Pflichten auf den Erwerber über, sofern der Arbeitnehmer den Übergang nicht ablehnt. Die damit verbundene solidarische Haftung gilt gemäss Bundesgericht (BGE 132 III 32) auch für die Forderungen aus einem Sozialplan, der vom ehemaligen Arbeitgeber zugunsten seines Arbeitnehmers aufgestellt wurde. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Sozialplan durch Vereinbarung mit einem Arbeitnehmerverband zustande gekommen ist oder als Vereinbarung mit den betroffenen Arbeitnehmern. Im ersten Fall ist der Sozialplan eine besondere Art des GAV und somit OR 333/1bis anwendbar, im zweiten Fall ist der Sozialplan integrierender Bestandteil des Einzelarbeitsvertrags geworden und wird entsprechend mit diesem auf den neuen Arbeitgeber übertragen. Hingegen ist bei der Auslegung eines Sozialplans auch im Rahmen eines Betriebsübergangs dessen Rechtsnatur, wie in den vorhergehenden Ausführungen dargelegt, massgebend.

  • Dieser Text entstammt der Publikation «Arbeitsrecht» Nr. 101 des Centre Patronal.
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Peter Schüpbach, lic. iur., ist verantwortlicher Redaktor der Publikation «Arbeitsrecht» des Centre Patronal.