Sie sind vom Gardisten zum Rekrutierungsverantwortlichen geworden: Was haben Sie aus Ihrer Gardezeit mitgenommen?
Bernhard Messmer: Seit meiner Aktivzeit sind gut 40 Jahre vergangen, vieles hat sich seither verändert. Geblieben ist der Geist dieser Institution. Wer sich in dieses Korps einfügen kann, sich unterordnet und seinen Beitrag leistet, nimmt Werte wie Loyalität, Pflichtbewusstsein sowie Kameradschaft mit, die ihn ein Leben lang prägen und begleiten.
Was unterscheidet die Suche nach Gardisten vom «klassischen» HR-Recruiting?
Ob ich nun einen CFO für ein Unternehmen suche oder einen guten Schweizergardisten – ich muss mir immer überlegen: Wo befindet sich mein Zielpublikum? Wie komme ich an die richtigen Kandidaten heran? Einen CFO finde ich definitiv nicht am selben Ort wie einen Gardekandidaten.
Wo wäre das?
Definitiv nicht auf einem üblichen Online-Jobplattform mit Stellenanzeige. Wir setzen seit 2018 auf Sichtbarkeit durch Direktkontakt. Beispielsweise sind wir an allen grossen Berufsmessen in der Schweiz mit einem Stand präsent. Wichtig ist uns dabei, dass nicht nur wir «älteren» Vertreter des Korps vor Ort sind, sondern auch aktive junge Gardisten, die zurzeit in Rom im Dienst stehen. So können sich interessierte Jugendliche mit Gleichaltrigen austauschen. Diese Initiative funktioniert sehr gut für die Rekrutierung.
Daneben besuchen wir mit aktiven Gardisten auch Schweizer Rekrutenschulen und Gymnasien oder sind auch an grossen historischen Veranstaltungen wie beispielsweise der «Fête des Vignerons» vertreten. Unser Ziel ist es, in der ganzen Schweiz sichtbar zu sein – und das zeigt Wirkung. Dank dieser öffentlichkeitswirksamen Massnahmen konnten wir ab 2018 den Soll-Bestand innerhalb von 2 Jahren von 110 auf 135 Gardisten erhöhen. Dann kam 2020 die Pandemie und hat uns wieder etwas zurückgeworfen. Inzwischen sind wir aber wieder auf altem Niveau. Dennoch bleibt es eine Herausforderung, rund ein Drittel der Truppe jährlich zu ersetzen.
Nebst Direktansprache setzen Sie auch stark auf Online-Recruiting und Social Media.
Wir haben früh in die digitale Entwicklung investiert und den gesamten Rekrutierungsprozess digitalisiert. Auch auf Instagram sind wir inzwischen sehr präsent mit über 364'000 Followern. Der Kanal wird fast ausschliesslich von unseren Gardisten bespielt. Viele von ihnen sind medienaffin, fotografieren hervorragend oder schneiden eigene Trailer. Das alles trägt dazu bei, dass wir deutlich mehr Sichtbarkeit gewinnen und damit auch mehr Raum für die Rekrutierung schaffen.
Die Zielgruppe zu erreichen, ist eine Herausforderung. Wie positioniert sich die Schweizergarde bei der Rekrutierung in Zeiten gesellschaftlichen Wandels, die von mehr Individualismus und sinkender Bindungsbereitschaft geprägt sind?
Diese Werte haben in diesem Umfeld eine andere Bedeutung. Wenn Arbeit ansteht, wird sie erledigt. Ob man das cool findet, spielt keine Rolle. Also wenn der Papst an Ostern verstirbt, wie das in diesem Jahr mit Franziskus passierte, bedeutet das noch mehr Arbeit, als Ostern ohnehin mit sich bringt – dann wird gerannt. Gerade in solchen strengen Phasen entsteht aber auch ein starker Teamgeist: Er schweisst die Menschen zusammen. Die zentrale Frage ist, ob sich ein junger Mann zwischen 19 und 30 Jahren darauf einlassen kann und ob er bereit ist, seinen Beitrag zu leisten. Das verlangt eine gewisse Selbstlosigkeit. Man tut es nicht für sich selbst, sondern für das Ganze.
Wie merkt man, dass jemand wirklich passt?
Es existieren klare Grundvoraussetzungen. Wobei nebst diesen harten Fakten die weichen Faktoren eine ebenso wichtige Rolle spielen. Also passt diese Person ins Team? Die Gardisten arbeiten und leben praktisch rund um die Uhr zusammen. Deshalb sind Persönlichkeitsaspekte entscheidend, beispielsweise der familiäre Hintergrund: Wird jemand von der Familie unterstützt? Kommt er aus einer Familie mit mehreren Kindern oder ist er Einzelkind? Letzteres ist weder gut noch schlecht, aber oft fällt die Integration leichter, wenn man von klein auf gelernt hat, Dinge zu teilen. Auch die persönliche Einstellung ist wichtig: Wie steht jemand zum Papst und zur katholischen Kirche? Die Identifikation ist sehr wichtig.
Ist das nicht eine Herausforderung in Zeiten, in denen es inzwischen mehr Konfessionslose als Religionszugehörige gibt?
Das stimmt. Der Anteil konfessionsloser Jugendlicher wächst stetig, und das macht unsere Arbeit nicht leichter. Dennoch machen wir keine Kompromisse. Wenn jemand die Grundvoraussetzungen nicht erfüllt, nehmen wir ihn nicht auf, auch wenn wir uns manchmal über zusätzliche Kandidaten freuen würden. Wir bleiben unseren Anforderungen treu.
Was klären Sie noch ab?
Nebst den persönlichen Gesprächen lasse ich von den Kandidaten immer auch ein Persönlichkeitsprofil erstellen. Dafür arbeite ich mit einer Firma zusammen, die sich auf psychologische Diagnostik spezialisiert hat und auch mit Zoll, Polizei und Armee zusammenarbeitet. Damit prüfe ich, inwieweit sich meine persönliche Einschätzung mit diesem Profil deckt.
Wer ist der ideale Schweizergardist?
Den gibt es nicht. Die Schweizergarde besteht aus 135 Gardisten, die die gesamte Schweiz mit den verschiedenen Sprachregionen und den damit verbundenen Eigenheiten widerspiegeln. Dazu kommen ganz unterschiedliche Hintergründe. Bei uns sind Akademiker mit Studienabschlüssen ebenso vertreten wie Handwerker. Diese Vielfalt macht die Garde besonders. Auch wenn der kollektive Gedanke im Zentrum steht und Individualismus wenig Platz hat, ist die Diversität gross – und genau das macht die Zusammenarbeit spannend.
In den letzten Jahren hat sich zudem in Bezug auf Herkunft und Prägung viel getan, so sind inzwischen auch Gardisten mit Migrationshintergrund Teil des Korps. Wichtig ist uns einfach, dass jemand den grössten Teil seines Lebens in der Schweiz verbracht hat und mit der Kultur vertraut ist. Heute haben wir Bewerber mit brasilianischem, indischem, polnischem oder italienischem Hintergrund. Auch das ist ein Spiegelbild der Schweiz und bereichert unsere Gemeinschaft durch seine Vielfalt.
Voraussetzungen für Kandidaten beim Eintritt in die Schweizergarde
- Praktizierender Katholik
- Schweizer Bürger
- Männlich
- Zivilstand ledig
- Mindestalter 19 Jahre, Maximalalter 30 Jahre
- Richtkörpergrösse: 1,74 Meter
- Einwandfreie Gesundheit
- Einwandfreier Leumund
- Ausbildung (abgeschlossene Berufslehre EFZ oder Matura)
- Abgeschlossene Rekrutenschule
- Verpflichtung für 26 Monate
- Führerausweis (Kategorie B)
Wie sieht Ihr Alltag als Verantwortlicher für die Rekrutierung der Schweizergarde aus?
In Glarus führe ich weiterhin meine eigene Personalberatungsfirma, das ist mir wichtig. Doch die Schweizergarde nimmt inzwischen den grössten Teil meines beruflichen Lebens ein; in diesem Jahr war ich bereits sieben Mal in Rom. Grundsätzlich reise ich etwa einmal im Monat dorthin, meist von Sonntag bis Mittwoch. Während meiner Aufenthalte dort stehen Besprechungen und diverse Anlässe auf dem Programm. Im Grunde bin ich ständig unterwegs, empfinde das aber nicht als Belastung, sondern als spannende und verantwortungsvolle Aufgabe.
Wie eng ist Ihr Austausch mit dem Kommandanten? Haben Sie Einfluss auf strategische Personalfragen?
Der Austausch mit dem Kommandanten ist eng, vertrauensvoll und regelmässig. Ich begleite die Bewerber durch den gesamten Auswahlprozess, verfasse am Ende einen Bericht und stelle den Antrag auf Aufnahme. Wenn ich zum Schluss komme, dass ein Kandidat passt, bespreche ich mich mit dem Kommandanten und dem Garde-Kaplan. Die finale Entscheidung trifft dann der Kommandant. Seine Einschätzungen und Erwartungen sind für mich sehr wichtig, denn er arbeitet direkt mit den Gardisten vor Ort. Deshalb ist es zentral, dass ich regelmässig in Rom bin, um mich persönlich mit ihm auszutauschen. Dabei besprechen wir, was wir beibehalten wollen und wo Veränderungen nötig sind. In den vierzehn Jahren, in denen ich diese Aufgabe ausübe, hat sich vieles gewandelt. Als Rekrutierungsverantwortlicher beschäftige ich mich auch intensiv mit der Zukunft.
Inwiefern kümmern Sie sich auch um das Onboarding und die Begleitung vor Ort?
Ich begleite die Rekruten vom Erstkontakt bis zum Einrücken. Am 31. August reise ich beispielsweise mit 14 neuen Gardisten gemeinsam nach Rom, dort übergebe ich die Gruppe dem Instruktor, der dann die Ausbildung übernimmt. Danach ist meine Aufgabe formal abgeschlossen. Ich bleibe noch zwei Tage vor Ort, habe Sitzungen mit meinen Ansprechpartnern, beispielsweise dem Kommandanten oder dem Personalchef vor Ort, und bin bei den Rapporten dabei. Je nachdem, welche Themen anstehen, vertiefen wir einzelne Fragen. So bin ich eng in die Prozesse eingebunden und weiss immer, was läuft. Das ist mir sehr wichtig. Aber wie gesagt: Mit dem Einrücken ist meine Aufgabe im Grunde abgeschlossen. Hin und wieder kommt es jedoch vor, dass sich ein ehemaliger Gardist nach seiner Rückkehr in die Schweiz bei mir meldet. Zum Beispiel mit der Bitte um Feedback zum Lebenslauf oder um Bewerbungstipps.
Apropos ausgetretene Gardisten: Inwieweit lassen sich ihre Erfahrungen auf Unternehmen in der Schweiz übertragen?
Die Schweizergarde wird in der Öffentlichkeit oft mit Sicherheitsdienst und Personenschutz in Verbindung gebracht. Das ist durchaus ein Teil ihrer Aufgabe, aber was viele nicht wissen, ist, dass ein grosser Teil der Gardisten einen höheren Abschluss besitzt. Aktuell gibt es etwa gleich viele Gardisten, die nach der Zeit bei der Garde ein Studium an der Universität aufnehmen, wie solche, die in den Sicherheitsbereich gehen. Unabhängig vom fachlichen Hintergrund handelt es sich um Menschen, die im Unternehmensalltag geschätzt werden, denn sie zeichnen sich durch Loyalität aus und halten auch in schwierigen Situationen durch. Diese Eigenschaften gewinnen bei Unternehmen zunehmend an Bedeutung – auch bei der Rekrutierung spüren wir das. In der Schweiz besteht ein echtes Interesse an ehemaligen Gardisten. Es gibt Organisationen, die gezielt sagen: Wer zwei Jahre bei euch war, dem trauen wir eine erfolgreiche berufliche Zukunft zu.
Kommendes Jahr ist der Start des Kasernenneubaus der Garde geplant. Mit den damit einhergehenden besseren Platzverhältnissen wird von einigen Seiten die Frauenfrage wieder laut. Ist eine Frau in der Garde je realistisch?
Ob Frauen künftig ein Thema in der Garde sein werden, können weder Sie noch ich entscheiden. Das liegt allein beim Papst.
Wie sehen Sie die Zukunft der Garde? Haben Sie einen Wunsch?
Mein Wunsch ist, dass wir auch künftig junge Kandidaten rekrutieren können, in ausreichender Zahl und mit der nötigen Qualität, damit wir diese über fünfhundertjährige Tradition weiterführen können. Die Schweizergarde ist ein Aushängeschild der Schweiz, auch im Ausland. Der Papst gehört zu den meistgezeigten Persönlichkeiten der Welt und wenn er im Fernsehen erscheint, steht fast immer ein Schweizer an seiner Seite, sei es in Uniform oder zivil.