HR Today Nr. 3/2021: Recruiting unter erschwerten Umständen

«Stinkstiefel sind unerwünscht»

Auf der Alphütte, im Tonstudio, bei der Tierbetreuung, in einem vornehmen Privatanwesen oder im Theater: Nachwuchskräfte braucht es allerorts. Doch wie rekrutiert man Menschen mit ungewöhnlichen Profilen? Wir haben uns umgehört.

«In den letzten 40 Jahren habe ich ungefähr 35 Hüttenwartstellen besetzt», sagt Ruedi Frank, Hüttenverantwortlicher der Bündner SAC-Sektion Rätia, zu der sechs Hütten gehören. Das Re­cruiting-Karussell dreht sich nicht nur im Flachland immer schneller. Auch in Bergen hat die Verweildauer rasant abgenommen. «Wir sind froh, wenn Hüttenwarte vier bis fünf Jahre bleiben», sagt Frank. Geändert hätten sich vor allem die Anstellungsbedingungen. «Vor 25 Jahren waren Hüttenwarte bei den SAC-Sektionen fest angestellt und hatten einen Arbeitsvertrag mit allen Sozialversicherungen.» Heute unterschreiben Anwärter einen Pachtvertrag und müssen ihre Betriebskosten mit dem Getränke- und ­Essenskonsum von Tagesgästen sowie den Übernachtungen decken. Auch den steigenden Ansprüchen der Gäste hätten sie Rechnung zu tragen: «Hüttenwarte müssen ihre Gäste kennen und ihr Angebot darauf ausrichten», erklärt Frank. Beispielsweise für heisses Wasser in der Hütte sorgen sowie Toiletten, Duschen und Doppelzimmer bereitstellen.

Nicht alle Hüttenstellen sind bei den Anwärtern gleichermassen beliebt. Solche in hochalpinem Gelände seien besonders schwierig zu besetzen. Das hat seine Gründe: «Auf 2800 Metern muss man sich logistisch besonders gut organisieren.» Das heisst: Lebensmittel einkaufen, mit dem Helikopter hochfliegen, tropfende Wasserhähne selbst flicken, die Wege zur Hütte zugänglich machen, Gestrüpp zurechtstutzen, Trinkwasser aufbereiten und die Stromzufuhr managen. Auch unangenehme Arbeiten wie das Leeren der Fäkalgruben gehören zum Aufgabenportfolio eines Hüttenwarts. Das Anforderungsprofil für diese Stelle ist deshalb durchaus anspruchsvoll: Gastroerfahrung, betriebswirtschaftliches Denken, EDV-Kenntnisse und handwerkliches Geschick sind gefragt. ­Daneben muss ein Hüttenwart in abgelegenen Hütten auch mit sich selbst klarkommen: «Je nach Wetterlage kommt dort tagelang niemand vorbei», sagt Frank.

Von etwas anderen Voraussetzungen geht der ehemalige Banker und heutige Privatbutler Daniel Haering aus, der sich zusammen mit seiner Frau um die Wünsche einer betuchten Kundschaft kümmert. Haering bezeichnet sich als Krisenmanager. Seine Aufgaben reichen vom kurzfristigen Neudruck einer Hochzeitskarte, auf der die Namen des Hochzeitspaares fehlten, bis hin zum Hausumbau in Abwesenheit der ­Besitzer. Das Dienen steht für ihn über allem. «Ruft uns jemand spätabends oder kurzfristig an, sind wir auch dann für ihn da.» Beispielsweise für eine Kundin, die ihm aufgelöst mitteilte, dass ihre «Home made»-Guetzli, die sie für eine nach­barschaftliche Feier gebacken hatte, verregnet wurden. Auch in dieser Situation erweist sich Haering als Helfer in der Not: Er engagiert kurzerhand einen befreundeten Bäcker, der über Nacht 24 Kilo Guetzli produziert und damit das Quartierfest rettet. Um seine Aufträge abzuwickeln, ist Haering auf verlässliche Partner angewiesen. Seine Erwartungen? «Dass sie dienstbeflissen sind und eine Extrameile gehen.» Engagiert wird nur, wen Haering kennt und vertraut.

Auch für den in Biel ansässigen Musiker ­Jérôme Mevis ist Letzteres das A und O bei der Auftragsvergabe. Beispielsweise, wenn er mit Musikern, Videoproduzenten oder Statisten Lieder vertont, wie der kürzlich auf Spotify und iTunes erschienene Song «When the Sun Comes up». Alles andere könne man dagegen «regeln oder zurechtbiegen».

Auslaufmodell Nachbarschaftshilfe

Die vor 18 Jahren von Andy Förster gegründete Haustierbetreuung GmbH floriert. Hauptsächlich, weil die Quartiere anonymer würden und die Nachbarschaftshilfe verschwinde. «Viele Menschen fahren mit dem Auto in die Tiefgarage, mit dem Lift in die Wohnung und begegnen niemandem.» Seine Kunden seien deshalb froh, wenn er ihren Hund spazieren führe, ihre Katzen füttere und das Katzenklo leere. «So können sie beruhigt in die Ferien fahren.» Seit der Firmengründung hat sich Förster einen guten Ruf gemacht und wird oft um Hilfe gebeten, wenn es andernorts nicht klappt: «Katzenbesitzer rufen uns beispielsweise aus den Ferien an, weil ihre Tiere nicht wie abgemacht gefüttert werden.» Die Tierbetreuung ist für ihn ein ernsthafter Beruf, der nicht nur darin besteht, «Futter hinzuschmeissen». Der Umgang und die Erfahrung mit Tieren sind bei einem Heimtierbetreuer für Förster deshalb essenziell. «Wer noch nie eine Katze besass, weiss nicht, wie er mit ihr umgehen soll. Die Heimtierbetreuung erfordere zudem nicht nur Fachwissen, sondern auch viel Menschenkenntnis und die Fähigkeit, sich zu organisieren: «Unsere Mitarbeitenden sind sehr autonom, betreuen ein eigenes Gebiet und vereinbaren Erstgespräche sowie Betreuungstermine.» Die Tatsache, dass sie Privatwohnungen betreten, erfordert einen grossen Vertrauensvorschuss. «Ein einwandfreier Leumund ist mir sehr wichtig», sagt Förster. «Wir dürfen uns nichts zuschulden kommen lassen.» Weniger bedeutend sei, ob jemand alle erforderlichen Zertifikate mitbringe. «Passt alles andere, ermöglichen wir Mitarbeitenden eine Ausbildung zum Tierbetreuer Katze/Hund FBA.»

Rolf Corver verantwortet beim Casinotheater Winterthur die Programme von «Stille Kracht» und «Bundesordner» und legt beim Engagement seiner Künstlerinnen und Künstler grossen Wert auf eine ausgewogene Mischung des Bühnenprogramms. «Alle Teile müssen wie bei einem Puzzle zusammenpassen.» Nebst der Qualität des Programms erfordere das Engagement aber auch eine menschliche Umgänglichkeit: «Stinkstiefel sind bei uns unerwünscht.» Bei «Stille Kracht» sind es immerhin 20 bis 25 und beim «Bundesordner» zehn Menschen, die neben der Bühne miteinander auskommen müssen.

Mit Empfehlungen zu Nachwuchskräften

«Es spricht sich herum, wenn ein Hüttenwart pensioniert wird oder aufhört», sagt Ruedi Frank. Deswegen stammen Hüttenwartnachfolger meist aus der Region. Trotzdem schreibt er seine Stellen auch auf dem Hüttenwartportal sentiero.ch aus und inseriert in den SAC-Clubnachrichten. Viele Interessenten seien zudem Absolventen eines zweijährigen Hüttenwart-Kurses oder ehemalige Praktikanten, die zwei Wochen in einer Hütte gearbeitet hätten. Diese Kandidaten sind ihm am liebsten: «Sie wissen, was auf sie zukommt.» Über einen Bewerbermangel kann Frank sich trotz hoher Anforderungen nicht beklagen: «Durchschnittlich erreichen unsere Sektion pro ausgeschriebene Hüttenwartstelle zwischen 10 und 25 Bewerbungen.» Fast 50 Prozent allein über sentiero.ch. Unabhängig davon erhält Frank auch einzelne Bewerbungen von Menschen, «die sich von Fernsehsendungen haben blenden lassen». Für ihn trennt sich der Spreu rasch vom Weizen: «Meist zeigen schon das Motivationsschreiben und der Lebenslauf, ob jemand geeignet ist oder nicht», sagt Frank. Habe jemand beispielsweise keine Ahnung, wo sich die betreffende Hütte befinde, sei die Sache schon gelaufen. Im Vorstellungsgespräch müssten die Bewerbenden zudem aufzeigen, wie sie die Hütte positionieren wollen. «Falls ich trotz aller Qualifikationen immer noch ein schlechtes Bauchgefühl habe, hole ich Referenzen ein.»

Privatbutler Haering findet passende Geschäftspartner meist durch Empfehlungen seines grossen Netzwerks. Bei der Auswahl dient ihm als Qualitätssicherung vor allem die soziale Kontrolle: «Ein regional tätiger Dachdecker begegnet meinem Kunden auch im Alltag. Er kann es sich nicht erlauben, eine schlechte Leistung zu erbringen.»

Am Naheliegenden orientiert sich auch Musiker Jérôme Mevis: «Ich halte meine Augen und Ohren ständig offen, um fähige Leute auf ­sozialen Netzwerken oder in örtlicher Nähe zu finden. Wenn ich jemandem begegne, der mir persönlich oder durch seine Fähigkeiten zusagt, behalte ich ihn für künftige Projekte im Hinterkopf.» Um ­Mitstreiter zu finden, kann Mevis zudem auf das riesige Netzwerk seines Produzenten zurückg­reifen: «Ob Schlagzeuger oder Violinist – er kennt sie alle.» Auch für Videos rekrutiert Mevis in der ­Umgebung. «In Biel leben so viele spannende Persönlichkeiten. Es ist nicht nötig, weiter weg zu suchen.» Die örtliche Nähe erleichtere zudem die Projektarbeit. Ob jemand passt, zeigt sich für ­Mevis beim Tun: «Man ist sich schnell einmal sympathisch. Verlässlichkeit und Engagement zeigen sich dagegen erst im Projektverlauf.»

Um geeignete Kandidaten zu finden, bedient sich Heimtierbetreuer Andy Förster der sozialen Medien. «In den letzten Jahren haben wir unsere Stelleninserate nur noch auf Facebook aufgeschaltet.» Manche Fans seiner Heimtier-Betreuungseite home-alone.ch oder seines Tierfutter-Shops gesundestierfutter.ch werden sogar zu Mitarbeitenden. Erst kürzlich hat Förster einen ehemaligen Kunden angestellt. Das ist für ihn ein Glücksfall: «Wir kennen uns, ich weiss wer er ist, und er weiss, was wir tun.» Und das Beste: «Er freut sich über seine neue Tätigkeit, obwohl er viel weniger verdient als in seinem alten Job.»

Personal, sprich beliebte Künstlerinnen und Künstler, zu finden, ist für Corver beim Casino­theater Winterthur dagegen vor allem eine Frage des Zeitpunkts. «Sind die Leute sehr gefragt, buche ich sie zwei bis drei Jahre vor ihrem Auftritt.» Um Talente zu entdecken, besucht er zudem internationale Festivals, Nachwuchsveranstaltungen, Poetry Slams und Comedy Shows. Daneben nutzt er sein grosses Netzwerk: «Oft machen uns befreundete Künstler oder Veranstalter auf Aussergewöhnliches aufmerksam.» Beim Engagement verlässt sich Corver auf seine Erfahrung und sein Gefühl, stimmt sich mit dem Regieverantwortlichen des Casinotheaters ab oder besucht zusammen mit Kolleginnen und Kollegen weitere Veranstaltungen.

Verlässliches Bauchgefühl

Fehlentscheidungen haben Hüttenwart Ruedi Frank, Heimtierbetreuer Andy Förster sowie der Casinotheater-Programmverantwortliche Rolf Corver schon gemacht. Sie sind jedoch eher die Ausnahmen als die Regel: «In den vergangenen 40 Jahren hatten wir nur eine Fehlbesetzung», sagt Frank. Ein Fehler, der nach einem Jahr korrigiert wurde, nachdem aufgefallen war, dass einige Reparaturen im Haus nicht erledigt worden waren oder der Weg nicht gewartet worden war. «Kleine Dinge, die aber entscheiden, ob jemand als Hüttenwart geeignet ist oder nicht.» Einen Grund, den gesamten Bewerbungsablauf über den Haufen zu werfen, sieht er aufgrund dieses einmaligen Falls aber nicht.

Auch für Förster ist nicht immer leicht erkennbar, ob ein Bewerber seine Aufgaben künftig erfüllen und mit Engagement bei der Sache sein wird. Vor allem die Tendenz zur Selbst­darstellung ist für ihn im Bewerbungsgespräch problematisch: «Kandidaten schwärmen zuerst von der Tätigkeit als Heimtierbetreuer und teilen mir am Vorabend des ersten Arbeitstags dann mit, dass sie doch keine Lust mehr haben.» Für ihn ein Schlag, weil er zu diesem Zeitpunkt bereits viel in die Einarbeitung des neuen Mitarbeitenden investiert hatte. Bei unbekannten Bewerbenden investiert Förster deshalb zunehmend mehr Zeit in den Bewerbungsprozess und verschafft sich zunächst ein Bild über dessen Social- Media-Auftritt: «Wer permanent an der frischen Luft ist und mit seinen Hunden spazieren geht, erscheint glaubwürdiger, als jemand, der Stunden zu Hause mit Gamen verbringt.» Daneben führt er mehr Gespräche. Etwa bei sich zu Hause, wo Kandidaten auf fünf Hunde und mehrere Katzen treffen, indem er mit diesen Spaziergänge macht oder sie in seinem Tierfutterladen in Pfungen empfängt. Daneben nimmt er sie mit auf Betreuungstouren und macht sie vertraut mit den Geschäftsabläufen. Ein klares No-Go von Bewerberseite? «Wenn jemand gleich zu Beginn fragt, ob er seine Spesen aufschreiben kann.» Auch Corver kann von einer Pleite berichten: «Vor Jahren habe ich einen australischen Schattenspieler in Berlin getroffen. Weil er so gut war, wollte ich ihn unbedingt in die Schweiz bringen.» Der Künstler hatte jedoch in der Zwischenzeit andere Leute angelernt, die unter seinem Namen mit einer Show aufgetreten sind. «Dieses Lizenzmodell hat nicht funktioniert. Ich hätte nochmals einen Auftritt besuchen müssen.»

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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