Arbeit und Recht

Verletzung des Vier-Augen-Prinzips – Kadermitarbeiterin fristlos entlassen

Urteil des Bundesgerichts vom 2. August 2012 (4A_236/2012).

Das Urteil

Die Klägerin war seit September 2002 bei der Beklagten, einer Genfer Bank, angestellt. Nach einigen Beförderungen war sie ab April 2007 für die Abteilung Special Investor Group Personnel (SIGPE) verantwortlich. Die Abteilung war vom 4-Augen-Prinzip beherrscht, was dazu führte, dass die Kadermitarbeiterin die von ihren Untergebenen erfassten Zahlungsaufträge von Kunden über einen Betrag von mehr als CHF 20 000.– freigeben und bei Zahlungen von mehr als CHF 100 000.– beim Kunden telefonisch eine Bestätigung über den Zahlungsauftrag einholen musste. Die Sicherheitsvorschriften sahen ausserdem vor, dass Tages- und Wochenrapporte über alle getätigten Transaktionen visiert werden.

Nach einem Streit Mitte Februar 2010 mit zwei Untergebenen kam ans Licht, dass die Klägerin sich offenbar seit langem eigenmächtig über das Vier-Augen-Prinzip hinweggesetzt hatte. Sie hatte ihren Mitarbeitern nicht nur ihr Passwort ausgehändigt, damit diese ihre eigens erfassten Zahlungsaufträge selbst freigeben konnten, sondern auch die Rückrufe beim Kunden und das Visieren der Tages- und Wochenrapporte an die Mitarbeiter delegiert. Nach Bekanntwerden dieser Tatsachen entliess die Bank sie fristlos. Mit der fristlosen Entlassung zeigte sich die ehemalige Arbeitnehmerin aber nicht einverstanden und reichte im September 2010 Klage ein. Sie verlangte die Lohnzahlung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist und eine Entschädigung für die fristlose Entlassung über total mehr als CHF 90 000.–.

Sowohl die Vorinstanzen als auch das Bundesgericht qualifizierten die Verfehlungen der Arbeitnehmerin als schwer und stellten fest, dass die fristlose Entlassung zu Recht erfolgt ist. Die Kadermitarbeiterin hatte kein Recht, die von der Arbeitgeberin angeordneten Sicherheitsvorkehrungen eigenmächtig zu unterlassen, nur weil die Arbeit ohne diese leichter oder schneller vonstatten ging. Sie konnte auch nicht davon ausgehen, dass es sich bei der Missachtung dieser Sicherheitsvorschriften um eine Banalität handelte und dass ein anderer Mitarbeiter ihre Aufgaben in gleicher Weise verrichten könne wie sie selbst. Als Mitglied des Kaders genoss sie besonderes Vertrauen der Arbeitgeberin. Diese durfte von ihr erwarten, dass sie die vorgeschriebenen Prozesse einhält. Dass die Arbeitnehmerin diese Sicherheitsmassnahmen über einen Zeitraum von etwa drei Jahren missachtet hat, kam erschwerend dazu. Die Gerichte wiesen die Klage der Arbeitnehmerin aus den vorgenannten Gründen vollumfänglich ab.

Konsequenz für die Praxis

Fristlose Entlassungen sind für den Arbeitgeber oft heikel. Zu Recht haben die Gerichte das Vorgehen der Arbeitgeberin in diesem Fall geschützt. Arbeitnehmer sollten sich bewusst sein, dass die von der Unternehmung erlassenen Prozessabläufe verbindlich sind. Arbeitgeber ihrerseits können allenfalls solchen Fälle etwas entgegenwirken, indem sie ein Klima schaffen, dass auch Kritik zulässt. In diesem Fall wurde dies allerdings nicht angeprangert.

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Yvonne Dharshing-Elser arbeitet als Anwältin in der Steuer- und Rechtsabteilung der OBT AG in Zürich. Sie berät vorwiegend KMU in Fragen des Arbeits-, Vertrags- und Gesellschaftsrechts.

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