«Rechtschreib-Bibel» baut Personal ab

Vom Internet überrollt: Der Niedergang des Duden-Verlags

Das auf Papier gedruckte Wort hat seit Jahren einen schweren Stand. Printprodukte verkaufen sich immer schlechter, Inserate werden seltener in Zeitungen oder Zeitschriften gedruckt, selbst Bücher gibts immer öfter in digitaler Form. Nachvollziehbarerweise geht der Niedergang vieler Verlage auch mit dem Abbau von tausenden von Stellen in der Branche einher. Nun hat es das Standardwerk der Rechtschreibung getroffen: Der Duden-Verlag trennt sich von einem grossen Teil seines Personals. Schuld sei das Internet, heissts.  

Mannheim/Berlin (sda/dpa/sr). Als Redaktor Michael Bauer 1984 anfing, bei der Firma Brockhaus in Wiesbaden Lexikon-Einträge zu erarbeiten, kannten das Internet allenfalls ein paar Spezialisten. «Wir haben damals die Manuskripte noch auf der Schreibmaschine getippt», erinnert sich Bauer und muss selber darüber lachen.

Heute arbeitet er beim Bibliographischen Institut (BI) in Mannheim, bekannt als der Verlag, in dem die Rechtschreibfibel Duden erscheint. Derzeit muss er sich als Betriebsrat und somit Vertreter des Personals mit 140 Kündigungen auseinandersetzen.

Von dem einst erfolgreichen Mannheimer Verlag wird nicht mehr allzu viel übrigbleiben. Das Internet mit seinem Flaggschiff Wikipedia hat die Lexikonbranche in ihrer alten Form einer Belastungsprobe unterzogen, die nicht alle überstanden haben.

Keine Gewinne mehr - Belegschaft zieht gegen Arbeitgeber vor Gericht

Von den 190 Mitarbeitern des BI in Mannheim sollen noch etwa 20 vor Ort bleiben, ein paar andere könnten mit nach Berlin umziehen, wo die BI-Mutter Cornelsen die Aktivitäten «bündeln» will. Dort, in der Hauptstadt und nicht mehr im überschaubaren Mannheim, wird dannzumal auch der Duden produziert - auf Papier und im Internet.

Das Personal wehrt sich zwar gegen die Anfang des Monats bekanntgegebene Sanierungsmassnahme, dürfte die Absichten des Verlags aber höchstens verzögern und kaum mehr verhindern können. Der Betriebsrat blitzte unlängst vor Gericht ab. Die Personalverteter wollten gegen die Abbau- und Umzugspläne des Arbeitgebers eine einstweilige Verfügung erwirken. Chancenlos.

Gewinne konnte das BI in den vergangenen Jahren nicht mehr erwirtschaften. Dabei war nicht der Duden das Problem, sondern die Tatsache, dass durch das Internet grosse Teile des Geschäfts weggebrochen sind.

Zum BI mit Marken wie Duden und Meyers gehörte lange Zeit auch der Brockhaus mit der gewaltigen 30-bändigen Enzyklopädie. In der vor-digitalen Welt liefen die Geschäfte prächtig, dann kam das Internet. Und vor allem Wikipedia.

Das Mitmach-Weblexikon mit seiner nahezu unerschöpflichen Fülle an Informationen - auch zu den abseitigsten Themen - liess immer mehr Menschen die Frage stellen: Warum soll ich mir für viel Geld ein mehrbändiges Lexikon kaufen, wenn ich Informationen mit ein paar Mausklicks im Internet bekommen kann - und zwar kostenlos? Freilich nicht immer so korrekt und faktentreu wie ein «echtes», recherchiertes Nachschlagewerk, aber das scheint zunehmend weniger Konsumenten zu kümmern. Unterdessen vertrauen selbst Journalisten und Autoren seriöser Medien auf die «Je-Ka-Mi»-Lexika aus dem Internet.

Ratlosigkeit herrscht

Es ist nicht einmal so, dass sie in Mannheim das Internet verschlafen oder unterschätzt hätten. Das behauptet auch der Betriebsrat nicht. Der Vorstand habe schon «das Ohr an der digitalen Welt» gehabt, sagt Bauer.

Wenn man ihn fragt, wann und wo denn letztlich die entscheidenden strategischen Fehler gemacht worden seien, weiss auch er keine einfache Antwort. Auch ein Verlagssprecher sagt: «Es ist ja nicht so, dass nicht alles versucht worden wäre.» Eine rechtzeitige und vor allem funktionierende Internetstrategie die letztlich gewinnbringend ist, hat der Verlag bis heute nicht entwickeln können. Wie wohl die meisten Verlage auf der Welt auch keine solche Strategie haben.

Manche Ideen des Duden-Verlags BI wirken rückblickend sogar recht skurril: So gab es 2008 Pläne, eine Art Brockhaus-Online in Konkurrenz zu Wikipedia aufzubauen, das über Werbung finanziert werden sollte. «Das grenzte an Grössenwahn», sagt Bauer heute.

Aus dem Plan wurde nichts, Brockhaus wurde danach an den Bertelsmann-Konzern abgegeben. «Das war der Anfang vom Ende», sagt Bauer. Das BI gab das Lexikongeschäft auf.

Neuauflage des Brockhaus

Die Bertelsmann-Tochter Wissenmedia preist auf der Brockhaus-Seite noch die 21. Auflage der Enzyklopädie zum Verkauf an, die 2005 noch vom BI auf den Markt gebracht wurde. Anders als eben Wikipedia, bedacht auf nachgeführte, immer aktuelle Einträge, erhält man mit einem gedruckten Brockhaus ein staubfangendes Nachschlagewerk, welches das Wissen der frühen 2000er-Jahre zum Inhalt hat. Wissenmedia arbeitet aber auch an einer neuen Auflage, wie Geschäftsführer Christoph Hünermann sagt. Es gebe immer noch genügend Leute, die sich so ein Werk in das Regel stellen wollten, ist er überzeugt.

Für die Veröffentlichung angepeilt sei das Jahr 2015 oder 2016 - in welchem Umfang die Enzyklopädie auf den Markt kommen werde, sei noch offen, sagt Hünermann. Klar ist aber, dass es eine Ausgabe ausschliesslich in Papierform nicht mehr geben könne. «Es muss heute auch immer eine digitale Zugriffsmöglichkeit dazu geben.»

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