Lernen im Unternehmen

Was heute gilt, ist morgen nicht mehr gefragt: Berufsbilder im Wandel

Sei es ein innovatives Ausbildungsmodell wie bei Swisscom oder spezielle interne Weiterbildungen wie bei Emmi, die 
Berufsbilder entwickeln sich und tragen dazu bei, dass Firmen die Mitarbeitenden haben, die sie für ihre Zukunft 
benötigen. Einer der Trends geht dahin, dass vermehrt Berufsleute mit interdisziplinären Kompetenzen gesucht werden.

Die Berufsbildung entwickelt sich laufend, je nachdem was der Arbeitsmarkt für Bedürfnisse hat (siehe auch Interview). Es entstehen mitunter neue Berufsbilder, denen die Lehrlingsausbildung Rechnung tragen muss. So wird beispielsweise bei Swisscom der relativ junge Beruf Mediamatiker erlernt. Der Telekommunikationskonzern bildet seine 830 Lernenden in fünf Berufsbildern aus, neben dem oben genannten sind das noch kaufmännischer Angestellter, Detailhandelsfachangestellter, Informatiker und Telematiker.

Aber nicht nur die neuen Fachrichtungen weisen auf die konstante Weiterentwicklung der Berufsbildung hin, sondern auch die Gestaltung der Lehre an sich. «Seit sechs Jahren steht bei uns die individuelle Ausbildungsplanung im Vordergrund», sagt Nadine Gilg, 
Leiterin Berufsbildung bei Swisscom. «Jeder Lernende definiert zusammen mit seinem Lernbegleiter, welche Kompetenzen er wann erwerben möchte.» Dann müsse er sich selber via Intranet um Einsatzplätze bewerben. Mit diesem Ausbildungsmodell werden die Lernenden schon früh auf Selbständigkeit und Eigenverantwortung getrimmt, erklärt Gilg. «Durch die wechselnden Einsatzplätze werden sie sozial kompetent gemacht. Das sind alles Eigenschaften, die für das spätere Berufsleben fundamental sind.»

Fundamental für jede Firma wiederum ist es, zu wissen, welche Kompetenzen ihre Mitarbeiter in Zukunft mitbringen oder entwickeln müssen, damit das Unternehmen konkurrenzfähig bleibt. «Die Personalentwicklung muss daher aus der Unternehmensstrategie abgeleitet werden», sagt Martin Ghisletti. Er ist Leiter des Career Centers der ETH und war 12 Jahre in leitenden HR-Funktionen tätig. «In vielen Firmen wird das zwar gemacht, aber wie konsequent eine Firmenstrategie im Personalmanagement umgesetzt wird, ist sehr unterschiedlich. Die Gefahr, dass zu kurzfristig und eher operativ gedacht wird, ist gross.» Ghisletti hebt zudem hervor, wie wichtig der konstante Dialog zwischen dem Personalmanagement und den internen Kunden ist. Nur so könne der HR-Verantwortliche wissen, welche Bedürfnisse etwa die 
Linie hat, was für Fähigkeiten ein Mitarbeitender entwickeln sollte.

Dasselbe gilt auch für die Berufsbildung. Nadine Gilg bestätigt, die grösste Herausforderung in ihrer Funktion sei, zu wissen, was das Unternehmen in Zukunft für Berufsbilder braucht. «In unserem Geschäft leben wir mit einem Zeitverzug von drei bis vier Jahren, also der Dauer einer Lehre. Deshalb müssen wir von den Geschäftsbereichen frühzeitig erfahren, ob sie denken, in ein paar Jahren andere Berufsbilder zu brauchen.»

Orientierung am ökonomischen 
Bedarf alleine bringt nicht viel

«Wir spüren einen leichten Wandel in der Berufsbildung, weil wir Leute mit Qualifikationen auf dem Markt suchen, die es zum Teil nicht gibt», sagt Natalie Rüedi, HR-Leiterin bei Emmi. Der Milchkonzern bietet neun eidgenössisch anerkannte Berufsausbildungen an und qualifiziert Mitarbeitende intern weiter, damit sie sich das für Emmi erforderliche spezifische Können aneignen. Aufgrund neuer Anforderungen der Industrie ist die Berufslehre des Anlageführers entstanden, welche bei Emmi nun ebenfalls angeboten wird.

In den Bereichen Logistik und Milchtechnologie werden bei Emmi Mitarbeitende auch nachqualifiziert. «Diese internen Ausbildungen sind nicht eidgenössisch anerkannt, aber unsere Leute erhalten ein Zertifikat, in dem nachvollziehbar ist, welche Kompetenzen sie sich angeeignet haben», sagt Rüedi. So werde die interne und auch die externe Arbeitsmarktfähigkeit unterstützt.

Bei den Weiterbildungen achtet die HR-Leiterin darauf, dass sie transferorientiert sind. «Der Nutzen ist grösser, wenn die Leute konkrete Problemstellungen im Kurs behandeln und praxisnah mit Lösungsansätzen wieder an die Arbeit gehen können.» Ein zweiter wichtiger Aspekt sei eine «angstfreie Lernkultur», wie die HR-Frau sagt. «Die Weiterbildung soll in einem geschützten Rahmen stattfinden, damit die Teilnehmenden nicht das Gefühl haben, bewertet zu werden, sondern frei reden und fragen können.»

Generell sollte sich aber das Bildungsmanagement nicht nur am ökonomischen Bedarf orientieren, sagt Sabine Seufert. Sie ist Professorin für Wirtschaftspädagogik, insbesondere pädagogisches Innovationsmanagement, an der Universität St. Gallen. «Qualifikationstheoretisch weiss niemand, wie die Anforderungen der Zukunft aussehen. So ist der zukünftige Bedarf der Wirtschaft selbst für langfristig denkende Personalmanager nicht prognostizierbar.» Lerntheoretisch führe die Anpassung von Mitarbeitenden an einen vorgegebenen Bedarf dazu, dass diese ihr Handeln rigide auf Vorgaben, jedoch nicht flexibel auf Veränderungen anpassen. «Angepasste sind keine anpassungsfähigen Mitarbeitenden», sagt Seufert.

Gesucht: Jurist mit Marketing- und Informatikkenntnissen

Sabine Seufert, die auch Firmen in der Entwicklung von Kompetenzprofilen und bei Massnahmen zur Kompetenzentwicklung 
unterstützt, stellt in der Berufsbildung eine Entwicklung zur Modularisierung und Flexibilisierung fest. «Informell erworbene Kompetenzen können im Rahmen der Modul
ausbildung zu einer Zertifizierung führen. Damit soll eine Anerkennung und Professionalisierung derart neuer Berufe erreicht werden.» Seufert nennt als Beispiel den Beruf Call-Center-Agent, der auf diese Weise in Deutschland entstanden ist.

Eine weitere Entwicklung, sogar einen Trend, bei den Berufsbildern bemerkt Martin Ghisletti vom Career Center der ETH: «Firmen suchen vermehrt Mitarbeitende mit interdisziplinären Kompetenzen. Mitarbeitende mit Erfahrung in Projektmanagement sind deshalb sehr gefragt. Gerne wird dazu auf das Berufsbild Ingenieur zurückgegriffen, denn das sind Menschen, die gelernt haben, sehr strukturiert zu denken. Zudem sind Ingenieure breit einsetzbar.»

Für die immer komplexer werdenden Projekte seien oft interdisziplinäre Arbeitsgruppen – HR-Fachleute, Kommunikationsleute, Juristen, Informatiker etc. – nötig, die sich durch Generalistendenken und -vorgehen auszeichnen. Generell haben sich zwar nicht die Berufsbilder gross verändert in den letzten 12 Jahren, stellt Ghisletti fest, aber die Vielfalt und die Durchlässigkeit. «Wer beispielsweise als HR-Spezialist in einem Projekt viel mit Marketingthemen in Berührung kommt, kann durchaus in den Marketingbereich wechseln, er kennt die Firma und betrachtet die Themen auch aus einer anderen Perspektive.

Karriereschritte werden heute nicht mehr nur vertikal gemacht, sondern auch lateral.» Für die Berufsbilder habe dies in der Zukunft insofern Bedeutung, als dass Firmen Optionen entwickeln müssten, um andere Laufbahnmöglichkeiten zu bieten. «Der über 50-jährige Abteilungsleiter möchte vielleicht nicht mehr führen, aber die Firma möchte seine Erfahrung weiter nutzen. Also sollten Möglichkeiten geschaffen werden, Seitwärtsschritte zu machen, die für alle Beteiligten gewinnbringend sind. Etwa indem der Abteilungsleiter ein Spezialprojekt übernehmen kann oder als Mentor für jüngere Mitarbeitende eingesetzt wird.»

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