Innovation

Wenn die Inbox out ist

Luis Suarez von IBM Madrid hat sich von der täglichen 
Mailflut befreit. Er ist heute aber besser informiert 
und vernetzt als je zuvor. Seine Lösung: Social Networks. 
Die könnten auch dem HR die Arbeit erleichtern.

Herr Suarez, wie ist das Leben ohne E-Mails?

Luis Suarez: Oh, sehr gut! Ich hatte vor kurzem einen Monat Ferien, und als ich zurückkam, waren etwa fünf Mails in meinem Postfach. Früher hätten mich nach dieser Zeit hunderte Mails im Büro begrüsst. Ich fühle mich befreit.

Wie sind Sie zum mailfreien Business-Alltag gekommen?

Ich hatte einfach genug. Jeden Tag flatterten zwischen 30 und 40 Mails in meine Inbox. Sie haben nichts zu meiner Produktivität beigetragen, im Gegenteil. In Mails delegieren Menschen ihre Arbeit an andere, es finden Machtkämpfe statt, man wird zugeschüttet. Das kann nicht effizient sein. Also habe ich entschieden, darauf zu verzichten. Mit einem Blog-Eintrag habe ich die Kollegen intern und die Kunden informiert, dass ich zukünftig, soweit es geht, auf Mails verzichten und meine Kommunikation auf Social Networks verlagern werde.

Wie waren die Reaktionen?  

Ein grosser Teil hat mir zwei Wochen gegeben. Dann würde mir gekündigt werden oder ich würde kapitulieren.

Und?

Nun, das war im Februar 2008. Ich habe das Projekt bis jetzt durchgezogen und erstaunliche Erfahrungen gemacht. Ich bin der lebendige Beweis dafür, dass es funktioniert, auch im Geschäftsalltag.

Hat sich die Kommunikation nicht einfach verlagert? Von der Inbox in die Online-Netzwerke?

Nein, die Kommunikation ist eine ganz andere. Betrachten wir zum Beispiel den Zeitfaktor: McKinsey hat im Jahr 2011 in einer Untersuchung festgestellt, dass Menschen im Büro im Schnitt rund 3,5 Monate im Jahr mit ihren Mails beschäftigt sind. Für den Vergleich habe ich angefangen, auch meine Stunden aufzuschreiben, die ich für den gleichen Zweck in den Social Networks verbringe. Ich komme auf 1,5 Monate im Jahr. Ich spare also sehr viel Zeit. Doch es geht nicht alleine darum.

Sondern?

Via Social Computing Software zu kommunizieren, verändert die ganzen Arbeitsprozesse und die Arbeit an sich. Sie ist transparenter, offen, fokussierter, weniger hierarchiegetrieben. Die Kommunikation fliesst, ist übersichtlich. Ich habe einerseits den Lärm reduziert und kann andererseits von deutlich mehr Zusammenarbeit profitieren. Das hat mir geholfen, viel produktiver zu werden, weil ich kontrollieren kann, wie ich arbeite. Ich bestimme viel mehr selber über meine Arbeit, bin weniger abhängig von anderen.

Aber was ist denn so viel besser bei den Social Networks als bei Mails?

Mails sind geschlossen, limitiert, privat. Die Welt der Social Networks ist offen, zugänglich und transparent. Das bedeutet: Es kommt zu einer echten Zusammenarbeit, weil alle sehen, was  passiert und läuft. Fragen werden an alle in der Community gestellt, es antworten diejenigen, die wirklich etwas vom Thema verstehen. Die Antworten sind auch für alle ersichtlich. So wird enormes Wissen geteilt, das früher in Mails versteckt blieb. Ich stelle mein Wissen zur Verfügung und habe ein ganzes Netzwerk, um Wissen anzuzapfen. Viele Köpfe zusammen bringen mehr zu Stande als zwei einzelne. Ich kann mehr Menschen erreichen und auch mehr Menschen helfen. Zudem fragmentiere und kanalisiere ich gezielt, je nach Netzwerk, das ich nutze.

Zur Person

Luis Suarez ist ein sogenannter Social-Computing-Evangelist für IBM, also ein «Prediger» für Social Software. Er arbeitet für IBM Madrid, rapportiert seinem Chef in den USA, lebt auf Gran Canaria.   Suarez hat 2008 entschieden, seine Kommunikation vom Mail auf soziale Netzwerke zu verlagern – mit grossem Erfolg. Als Pionier reist er von Vortrag zu Vortrag, um sein Experiment und Konzept «Outside the Inbox» vorzustellen.

Welche Tools nutzen Sie?

IBM-intern arbeiten wir mit einem eigenen Netz mit dem Namen IBM connections. Zudem nutze ich Twitter, Google Plus sowie meinen eigenen Blog.

Fällt es nicht vielen Menschen schwer, so an die «Öffentlichkeit» zu treten?

Doch, anfangs schon. Die Leute schämen sich, eine in ihren Augen banale Frage einem Plenum zu stellen. Sie fürchten, zu viel von sich preiszugeben oder, wenn sie ihr Wissen teilen, ersetzbar zu sein in der Firma. Sie wollen ihr Wissen horten. Das ist falsch. Ein guter Austausch bringt jeden weiter, jeder kann viel lernen, wird besser im Job und darum motivierter. Und: Je mehr ich teile, desto sichtbarer werde ich, desto eher bekomme ich interessante Arbeit und Inputs. Studien haben übrigens gezeigt, dass gerade introvertierte Personen, die oft über grosses Know-how verfügen, sich sehr wohl fühlen in Social Networks. Wenn es einem gelingt, zu solchen Menschen einen guten und tiefen Kontakt aufzubauen, können da sehr befruchtende Gespräche entstehen.

Wie, denken Sie, könnten Social Networks dem HR nützen?

Es gibt selbstverständlich Themen und Gebiete, die privat sind. Die Gehälter zum Beispiel sind nicht für eine breite Gruppe von Mitarbeitern bestimmt.  Abgesehen von ein paar Ausnahmen sehe ich aber für das HR sehr viel Potenzial. Es gibt doch viele Fragen, die ein HR-Experte immer wieder beantworten muss. Das ist ermüdend und ineffizient. Auf Social-Network-Plattformen könnte das HR proaktiver auftreten, Infos zur Verfügung stellen. Zudem würde eine Öffnung hin zu mehr Social Networks Grundsatzfragen stellen, die durchaus eine Überlegung wert sind. Wir könnten kritisch hinterfragen, ob ein Teil der Informationen wirklich vertraulich ist. Auch im HR könnte man sich doch fragen, wie die Türe für mehr Transparenz geöffnet werden kann. Zum Beispiel könnte man sich überlegen, bei Leistungsbeurteilungen mehr Leute zu involvieren, den Diskurs zu öffnen. 

Schreibt denn bald niemand mehr Mails?

Ich werde oft gefragt, ob ich die Mails aussterben lassen will. Das ist nicht das Ziel. Das Ziel ist, für jede Information den geeigneten Kanal zu nutzen. Mails werden in Zukunft eine von mehreren Möglichkeiten bleiben, wie wir miteinander interagieren. Für Terminabsprachen und persönliche Nachrichten beispielsweise sind sie ideal. Andere Inhalte – alles, was mit Zusammenarbeit und dem Teilen von Wissen zu tun hat – werden besser über Social Networks verbreitet.

Wie lernen wir das?

Wir müssen den Umgang mit Social Networks in einem weiteren Sinn lernen. Wir sollten die Tools nicht überreizen, uns überlegen, was am anderen Ende mit der Nachricht passiert. Niemand hat uns je erklärt, wie wir Mails am besten einsetzen. Und was ist passiert? So viele Mails sind unnötig, belasten statt entlasten. Den gleichen Fehler dürfen wir nicht noch einmal machen. Wir müssen lernen, Social Networks smart einzusetzen.

  • Personal Swiss: 9. und 10. April 2013, Messe Zürich, Halle 5 & 6. www.personal-swiss.ch
    Vortrag von Luis Suarez: Di., 9. April, 9.20 Uhr, Forum 6
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