HR in Krisenzeiten

«Wichtig ist, dass Bedrohungen und Chancen durch Unsicherheit auf alle verteilt werden»

Geopolitische Spannungen, Handelswirren, Kriege. Die Welt im Chaos. Was können HR und eine gute Führung in Krisenzeiten leisten? Dazu Gudela Grote, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der ETH Zürich. 

HR Today: Frau Grote, Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung unter anderem mit dem Thema Unsicherheit in Organisationen. Was unterscheidet die aktuelle Lage – Stichwort: Welthandelschaos – von früheren Krisenzeiten? Porträtbild von Gudela Grote, sie lächelt leicht in die Kamera, trägt einen Blazer im Tweed-Stil und hat lange, hinten zusammengebundene braune Haare.

Prof. Dr. Gudela Grote: Mit den sich derzeit überschlagenden politischen Ereignissen geht die Unsicherheit auch mit einem erhöhten Kontrollverlust der Entscheidungsträger in den Unternehmen einher.


Wie wirkt sich diese Art von Unsicherheit Ihrer Einschätzung nach konkret auf Arbeitnehmende und Unternehmensleitung aus – emotional, aber auch im Verhalten im Arbeitsalltag?

Grote: Es ist für die Führenden besonders schwierig, den Beschäftigten Orientierung und Halt zu geben.


Was bedeutet «psychologische Sicherheit» überhaupt in einem wirtschaftlichen Kontext, in dem niemand garantieren kann, dass der eigene Arbeitsplatz noch langfristig bestehen bleibt?
 
Grote: Psychologische Sicherheit meint, dass sich Beschäftigte trauen, ihre Meinung zu sagen oder die Entscheide Anderer zu kritisieren, ohne negative Folgen fürchten zu müssen. Diese Art der Sicherheit ist weiterhin sehr wichtig und kann von Vorgesetzten und Teammitgliedern vermittelt werden, wenn ihnen das – hoffentlich – ein Anliegen ist. Arbeitsplatzsicherheit ist ein ganz anderes Thema – dazu wird von Unternehmen schon lange gesagt, dass Arbeitsplätze nicht mehr gesichert sind und sich Beschäftigte arbeitsmarktfähig halten müssen, im besten Fall mit Unterstützung des Unternehmens durch Orientierungs- und Weiterbildungsprogramme.


«Psychologische Sicherheit meint, dass sich Beschäftigte trauen, ihre Meinung zu sagen oder die Entscheide Anderer zu kritisieren, ohne negative Folgen fürchten zu müssen.»
– Prof. Dr. Gudela Grote


Angesichts des aktuellen Handelsgeschehens stehen viele Firmen und damit Ihre Angestellten – vor totaler Ungewissheit. Gute Antworten gibt es kaum, Durchhalteparolen wirken leer. Was kann HR angesichts systemischer Unsicherheit des aktuellen Kalibers überhaupt leisten – und wo liegen seine Grenzen?

Grote: Zentral ist Transparenz, und die muss vor allem von der Firmenleitung geschaffen werden: Wo stehen wir finanziell? Wie sieht die Auftragslage aus? Wie lange können wir mit der derzeitigen Belegschaft durchhalten? Was sollten wir als Führungskräfte und was die Belegschaft tun, um das Unternehmen weiter gemeinsam tragen zu können? Aus dieser Transparenz kann dann auch Solidarität entstehen, die wiederum durch die Geschäftsleitung gestützt werden sollte: Gibt es zum Beispiel von Seiten der Führung Signale, dass sie persönliche finanzielle Einbussen in Kauf nehmen würde, um Entlassungen zu vermeiden?


Sie sprechen in Ihrer Forschung von «uncertainty regulation», also von «Unsicherheitsregulation». Was bedeutet das genau, und wie kann eine HR-Abteilung ihren Teil dazu leisten, konkret Unsicherheit zu regulieren, statt nur Informationen zu verteilen oder «Transparenz» zu versprechen?

Grote: «Uncertainty regulation» meint zunächst einmal einfach, dass wir alle versuchen, so viel oder so wenig Unsicherheit in unserem Leben zu haben, wie wir es uns zu einem bestimmten Zeitpunkt oder in einem bestimmten Bereich wünschen. Wir mögen vielleicht Überraschungspartys, aber schätzen unsere tägliche Routine bei der Arbeit. Oder wir machen gerne immer wieder etwas Neues im Arbeitsumfeld, haben aber gerne einen festen Tagesablauf am Wochenende. Ein wichtiges Anliegen von Arbeitsgestaltung, bei dem auch HR-Abteilungen gefragt sind, ist es, das richtige Gemisch aus Routine und Innovation für jeden Beschäftigten zu finden. Hinzu kann noch kommen, Beschäftigte gezielt darin zu unterstützen, Unsicherheit als etwas potenziell Positives zu sehen, auf das sie auch selbst Einfluss nehmen können.


Gibt es so etwas wie ein «organisationales Mindset» – sprich nicht einfach ein Mindset auf individueller Ebene –, das besser mit Unsicherheit umgehen kann? Und wenn ja, wie kann eine Unternehmung es entwickeln?

Grote: Ich denke, es ist Teil der Kultur eines Unternehmens, wie mit Unsicherheit umgegangen wird. Entsprechend langwierig kann es sein, bis sich eine neue Sicht auf Unsicherheit entwickelt. Wichtig ist, dass mögliche Bedrohungen und Chancen durch Unsicherheit auf alle verteilt werden, also nicht etwa das Beschäftigungsrisiko einfach auf die MItarbeitenden abgeschoben wird – mit Aussagen wie «Wir haben euch schon immer gesagt, dass es keine lebenslangen Anstellungen mehr gibt».


Wie können HR-Abteilungen oder Führungskräfte Signale von Sicherheit senden, ohne falsche Versprechen zu machen? Gibt es da aus Ihrer Sicht gelungene Beispiele, jenseits blosser Beschwichtigungen?

Grote: Ich zitiere da immer die Softwarefirma Ergon, in der, nachdem die Dotcom-Blase geplatzt und die Auftragslage massiv eingebrochen war, alle Beschäftigten gemeinsam entschieden haben, Gehaltseinbussen hinzunehmen, damit alle ihre Stelle behalten können.


«Die Softwarefirma Ergon haben alle Beschäftigten gemeinsam entschieden, Gehaltseinbussen hinzunehmen, damit alle ihre Stelle behalten können.»
– Prof. Dr. Gudela Grote


HR befindet sich oft in der vielzitierten «Sandwich-Position», sprich es muss Vorgaben der Geschäftsleitung erfüllen, aber auch irgendwie den Arbeitnehmenden gerecht werden – wobei im Zweifelsfall die Meinung der Geschäftsleitung qua Machtposition höher gewichtet wird. Wie kann HR diesen Spagat schaffen – gerade in angespannten Zeiten?

Grote: Das kann grundsätzlich nur gelingen, wenn es HR-Vertreterinnen und Vertretern schaffen, die strategische Relevanz von gutem Human Resource Management in der Geschäftleitung und im gesamten Management zu verankern.


Erleben Sie in Ihrer Zusammenarbeit mit Unternehmen, dass die Anforderungen an HR in Krisenzeiten wachsen? HR-Verantwortliche sind Arbeitnehmende wie alle anderen auch. Wie können sie mit den eigenen Unsicherheiten umgehen und gleichzeitig jene der anderen Mitarbeitenden schultern respektive auffangen? Wie bewerten sie eine solche allfällige Doppelbelastung?

Grote: Die Anforderungen steigen sicher in Krisenzeiten, aber ich würde hoffen, dass Menschen sich im HR engagieren, genau weil sie nicht nur ihre eigene Arbeitssituation im Blick haben, sondern die aller Beschäftigten im Unternehmen.


Zum Abschluss vielleicht so etwas wie die Gretchenfrage: Wie kann Vertrauen entstehen oder erhalten bleiben, wenn selbst Führungsetagen nicht wissen, wie es weitergehen wird?

Grote: Indem Führende diese Unsicherheiten offen diskutieren und gemeinsam mit den Beschäftigten nach Lösungen suchen.
 

 

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Robin Adrien Schwarz ist Online-Redaktor bei HR Today. 
rs@hrtoday.ch

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