HR Today Nr. 10/2019: Sozialversicherungen

Wie das Grundeinkommen die Marktwirtschaft umkrempelt

Das bedingungslose Grundeinkommen bleibt ein Thema, obwohl zwei Drittel des Schweizer Stimmvolks eine Initiative dazu am 5. Juni 2016 abgelehnt haben. Professor Bernhard Neumärker von der Universität Freiburg im Breisgau im Gespräch darüber, weshalb ein Grundeinkommen dennoch sinnvoll ist und wie es finanziert werden könnte.

In der Schweiz steht das bedingungslose Grundeinkommen unter keinem gute Stern. Wie steht es damit in Deutschland?

Bernhard Neumärker: Bei uns wird zurzeit eine bedingungslose Grundrente, eine aus CO2-Besteuerung finanzierte «Klimaprämie» sowie ein bedingungsloses Kindergeld diskutiert. Diese Zahlungen verbindet, dass sie zu einem Anspruch berechtigen, bei dem die  Empfänger aber nicht auf ihre Bedürftigkeit hin überprüft werden. Sie sind somit sanktionsfrei.

Neben dem bedingungsloses Grundeinkommen existiert der Ansatz eines solidarischen Grundeinkommens. Worin besteht der Unterschied?

Im Gegensatz zum solidarischen Grundeinkommen entkoppelt das bedingungslose Grundeinkommen den Einkommensbezug von der Arbeitsleistung. Das heisst aber nicht, dass wir nicht mehr arbeiten, wenn wir ein bedingungsloses Grundeinkommen beziehen. Vielmehr bedeutet es, dass wir uns künftig selbstbestimmt unentgeltlicher Arbeit, Erwerbsarbeit sowie kreativer, produktiver oder unproduktiver Freizeitaktivitäten widmen können.

Wo stehen wir gerade?

Momentan werden wir immer noch vom Lohndruck der Arbeitswelt fremdbestimmt und geleitet. Die Fragen, die wir in den nächsten Jahren interdisziplinär erforschen sollten, sind deshalb: Wer wird durch ein bedingungsloses Grundeinkommen kreativ und produktiv? Wer entzieht sich jeglicher Arbeit? Wie verändert sich dadurch das Güter- und Leistungsangebot? Wirkt sich die Bedingungslosigkeit eines Einkommens auf die zwischenmenschliche kooperative Arbeit wie Sorgearbeit aus? Welche Folgen hat das für eine wettbewerbsorientierte Wirtschaft? Und gibt es Arbeitssektoren, die sich von einem bedingungslosen Einkommen sogar Vorteile erhoffen können?

Was bewirkt das bedingungslose Grundeinkommen?

Würde das Grundeinkommen eingeführt, wären wir stärker damit konfrontiert, was wir tun wollen, da es uns von Existenznöten und grundlegenden ökonomischen Sachzwängen befreit. Diese Freiheit hätte aber ihren Preis, weil wir unseren Frust über eine «unbequeme» Arbeit nicht mehr herunterschlucken könnten, sondern Eigenverantwortung für unser Selbst und Tun übernehmen müssten. Davon sind wir aber noch weit entfernt. Es kann Erwerbstätigen zudem eine selbstbestimmte Ausstiegsoption bieten, indem sie weniger Druck ausgesetzt sind, um beispielsweise unbezahlte Überstunden zu leisten.

Was sich aus der Sicht der Arbeitgebenden wie eine Entmachtung gegenüber Arbeitnehmenden anhört, kann sich langfristig jedoch in einen Produktivitätsvorteil wandeln. So bekommt ein Arbeitgeber fortan Arbeitskräfte, welche die anstehende Arbeit tendenziell gerne übernehmen und nicht vor dem Druck eines «Workfare»-Systems in ungeliebte Arbeitsverhältnisse flüchten. Die Einführung eines Grundeinkommens stellt auch eine Chance für Frauen dar, die Wettbewerbssituationen tendenziell meiden und kooperative Arbeiten bevorzugen, die im aktuellen Wirtschaftssystem eher schlechter entschädigt werden.

Jeder macht also nur noch das, was ihm Freude bereitet. Wer übernimmt dann noch die eher unbeliebten und schlechter bezahlten Arbeiten?

Einerseits Menschen, die sich aus intrinsischer Motivation zur kooperativen Sorge um andere berufen fühlen und diese Aufgabe in einem BGE-gesicherten System übernehmen können. Auch, wenn der Arbeitsmarkt keine rosigen Erwerbsaussichten bietet. Andererseits könnte die Lohnhöhe ein Schlüssel sein.

Beispielsweise bei der Müllabfuhr. Wenn zum bisherigen Lohn keine Müllmänner und -frauen mehr zu finden sind, bleibt der Müll liegen. Bewohner, die den Gestank dieses Mülls nicht mehr ertragen, werden deshalb gewillt sein, für diese Arbeit mehr zu bezahlen. Erhalten die Müllmänner mehr Lohn, wird der Beruf wieder attraktiver. Unangenehme Arbeit wird also teurer, angenehme unter Umständen sogar günstiger.

Welche Auswirkungen hätte das bedingungslose Grundeinkommen auf die Produktivität?

Arbeitgeber werden erkennen, dass gern getätig­te Arbeit die Produktivität steigern kann. Unternehmen haben das Potenzial zur Produktivitätssteigerung schon entdeckt, indem sie im «Büro der Zukunft» Freizeitaktivitäten anbieten. Nur ist hier im Unterschied zum Grundeinkommen problematisch, dass solche Angebote weniger selbstbestimmt sind, sondern vom Arbeitgeber vorgegeben werden.

Und wie finanzieren wir dieses?

Es gibt eine Vielzahl von Finanzierungsüberlegungen. Man könnte Teile des Sozialversicherungssystems wie die herkömmliche Arbeitslosenversicherung oder die Alterssicherung zur Finanzierung herbeiziehen, wobei Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge komplett entfallen. Andere bevorzugen eine Mehrwertsteuer, weitere die sogenannte «negative Einkommensteuer» als integriertes Steuertransfer-System. Eine andere Idee ist die Finanzierung über die Bewirtschaftung von Gemeinschaftsgütern nach norwegischem Vorbild.

Ein solches Gemeinschaftsgut könnte der «Klimaschutz» darstellen, wobei eine Art «Klimaprämie» aus steuerlichen Erträgen der CO2-Besteuerung und anderen Klimaschutzabgaben an alle Bürgerinnen und Bürger gleich verteilt ausgezahlt wird. Angesichts der bereits enormen Klimaschäden ist nicht damit zu rechnen, dass diese Abgabequelle in den nächsten Jahren schnell versiegen würde. Eine zusätzliche Möglichkeit wäre ein Mix aus verschiedenen Finanzierungsquellen bis hin zur Finanzierung aus Erträgen verschuldungsfinanzierter staatlicher Kapitalanlagen. Es ist längst noch nicht alles ausdiskutiert und hinreichend durchgerechnet, aber es ist genügend Potenzial vorhanden.

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Christine Bachmann ist stellvertretende Chefredaktorin von HR Today. cb@hrtoday.ch

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