Work-ID will den Schweizer Arbeitsmarkt vom CV befreien
Statt Lebensläufe Fähigkeiten vergleichen: Work-ID bringt einen digitalen Skills-Ausweis und ein Unternehmenstool, das interne wie externe Kompetenzen sichtbar macht.
Mit Skills-basiertem Recruiting sollen sich Arbeitgebende und -nehmende besser finden. (Bild: ChatGPT))
Wer heute rekrutiert, arbeitet oft mit unvollständigen Informationen: Lebensläufe erzählen nur die Vergangenheit, aber wenig über Skills, Werte und Lernpotenzial. Das Zürcher HR-Tech-Start-up Work-ID will diesen Bruch schliessen. Die Firma lancierte im September 2025 einen digitalen «Skills-Ausweis» für Talente und einen «Skills-Manager» für Unternehmen.
Dahinter stehen die Co-Gründer Cornel Müller und Renato Profico, seit August 2025 auch CEO. Sie setzen auf eine einfache Logik: Erst wenn Fähigkeiten systematisch erfasst und vergleichbar werden, entstehen faire Chancen für Kandidatinnen und Kandidaten – und bessere Matches für Arbeitgebende. «Das Hauptproblem ist, dass sich Firmen und Talente nicht finden – ob ausser- oder innerhalb des Unternehmens. Der Grund dafür: «Mangelnde Transparenz», sagt Müller gegenüber «HR Today». «Denn der Fokus liegt oft nicht auf dem, was wirklich zählt: nämlich den Fähigkeiten der Menschen.»
Persönlicher «Skills-Ausweis» für Arbeitnehmende
Für Personen ist die Work-ID ein persönlicher, kostenloser Ausweis, der ihre Fähigkeiten, Werte und Präferenzen sichtbar macht – und mit dem Berufsleben mitwächst. Die Nutzerinnen und Nutzer behalten die Datenhoheit, treffen anonym erste Interessenbekundungen und entscheiden selbst, wer was sieht.

Der Ansatz ist bewusst minimalinvasiv: Aus Sicherheitsgründen braucht es zur Verifizierung zunächst kaum mehr als die Handynummer; sensible, diskriminierungsanfällige Angaben werden vermieden. Perspektivisch sollen Micro-Credentials, Zertifikate und Abschlüsse über vertrauenswürdige Quellen (etwa SWITCH) geprüft und auf Skill-Ebene gekennzeichnet werden, um Recruiterinnen und Recruitern Zeit bei der Verifikation zu sparen.
«Skills-Manager» für den Aufbau von Talentpools
Das Gegenstück auf Unternehmensseite ist der «Skills-Manager» – und mehr als ein neues Recruiting-Frontend. Der Einstieg ist niedrigschwellig: Unternehmen laden Mitarbeitende via Einladungslink ein und erhalten schrittweise eine dynamische, taxonomiebasierte Übersicht über vorhandene Kompetenzen. Darauf lassen sich Szenarien für Nachfolge, interne Mobilität sowie Up-/Reskilling aufsetzen; Vakanzen können gezielter adressiert werden. «Den Mitarbeitenden kann ein Link geschickt werden – und schon sind sie mit dem Unternehmen verbunden», erklärt Profico. In der Pipeline ist die Direktansprache aus dem «Skills-Manager» heraus: Interne Profile matchen bereits heute; in einem nächsten Schritt sollen externe Work-IDs einbezogen und aus dem System heraus kontaktiert werden können. Rund 20 Pilotkundinnen und Pilotkunden begleiten die Weiterentwicklung.

Ein Baustein, der besonders für schwer zu besetzende Rollen gedacht ist, ist der «1-Klick-Button» für Karriereseiten. Wer ihn integriert, senkt die Schwelle für latent wechselbereite Fachkräfte: Passt ein Profil, kann die Person mit einem Klick anonym Interesse signalisieren – das Unternehmen erhält einen qualifizierten Lead statt Dossiers im Blindflug. Solche Mechaniken sollen klassische Stellenanzeigen dort ersetzen, wo sie ineffizient geworden sind.
Ein Hebel für skillsbasiertes HRM
Inhaltlich dockt Work-ID an Forschungsarbeiten zur «Swiss Circular Economy of Skills and Competences» an, einem Innosuisse-Flagship mit HSG, UZH, EPFL, ZHAW und EHB. Dahinter steht die Idee, Skills über den Bildungs- und Arbeitsmarkt hinweg konsistent zu erfassen und zu harmonisieren – eine Voraussetzung, damit Skills-Daten nicht als bunte Tags versanden, sondern in Workforce- und Bildungsplanung Wirkung entfalten. Für HR-Teams, die sich vom Jobtitel- zum Skills-Denken bewegen, kann das der entscheidende Hebel sein
Was heisst das operativ für Unternehmen?
- Skills sichtbar machen. Viele Organisationen kennen ihre Kompetenzbasis nur anekdotisch. Ein strukturiertes Inventar schafft die Grundlage, um interne Laufbahnen zu steuern und Weiterbildung nachweislich bedarfsorientiert zu planen.
- Bias mindern. Anonyme Erstkontakte und kompetenzbasierte Filter reduzieren Diskriminierungsrisiken – ersetzen aber nicht die Sorgfalt von strukturierter Diagnostik, Referenzen und Kulturfitprüfung.
Engpassmärkte öffnen. Gerade dort, wo klassische Jobplattformen schwächeln, soll der Skills-Zugang jenseits des CV neue Kanäle öffnen. - Verifikation professionalisieren. Mit Micro-Credentials und standardisierten Evidenzen auf Skill-Ebene lässt sich künftig der Aufwand der Dossierprüfung senken – ein Thema, das Recruiterinnen und Recruiter heute viel Zeit kostet.
Beim Geschäftsmodell fährt Work-ID zweigleisig. Für Unternehmen gilt ein Freemium-Ansatz mit gestaffelten Paketen. Die interne Nutzung vom «Skills-Manager» ist gratis, Premium-Funktionen wie 1-Klick-Erstkontakt und Aufbau eines Talentpools mit Externen sind je nach Firmengrösse ab rund 100 Franken pro Monat erhältlich. Für externe Direktkontakte fällt erst bei Matches eine Kontaktgebühr an: «Sobald das Unternehmen das Interesse bestätigt, kostet die Kontaktaufnahme 200 Franken.» Für Privatnutzerinnen und -nutzer bleibt das Angebot kostenlos – «B2C soll immer gratis bleiben.» Das verschiebt Kosten dorthin, wo tatsächliche Interaktion entsteht, und setzt Anreize für präzise Suche statt Massenansprachen.
Daten bleiben in der Schweiz
Datenschutz und Swissness sind für die Gründer keine Randnotizen, sondern Teil der Produktlogik. Entwicklung und Hosting sollen in der Schweiz bleiben; die Identität wird erst offengelegt, wenn beide Seiten das wollen. Müller formuliert den Kontrast zu Social-Media-Plattformen pointiert: «Ein Profil auf ‹LinkedIn› gehört nicht der Person, sondern ‹LinkedIn› … Das ist bei uns anders.» Für HR bedeutet das: weniger heikle Personendaten in der Vorauswahl, mehr Fokus auf überprüfbare Fähigkeiten – und später im Prozess die gewohnte Identitäts- und Credential-Prüfung.
Die Köpfe hinter der Work-ID
Cornel Müller gilt in der Schweizer Jobtech-Szene als Arbeitsmarktdaten-Experte und Praktiker: Der Thalwiler Unternehmer hat die Stellenplattform Jobchannel mitgegründet, die über viele Jahre Anzeigen bündelte und Wissen zu mehr als 130 000 Arbeitgebenden aufbaute; zudem engagiert er sich in Gremien rund um Arbeitsmarktforschung. In Gesprächen zeichnet er ein zugespitztes Bild: Pro Jahr kursierten Millionen CVs, die oft heikle Informationen enthalten – während Informationen über Fähigkeiten weitgehend fehlten. Die Folge: «Vorurteile und Effizienzverluste auf beiden Seiten.» Seine Antwort heisst Skills-Transparenz und anonyme Erstkontakte.
Renato Profico bringt 20 Jahre Erfahrung im Digital Recruiting und in SaaS-Geschäften ein; er führte zuvor JobCloud und Doodle. Als CEO will er den Schritt vom Recruiting-Tool zum «Skills-Ökosystem» beschleunigen: «Die Work-ID und der ‹Skills-Manager› schaffen ein Ökosystem, das Menschen und Unternehmen passgenau zusammenbringt», sagt er und betont, dass Skills eine wichtige Basis für Personalentscheide vom Lohn- bis zum Entwicklungsgespräch sind.
Finanziell ist Work-ID mit einer Runde über 4 Millionen Franken gestartet; Partner sind mehrere Berufsverbände, Universitäten und Hochschulen. Für Profico ist die Mission klar: «Ich freue mich sehr, mit der Work-ID den Arbeitsmarkt zu verändern. Es ist Zeit dafür.» Die nächsten Wochen dürften zeigen, wie schnell Pilotbetriebe den «Skills-Manager» über das Recruiting hinaus – in Mobilität, Nachfolge und Weiterbildung – nutzen und wie rasch Talente ihre Skills erfassen. Dann entscheidet sich, ob Work-ID seine Versprechen in der Praxis einlöst.