Arbeit und Recht

Zulässigkeit einer Freistellung: Wann gibt es ein Recht auf Beschäftigung?

Die Freistellung einer schwangeren Arbeitnehmerin ist zulässig. Ein Anspruch auf Beschäftigung besteht nur in 
seltenen Ausnahmefällen. Eine Schwangerschaft kann umgekehrt Anlass geben, eine Freistellung zurückzunehmen.

Das Arbeitsgericht Zürich hatte vor kurzem zu entscheiden, ob ein Arbeitgeber eine Arbeitnehmerin (Einkäuferin Kindermode eines Kaufhauses) während ihrer Schwangerschaft freistellen durfte (Urteil vom 30. November 2010). Die Freistellung erfolgte drei Monate vor der erwarteten Geburt. Der Arbeitgeber stellte auf diesen Zeitpunkt eine neue Mitarbeiterin für die Position der Freigestellten an, weil er Absenzen infolge der Schwangerschaft befürchtete. Die Mitarbeiterin verlangte vor Arbeitsgericht unter anderem die Wiedereinsetzung in ihre Funktion sowie eine Genugtuung von 5000 Franken.

Das Arbeitsgericht Zürich lehnte beide Begehren ab. Es bezeichnete die erfolgte Freistellung als zulässig. Für das Arbeitsgericht war entscheidend, dass eine schwangere Arbeitnehmerin berechtigt ist, auf blosse Anzeige hin von der Arbeit fernzubleiben oder die Arbeit zu verlassen (Art. 35a Abs. 2 Arbeitsgesetz). Eine Arbeitgeberin müsse daher bei einer Schwangeren bereits vor dem Mutterschaftsurlaub ständig mit Ausfällen oder 
Arbeitsunterbrüchen rechnen. Sie habe ein berechtigtes Interesse daran, für diese Zeit eine voll einsatzfähige Arbeitskraft einzusetzen und auf die Arbeitsleistung der Schwangeren zu verzichten.

Das Urteil des Arbeitsgerichts Zürich gibt Anlass, die Zulässigkeit einer Freistellung im Allgemeinen zu hinterfragen: Wann besteht ein Recht auf Freistellung beziehungsweise wann hat ein Arbeitnehmer ein Recht auf 
Beschäftigung?

Zur Zulässigkeit einer Freistellung 
im Grundsatz

Eine Freistellung ist zulässig, wenn nicht ausnahmsweise ein Beschäftigungsanspruch besteht. Ausserdem können die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers einer Freistellung Schranken setzen, wenn dadurch die private und berufliche Würde und Ehre verletzt wird. Das Gebot des Handelns nach Treu und Glauben verbietet zudem eine Freistellung, die schikanöser Art ist.

Beschäftigungsanspruch 
als Ausnahme

Ein allgemeiner Beschäftigungsanspruch eines Arbeitnehmers wird mehrheitlich abgelehnt, insbesondere für die Zeit nach ausgesprochener Kündigung. Eine Befreiung von der Arbeitspflicht ist für den Arbeitnehmer grundsätzlich zumutbar.

Angehörige spezifischer Berufsgruppen können aber durch Nichtbeschäftigung in ihrem wirtschaftlichen Fortkommen beeinträchtigt werden, weshalb ausnahmsweise ein Beschäftigungsanspruch gegeben ist. Es handelt sich dabei beispielsweise um Künstler, Berufssportler, Forscher, Piloten, Chirurgen oder ähnlich spezialisierte Berufsleute. Die tatsächliche Beschäftigung dient in diesen Berufen der Erhaltung der Berufsfähigkeit. Dies trifft in aller Regel nicht zu bei 
Kadermitarbeitern: Diese können für sich 
keinen Beschäftigungsanspruch reklamieren.

Wird ein Arbeitnehmer für eine bestimmte Periode ohne Vorbehalt freigestellt, ist die Rücknahme der Freistellungserklärung zu einem späteren Zeitpunkt grundsätzlich nicht mehr möglich. Auch eine die Kündigungsfrist unterbrechende Sperrfrist berechtigt den Arbeitgeber nicht, seine Freistellungserklärung zu widerrufen.

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt aber, wenn die Sperrfrist durch eine Schwangerschaft ausgelöst wird. Die Schwangerschaft führt zu einer Verlängerung des Arbeitsverhältnisses um insgesamt mehr als ein Jahr (Art. 336c Abs. 1 lit. c Obligationenrecht). Während eines grösseren Teils dieser Verlängerung, insbesondere während der Schwangerschaft, stünde die freigestellte Arbeitnehmerin dem Arbeitgeber in arbeitsfähigem Zustand zur Verfügung. Es wäre unbillig, dem Arbeitgeber die Rücknahme seiner Freistellungserklärung aus grundsätzlichen Gründen zu verweigern, wenn er im Zeitpunkt 
der Freistellungserklärung nichts von der Schwangerschaft der Arbeitnehmerin wusste.

Eine Schwangerschaft berechtigt den 
Arbeitgeber also zur Rücknahme einer Freistellungserklärung. Wie das oben erwähnte Urteil des Arbeitsgerichts Zürich zeigt, kann die Schwangerschaft umgekehrt aber auch einen Anlass darstellen, eine Arbeitnehmerin freizustellen.

Freistellung als Grund für 
eine Genugtuung?

Ein Gericht kann bei schwerer Persönlichkeitsverletzung eine Geldsumme als Genugtuung zusprechen. Die Freistellung allein bedeutet in der Regel keine schwere Persönlichkeitsverletzung und führt daher nur sehr selten zu einem Anspruch auf Genugtuung. Da Freistellungen bei Kaderarbeitnehmern häufig vorkommen, stellen Gerichte hier besonders strenge Massstäbe an das Vorliegen einer Persönlichkeitsverletzung.

Das Arbeitsgericht Zürich beurteilte im oben erwähnten Urteil die Freistellung zu Recht als rechtmässig. Konsequenterweise wies es die eingeklagte Genugtuungsforderung ab.

Buchtipp

Alfred Blesi: Die Freistellung des Arbeitnehmers. Ein Handbuch für die Praxis.  2., überarbeitete und ergänzte Auflage. Schulthess Verlag, 2010, 246 Seiten, 82 Franken

 

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Alfred Blesi ist Fachanwalt SAV 
Arbeitsrecht und Partner in der Kanzlei Blesi & Papa.

Weitere Artikel von Alfred Blesi