Personalrisikomanagement

Zum Schutz der Schützlinge

Immer wieder kommt es in Heimen und Spitälern zu 
Übergriffen auf Schutzbefohlene. Das Risikomanagement der HR-Abteilungen ist hier besonders gefragt: Wie kann man solche Fälle verhindern – und wie verhält man sich, nachdem etwas passiert ist?

Am Spital Wattwil wird ein Hilfspfleger wegen sexueller Übergriffe auf Patientinnen angeklagt. Am Universitätsspital Zürich soll ein Anästhesiepfleger ebenfalls Patientinnen unsittlich berührt haben. Und viele erinnern sich wohl noch an den Skandal im Zürcher Pflegeheim Entlisberg: Angestellte haben Patientinnen nackt gefilmt und gedemütigt. Wann immer solche Skandale ans Licht kommen, erschüttern sie die Öffentlichkeit.

Um Übergriffe auf Schutzbefohlene zu verhindern, sind neben den Vorgesetzten auch die HR-Abteilungen gefragt. Wichtig ist, dass die Institutionen für das Thema sensibilisiert sind, sich aktiv damit auseinandersetzen. «Wird eine Kultur gepflegt, in der die körperliche und seelische Unversehrtheit der Betreuten im Vordergrund steht, wirkt das präventiv gegen Übergriffe», sagt Mario Brunetti, Präsident der Heimkommission des Kantons Thurgau und Generalsekretär im Thurgauer Departement für Finanzen und Soziales. Den Umgang mit Macht und sexuellem Missbrauch müssen Heime im Thurgau in ihr Qualitätsmanagement aufnehmen; dieses erachtet Brunetti als zentral.

Innerhalb des Qualitätsmanagements dokumentieren alle Einrichtungen ihre Massnahmen zur Prävention, wie die Heimkommission in ihren «Empfehlungen zur Verhinderung von Machtmissbrauch und sexuellen Übergriffen in Einrichtungen des Kantons Thurgau» aus dem Jahr 2012 schreibt. Den Institutionen wird geraten, ihre Mitarbeitenden regelmässig zu schulen, um Machtmissbrauch, sexuelle Übergriffe und andere Grenzverletzungen zu verhindern. So soll sich das Personal beispielsweise mit dem Themenfeld Nähe-Distanz auseinandersetzen, damit etwa beim Waschen von hilflosen Betreuten keine Grenzen überschritten werden. Auch braucht es eine interne Anlaufstelle mit einer für dieses Thema zuständigen Fachperson, die sich regelmässig weiterbildet und ihr Wissen an die Mitarbeitenden weitergibt.

Merkblatt für Rekrutierung

Eine zentrale Rolle kommt auch der Rekrutierung zu. Dazu hat die Thurgauer Heimkommission ein eigenes Merkblatt erstellt. «Vorgesetzte müssen für das Thema entsprechend sensibilisiert sein und die richtigen Fragen stellen», betont Brunetti. Kandidatinnen und Kandidaten sollen etwa auf Lücken im Lebenslauf kontrolliert werden, das HR muss die Referenzangaben überprüfen und einen aktuellen Strafregisterauszug beantragen. Zudem sollen Recruiter die Ausbildung der Stellensuchenden kontrollieren.

Kommt es trotz aller Vorkehrungen zu einem Übergriff, hat der Kanton Thurgau bereits 2007 Richtlinien erstellt, welche Massnahmen der betroffene Betrieb ergreifen muss: das Opfer unterstützen, den mutmasslichen Täter anzeigen sowie freistellen oder gar fristlos entlassen. Als nächste Schritte erfolgen die interne und externe Information. «Wichtig ist, dass die Institutionen den Handlungsablauf in ihrem Qualitätsmanagement genau festhalten, schon bevor etwas passiert», sagt Brunetti.

Nach einem Vorfall ist es wichtig, das Vertrauen in die Institution wiederherzustellen. «Das geht nur über Information», glaubt Brunetti. Sowohl die Angehörigen als auch die Mitarbeitenden müssen so rasch und so umfassend wie möglich informiert werden. Bei gravierenden Ereignissen ist auch der Gang an die Öffentlichkeit unausweichbar.

Behinderte haben Recht auf Sexualität

Auch in der im Kanton Solothurn beheimateten Institution Blumenhaus Buchegg setzt man sich mit dem Thema Missbrauch intensiv auseinander. Im Blumenhaus Buchegg werden Kinder und Erwachsene mit einer geistigen und mehrfachen Behinderung betreut. Diverse Massnahmen sollen verhindern, dass es zu Übergriffen kommt – nicht nur von Betreuern gegenüber Pflegepersonen, sondern auch unter den Behinderten selbst. «Auch Menschen mit einer geistigen Behinderung haben das Recht auf eine individuelle Sexualität», sagt Markus Jordi, Präsident der Trägerorganisation des Blumenhauses Buchegg. Es gehört zu den Aufgaben der Mitarbeitenden, ihnen dabei zu helfen, einen eigenen Weg zu finden. Ein Merkblatt zur Sexualerziehung unterstützt sie dabei.

Körperliche Zuneigung sei gerade auch für Menschen mit einer Behinderung wichtig, diese müsse sich aber in engen Grenzen halten. Um Übergriffe zu verhindern, gibt es deshalb klare Standards im Verhältnis von Mitarbeitenden und Behinderten. «Betreuer dürfen sich nicht alleine mit Pflegebefohlenen in einem geschlossenen Raum aufhalten, sagt Jordi. «Türen bleiben offen.» Es werde grundsätzlich darauf geachtet, dass man mit Behinderten nicht alleine ist. Wichtig sei auch die Transparenz: «Man sagt immer, wo man hingeht.»

Diese und weitere Standards hat das Blumenhaus Buchegg im Qualitätsmanagement verankert und zertifizieren lassen. Vor allem das professionelle Personal habe die Regeln weitestgehend verinnerlicht, stellt Jordi fest. «Risiken gibt es dort, wo eine hohe Fluktuation herrscht, und wo nicht ganz so sorgfältig rekrutiert wird.» Deshalb sind für Jordi langjährige Mitarbeitende aus den Bereichen Sozialpädagogik, Fachangestellte Betreuung und Pflegefachpersonal besonders wichtig.

Gibt es trotz aller Massnahmen Hinweise auf einen Machtmissbrauch, kommt eine detaillierte Checkliste zum Einsatz, auf der genau festgehalten ist, was zu geschehen hat, wer eingeschaltet und wer informiert wird. «Werden Grenzen überschritten, reagieren wir arbeitsrechtlich sofort», betont Jordi. Wer sich nicht an die Betreuungsstandards hält, dem wird gekündigt, je nach Vergehen sogar fristlos.

Das Wichtigste aber sei, den Vorfall sofort abklären zu lassen, sagt Jordi. Zum Schutz aller Beteiligten sorgt eine spezialisierte Untersuchungseinheit der Polizei für eine sachliche Aufklärung. Nicht immer handelt es sich um einen klaren Übergriff, vieles spielt sich im Graubereich ab. «Dann gibt es einen Aktenvermerk, und bei mehreren Vermerken kommt es zu weiteren Abklärungen», erläutert Jordi.

Sicherheit dank hoher Standards

Hohe Standards bieten beiden Seiten ein grosses Mass an Sicherheit, ist Jordi überzeugt. «Wo Transparenz, Offenheit und Zugänglichkeit sichergestellt sind, kann es fast nicht mehr zu Übergriffen kommen.» So gab es auch im Blumenhaus Buchegg noch keinen schweren Fall, sondern «nur» eine Verletzung der Betreuungsstandards. Was zur Folge hatte, dass das Arbeitsverhältnis aufgelöst wurde. 

Trotz aller Vorkehrungen und Massnahmen, Macht- und sexuellen Missbrauch zu verhindern, müsse eins klar sein, betont der Präsident der Heimkommission des Kantons Thurgau, Mario Brunetti: «Eine absolute Sicherheit gibt es nicht.»

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