Bern (sda). Es ist ein nebliger Mittwochmorgen, als Burim Cakolli vor einer Schar Medienvertreter sein Unternehmen präsentiert. Der Teenager handelt mit Autos. Cakolli erklärt und gestikuliert begeistert über Formen und Farben, das Webdesign und den Webauftritt seiner Firma. Sogar passendes Firmenpapier habe er erstellt, erzählt er.
Selten wohlwollend applaudiert die Medienschar. Es gibt keinen Grund, misstrauisch zu sein: Cakollis Unternehmen wird nie ein einziges Auto verkaufen. Cakolli ist Lehrling im 1. Lehrjahr bei Siemens. Sein Unternehmen ist rein virtuell. Durch die Entwicklung des Unternehmens lernt der angehende Applikationsentwickler beispielsweise programmieren.
16-jährige CEO
Lernwerkstatt nennt sich das. Es ist die moderne Spielart in der Berufslehre: Lernende werden zu Unternehmern, übernehmen Verantwortung für ihre Projekte und feilen dadurch an ihrer Selbstkompetenz. Das Bild der Lehrmeister, die Jugendliche Hilfsarbeiten machen lassen, ist mehr als verstaubt.
Cakolli ist bei Siemens einer von 350 Lernenden. Das Unternehmen hat in Zürich-Albisrieden vor Jahresende ein neues Lehrlingsausbildungszentrum eröffnet mit modernsten Ausbildungs- und Schulungsplätzen. Es ist mehr als nur ein neues Gebäude. Es hat Symbolcharakter. «Wir setzen stark auf die Berufsbildung, um die Lücke bei den Fachkräften zu schliessen», sagt Siegfried Gerlach, Chef von Siemens Schweiz. Die Zahl der Automatiker-Lehrplätze etwa wird in den kommenden zwei Jahren um 42 auf 64 erhöht. Ein Grossteil des Marketingbudgets setzt Siemens ein, um sich bei den Jungen beliebt zu machen.
Auch andere Grosskonzerne – etwa die Swisscom und die M-Industrie – setzten auf Projektcharakter in der Berufslehre. Beim Maschinenbaukonzern Bühler verbringen Jugendliche einen Teil ihrer Lehre sogar in China. Am Unterricht an der Berufsfachschule Uzwil (SG) nehmen sie über Videokonferenz teil.
Unbesetzte Lehrstellen
Von den rund 95'000 Lehrstellen waren im Sommer 2014 etwa 8000 unbesetzt, die meisten in technischen Berufen. Gemäss Branchenverband Swissmem blieben 2013 bei den Mitgliedern 5 Prozent der Lehrstellen offen. Dabei braucht die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM) alleine in den nächsten fünf Jahren 100'000 neue Fachkräfte. Aus dem eigenen Nachwuchs stammen gemäss Branchenverband jährlich nur etwa 4000 bis 5000 Personen.
Gerade in Berufen wie Informatiker, Maschinist, Metallbauer oder Maschinenbauer ist die Massnahme Ausbildung wirksam, um dem Fachkräftemangel vorzubeugen, wie eine Studie des Verbandes zeigt.
Die Lernenden seien sehr wichtig, sagt auch Cornelia Schreier, Sprecherin des Industriekonzerns Rieter. «Die interne Ausbildung von Fachkräften ist Teil der Nachfolgeregelung. Dieses Personal ist für die unternehmensspezifischen Anforderungen ausgebildet und bereits fest in den Prozessen und der Unternehmenskultur integriert», sagt sie.
Die Lehre sei in den letzten Jahren wichtiger und relevanter geworden. 266 Lernende oder 5,5 Prozent des Personalbestandes sind heute Lernende – seit einigen Jahren auch bei Rieter in den Kernmärkten Indien und China. Zudem haben die Lernenden die Möglichkeit, nach dem ersten Lehrjahr ein High School-Jahr in den USA dazwischen zu schalten.
Lehre in Englisch
In den Kantonen Genf, Zug und Schaffhausen soll es bald eine englischsprachige Lehre geben. Pilotprojekte sind mit unterschiedlichem Stand in Arbeit. «Langfristig wäre das Angebot einer englischen Lehre ein guter Weg, dass noch mehr internationale Konzerne Ausbildungsplätze anbieten und noch mehr Jugendliche sich für eine Lehre entscheiden», sagt der Zuger Projektleiter Bruno Geiger. Zudem soll bei den Zuger Informatikern ein Schweizer Fähigkeitszeugnis (EFZ) mit einem internationalen Diplom kombiniert werden.
Das Image der Lehre profitiert dann zusätzlich von den internationalen Perspektiven, die sich daraus ergeben, ist Geiger überzeugt.
Eines der überzeugendsten Argumente für die Lehre sind wohl aber immer noch die Karrierechancen, die sich nach dem Abschluss auftun. Drei von vier Unternehmenschefs in der MEM-Industrie haben mit einer Lehre begonnen.