St. Gallen (sda). Es liegt nicht am «Angebot», dass weibliche Verwaltungsräte in der Schweiz mit einem Anteil von 14 Prozent noch immer vergleichsweise selten sind: Heute gebe es genügend kompetente und engagierte VR-Kandidatinnen für viele Bereiche, sagt Martin Hilb, emeritierter Professor der Universität St. Gallen (HSG).
Hilb gehört zu den Vorreitern in diesem Fachgebiet: Er ist Gründer und leitender Partner des International Center for Corporate Governance. Hilb ist für seine Arbeit über die Schweiz hinaus bekannt.
520 Frauen mit VR-Ausbildung
Das Female Board Pool verfügt über eine Datenbank mit 520 ausgebildeten Verwaltungsrätinnen. Darauf können Unternehmen zurückgreifen und, entsprechend ihrem Anforderungsprofil, gezielt Kandidatinnen nachfragen. «Dies wollen wir noch verstärken», erklärt Hilb.
Rege genutzt werden die Intensivseminare für Verwaltungsrätinnen, die das Female Board Pool regelmässig anbietet. Die Teilnehmerinnen können Mitglieder des Netzwerks werden. Auch an anderen VR-Seminaren zu spezifischen Themen nehmen laut Hilb jeweils etwa 20 Prozent Frauen teil.
Männer-Netzwerke
Bei der Neubesetzung von VR-Sitzen kommen dann aber meistens männliche Kandidaten zum Zug, die den VR-Mitgliedern aus ihren Netzwerken bekannt sind. In den Gremien herrsche oft die Überzeugung, dass es in der Schweiz nicht genügend kompetente VR-Kandidatinnen gebe, stellte Hilb fest. «Hier wollen wir in Zukunft proaktiver vorgehen – etwa durch vermehrte Kommunikation.»
Grossen Unternehmen empfiehlt der HSG-Professor, drei Frauen in den Verwaltungsrat zu wählen. Eine preisgekrönte Studie habe gezeigt, dass bei multinationalen Unternehmen der Konsumgüterindustrie «Firmengruppen mit mindestens drei Frauen im Board signifikant innovativer sind» als Firmen mit keiner oder lediglich einer Frau im VR.
Frauen stellen mehr Fragen
Durch Untersuchungen belegt ist, dass in Verwaltungsräten mit mehreren Frauen häufiger Verständnisfragen und kritische Fragen zu heiklen Themen gestellt werden. Als positive Beispiele dazu nennt Hilb den Universitätsrat der Universität Luzern oder «Schweizer Jugend forscht». Diese öffentlichen Organisationen haben beide drei Frauen in ihrem Aufsichtsgremium. «Das bewährt sich», sagt Hilb. Staatliche und Non-Profit-Institutionen seien in der Schweiz bei der Frauenförderung am fortschrittlichsten.
Sehr gute Aufstiegsmöglichkeiten für Frauen bietet laut Hilb das föderalistische politische System der Schweiz mit Gemeinde, Kantons- und Bundesbehörden. Der Bundesrat (plus Bundeskanzlerin) mit je vier Männern und Frauen sei dafür «weltweit beispielhaft».
Für temporäre VR-Frauenquote
Braucht es die derzeit viel diskutierten Frauenquoten? Auf Geschäftsleitungs-Ebene fehlt es laut Hilb in der Schweiz und in den meisten Ländern noch immer an Frauen mit den nötigen Voraussetzungen. Da helfe keine nationale Quote. Zuerst müssten die Unternehmen mit gezielten Förderungsprogrammen und flexiblen Arbeitszeit- und Ortskonzepten vermehrt geeignete Frauen in Kader-, Direktions- und GL-Positionen berufen.
Auf VR-Ebene spricht sich der Corporate-Governance-Spezialist für eine temporäre Quote aus, «damit wir nicht weitere 15 Jahre warten müssen, bis die angestrebten 30 Prozent Verwaltungsrätinnen in börsenkotierten Unternehmen Wirklichkeit werden».
Das International Center for Corporate Governance (www.icfcg.org) kooperiert in zwei von neun Fachbereichen mit dem Institut für Systemisches Management und Public Governance (IMP) der Universität St. Gallen: der Swiss Board School, dem führenden Anbieter von VR-Seminaren in der Schweiz, und dem Female Board Pool, der auch mit Vertretungen in Belgien, Deutschland und Luxemburg tätig ist.