Gastbeitrag

DEI ist tot – es lebe DEI!

Eine neue US-Executive Order der Trump-Regierung stellt die Förderung von Diversität, Gleichstellung und Inklusion (DEI) unter Generalverdacht mit weltweiten Auswirkungen – auch in der Schweiz. Der Beitrag von Jérôme Oguey beleuchtet die Herausforderungen und Chancen dieser Zäsur – und zeigt, warum DEI gerade jetzt relevanter denn je ist.
 

Am 10. Januar 2025 trat US-Präsident Donald Trump seine zweite Amtszeit an – und ging unmittelbar in die Offensive: dies mit der Unterzeichnung von zahlreichen Executive Orders (EOs), also präsidialen Dekreten. Trump unterzeichnete im Jahr 2025 bereits 152 EOs – fast so viele wie in seiner gesamten ersten Amtszeit (220). 

Vor diesem Hintergrund stellt die am 21. Januar 2025 unterzeichnete EO 14173 mit dem Titel «Ending Illegal Discrimination and Restoring Merit-Based Opportunity» ein deutliches und in vielerlei Hinsichten bedenkliches Signal dar. Sie widerruft frühere Regelungen zur Förderung von Diversität, Gleichstellung und Inklusion (DEI) beziehungsweise DEIA – wobei A für «accessibility», also Barrierefreiheit, steht – und verpflichtet alle US-Bundesbehörden, jegliche Form von DEI-Programmen zu unterbinden, sei es in Form von Zielvorgaben, Trainings oder Begriffsnutzung. Darüber hinaus zielt das Dekret auch auf eine Einschränkung von DEI-Initiativen im privaten Sektor. Der Wortlaut ist perfide, denn er impliziert, dass DEI-Programme systematisch zu illegaler Diskriminierung geführt hätten.

Die Order greift die Kritik an «affirmative action» auf, die laut Gerichtsurteilen in einzelnen Fällen zu Diskriminierung von Weissen oder Asiaten geführt hat. Wohlgemerkt: Es handelt sich um Einzelfälle, keine systematische Praxis. Diese wurden politisch und ideologisch ausgeschlachtet – und stossen besonders bei der weissen Bevölkerung auf Zustimmung, deren Anteil innerhalb der US-Bevölkerung seit Jahrzehnten sinkt.

Die EO 14173 zielt darauf ab, Meritokratie als Leitprinzip zu verankern – also die Vorstellung, dass Chancen und Positionen ausschliesslich auf individueller Leistung beruhen sollen. Expertinnen und Experten betonen jedoch, dass Meritokratie nur dann gerecht und wirksam sein kann, wenn alle Menschen nicht nur den gleichen Zugang zu Bildung, Ressourcen und Entwicklungsmöglichkeiten haben, sondern diese Chancen auch tatsächlich nutzen können. Es ist daher zu befürchten, dass die EO 14173 die gesellschaftliche Spaltung in den USA weiter vertiefen wird – mit besonders schlimmen Folgen für Frauen, People of Color und die LGBTQ-Community.

US-Dekret hat Folgen für Schweizer Unternehmen


Im ersten Schritt sollten alle Unternehmen abklären, ob – und in welchem Ausmass – sie von der Executive Order betroffen sind. Generell gilt: Schweizer Organisationen, die enge Geschäftsbeziehungen mit den US-Behörden pflegen oder Fördermittel von der US-Administration erhalten, fallen eindeutig unter die EO 14173. Ganz grundsätzlich empfiehlt es sich jedoch für alle Organisationen, ihre bestehenden DEI-Praktiken zu überprüfen – denn auch aus der Entwicklung in den USA lassen sich wertvolle Impulse für die eigene DEI-Praxis ableiten (siehe weiter hinten im Artikel). 

Gemäss der EO 14173 ist jede Form von Bevorzugung oder Benachteiligung aufgrund von Gruppenzugehörigkeit (wie etwa Geschlecht oder Hautfarbe) – etwa durch Quoten oder Zielvorgaben – unzulässig. Erlaubt bleiben Programme, die ausschliesslich auf Leistungs- und Qualifikationskriterien beruhen. Auch die Verwendung bestimmter Begriffe im Zusammenhang mit DEI kann rechtliche Risiken bergen. Neutralere Formulierungen wie Gleichbehandlung sollen bevorzugt verwendet werden. Grundsätzlich sind betroffene Unternehmen gut beraten, ihre Sprache und Zielformulierungen sorgfältig zu überprüfen.

«Schweizer Kompromiss» als Lösung?


Im Umgang mit der EO 14173 zeigen sich bei direkt betroffenen Unternehmen drei typische Reaktionsmuster:

  • Nichts ändern und abwarten
  • Externe Kommunikation anpassen – zum Beispiel durch Entfernen von DEI-Zielen und -Programmen auf der Website
  • Initiativen einstellen – wie es viele US-Tech-Giganten bereits getan haben

Aktuell ist die zweite Variante am häufigsten – verständlich angesichts möglicher Sanktionen durch US-Behörden, auch wenn sie öffentlich stark kritisiert wird. Beispiele dafür sind grosse Schweizer Pharmakonzerne oder SAP: DEI-Ziele verschwinden von den Websites, doch das Engagement soll intern weiterlaufen – nur weniger sichtbar. Solche Strategien erinnern an den «Schweizer Kompromiss» – eine pragmatische Reaktion auf widersprüchliche Erwartungen, die derzeit auch international grosse Beliebtheit findet. Gerade in Krisenzeiten sind Besonnenheit, kollektive Intelligenz und Mut gefragt, nämlich der Mut, zu Werten und Prinzipien zu stehen.

In diesem Kontext ist die Haltung von Apple bemerkenswert. Obwohl der Tech-Konzern direkt von der EO 14173 betroffen ist, verfolgt er seine DEI-Ziele konsequent weiter. Es ist ein Zeichen von Mut: 97 Prozent der Aktionärinnen und Aktionären lehnten im Februar 2025 einen Antrag zur Abschaffung der DEI-Programme ab. CEO Tim Cook bekräftigte öffentlich, dass Vielfalt, Gleichstellung und Inklusion weiterhin zur Unternehmensstrategie gehören werden. Das ist ein ermutigendes Beispiel – besonders für börsenkotierte Unternehmen in der Schweiz.

Spagat für börsenkotierte Unternehmen in der Schweiz


Schweizer Firmen, die sowohl der EO 14173 unterliegen als auch dem Schweizer Aktienrecht, stehen nämlich vor einer besonderen Herausforderung. Carla Kaufmann, Juristin und CEO vom Personalvermittler «GetDiversity», betont: «Für börsenkotierte Schweizer Unternehmen mit US-Geschäft ist die Lage besonders komplex: Sie müssen einerseits den Art. 734f OR erfüllen – und gleichzeitig vermeiden, gegen die EO 14173 zu verstossen.»

Denn seit dem Jahr 2021 verpflichtet Art. 734f OR börsenkotierte Unternehmen zu Geschlechter-Richtwerten: mindestens 30 Prozent Frauen im Verwaltungsrat ab 2026 und 20 Prozent in der Geschäftsleitung ab 2031. Wird ein Zielwert verfehlt, verlangt das Gesetz eine Begründung im Vergütungsbericht sowie gezielte Massnahmen zur Zielerreichung.

Laut «GetDiversity» erfüllen die SMI-Unternehmen diese Vorgaben bereits, doch im Gesamtbild sieht es anders aus: Im Jahr 2024 erfüllten weniger als die Hälfte der börsenkotierten Unternehmen den VR-Richtwert – 48 davon hatten keine Frau im Verwaltungsrat.

Es lebe DEI!


Für die grosse Mehrheit der Schweizer Unternehmen – also jene ohne direkte Verbindung zu US-Bundesbehörden oder Fördermitteln – besteht kein Anlass, ihre DEI-Aktivitäten einzustellen. Im Gegenteil: Erfolgreiche DEI-Strategien ziehen Talente an, binden sie langfristig und stärken die eigene Wettbewerbsfähigkeit. Jedoch lässt sich aus der EO 14173 eine wichtige Lehre ziehen: Gleichbehandlung und Fairness in aller Konsequenz zu sichern. Der Fokus sollte klar auf der Beseitigung jeglicher (!) Form von Diskriminierung liegen – völlig unabhängig von Geschlecht, Alter, ethnischer Herkunft, körperlicher oder psychischer Verfassung oder anderen persönlichen Merkmalen.

Wirksame Schritte für eine bessere DEI 


Neben der laufenden Überprüfung der Rechtskonformität empfehlen sich folgende Praktiken für Unternehmen, die DEI wirksam fördern wollen:
 

DEI als strategischen Hebel wirksam verankern: DEI ist ein anerkanntes Erfolgskonzept – kein kurzfristiger Trend. Damit es im Berufsalltag Wirkung entfalten kann, braucht es langfristiges Engagement, gelebte Inklusion und das vorbildliche Verhalten von Führungskräften – ebenso wie das aktive Mitwirken aller Mitarbeitenden. Zur Verankerung im Alltag braucht es gezielte Fördermassnahmen wie Austauschformate, Lerngruppen und Weiterbildungen zu Diversität, Gleichstellung und Inklusion, die deutlich über das Thema Bias hinausgehen.

DEI-Ziele diskriminierungsfrei und möglichst inklusiv formulieren: Nicht jedes Ziel oder jede Quote wirkt automatisch inklusiv. Um unbeabsichtigtes Othering oder den Eindruck von Bevorzugung beziehungsweise Benach­teiligung zu vermeiden, braucht es neutral formulierte Zielsetzungen – etwa wie bei der Stadt Zürich: «mindestens 35 Prozent je Geschlecht».

Gleichbehandlung durch klare Kriterien und faire Prozesse sicherstellen: Ob Rekrutierung, Leistungsbeurteilung oder Beschaffung – alle Prozesse müssen sich an klaren und gut dokumentierten Kriterien orientieren, die einheitlich und konsequent angewendet werden. Das gelingt nur durch regelmässige Überprüfung und gezielt geschulte Anwenderinnen und Anwender. Auch wenn es selten vorkommt: Talente einzustellen oder zu befördern, die die Anforderungen nicht erfüllen, schadet langfristig – allen Beteiligten. Selbst bei bester Absicht. Grundsatz: Bei gleichen Kompetenzen – ja. Sonst nicht. 

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Porträt eines Mannes mittleren Alters mit dunklem, leicht zerzaustem Haar, Bartstoppel und Brille. Er trägt ein blaues Karo-Sakko über einem weissen Hemd und steht vor einer hellgrauen Betonwand. Er lächelt dezent und blickt direkt in die Kamera.

Jérôme Oguey ist Gründer und Geschäftsführer von «INLEAD». Seit 2015 begleitet er Führungskräfte in Fragen der Führungswirksamkeit, Teamdynamik und DEI und unterstützt Unternehmen dabei, inklusive und zukunftsfähige Kulturen zu gestalten. Er ist zudem Host des Podcasts «Inklusion im Fokus», in dem er ­regelmässig mit spannenden Persönlichkeiten über die Förderung von Inklusion im Berufsalltag spricht.

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