Kommentar

Warum Diversitätsziele scheitern, wenn sie nicht systemisch verankert sind

Unternehmen in den USA fahren ihre Diversitätsziele auf politischen Druck hin zurück. Schweizer Firmen ziehen still und pragmatisch nach. Warum das mehr ist als ein Rückschritt und es strukturelle Veränderung braucht – nicht «guten Willen». Ein Kommentar.

Mehrere Schweizer Firmen beugen sich derzeit dem internationalen Druck – genauer gesagt der Agenda der US-Regierung, die Massnahmen zur Förderung von Diversität und Inklusion offen bekämpft.

Dass nun auch Schweizer Firmen dem Druck aus Übersee nachgeben, ist nicht nur bedauerlich – es ist desolat. Und zugleich wenig überraschend. Sich gegen die US-Regierung zu wenden, stünde im Widerspruch zu konkreten ökonomischen Logiken, denn in den Konflikt mit Gesetzen oder gar Regierungen insgesamt zu treten, ist nicht im Sinne eines Unternehmens.

Es ist hinlänglich bekannt und empirisch untersucht: Diversität bringt unternehmerisch betrachtet Vorteile – sogar Wettbewerbsvorteile. Die Beratunsfirma McKinsey etwa analysierte über 1000 Unternehmen in 23 Ländern – Firmen im obersten Diversitäts-Quartil waren 39 Prozent profitabler als jene mit geringerer Vielfalt. 

Das ist ein oft genannter Grund, wenn es darum geht, eben jene Initiativen zu verteidigen. Dabei geht gleichzeitig vergessen: Es gibt noch viele Dinge, die Unternehmen profitabler machen. Obwohl auch eine Vier-Tage-Woche als wirtschaftlich sinnvoll gilt, scheuen viele Firmen den Schritt – warum also sollten sie unter politischem Gegenwind gerade an Diversitätszielen festhalten?

Inklusion und Diversität muss institutionalisiert sein


Das soll keine Verteidigung dieser Unternehmen sein, sondern nur die Logik erklären, nach der in solchen Fällen operiert wird, insbesondere, wenn der gesetzliche Rahmen diesen Spielraum erlaubt. Verschiedentlich wird die Hoffnung geäussert, dass man Diversitäts- und Inklusionsziele auch erreichen könne, wenn diese nicht als interne Richtlinien formuliert werden – schlicht über Unternehmenskultur, meist top down vorgegeben. Doch ob das so stimmt und man darauf wirklich hoffen kann, bleibt mindestens fraglich.

Hier greift nämlich eine andere Logik: Dass viele Firmen nicht divers genug, nicht inklusionsorientiert sind, hat eine lange Geschichte. Darum: Im Kern von Inklusionsbestrebungen darf es nicht einfach darum gehen, die Profite von Firmen zu steigern. Wenn das passiert, ist das bestenfalls eine angenehme Begleiterscheinung. Aber der eigentliche Zweck ist Gerechtigkeit. Das zu vergessen – und das droht uns hier – wäre fatal.


«Im Kern darf es nicht darum gehen, die Profite von Firmen zu steigern. Wenn es passiert, ist das bestenfalls eine angenehme Begleiterscheinung. Aber der eigentliche Zweck ist Gerechtigkeit.»


Hier soll es darum gehen, Gerechtigkeit für historisch benachteiligte Demographien zu schaffen. Nicht Repräsentation um der Repräsentation willen, und auch nicht bloss um die Förderung von Individuen aus bestimmten Demographien. Nein, Ziel ist es Nachteile auszumerzen. Nachteile, die das Ergebnis von historisch gewachsenen sozioökonomischen und -kulturellen Strukturen sind. Auch geht es bei Diversitätsbestrebungen nicht einfach nur um sogenannte «soften» Faktoren, die «auch noch mitgedacht» werden sollen. Diskriminierung ist nicht einfach ein Problem, das Unternehmen haben, sondern die Gesellschaft als Ganzes. Sie darum nur von der Unternehmensseite zu denken – Stichwort Diversität als Profittreiber – ist zu kurz gegriffen und wird den Menschen, die Diskriminierung erfahren, sowohl strukturell als auch individuell, nicht gerecht. 

Diskriminierungen überkreuzen sich


Intersektionalität hat uns gelehrt, Diskriminierung nicht als rein individuelles Schicksal zu begreifen, sondern als Ausdruck überlappender, struktureller Ungleichheiten. Eine Person mit körperlicher Behinderung und einer nicht-weissen Hautfarbe etwa ist nicht einfach doppelt benachteiligt. Sie befindet sich an einem Punkt, an dem sich Diskriminierungsformen kreuzen. Der intersektionale Ansatz unterscheidet sich damit grundlegend von der blossen Betrachtung individueller Diskriminierungserfahrungen: Er macht sichtbar, dass die Gründe dafür tiefe systemische Wurzeln haben.

Gerade weil diese – empirisch feststellbaren – Formen von Diskriminierung aus sozialen und wirtschaftlichen Strukturen gewachsen sind, ist es darum fragwürdig, den Führungsetagen, so sensibilisiert sie individuell auch sein mögen, die alleinige Verantwortung dafür zu übertragen, jene Strukturen, die sie geschaffen haben und zum Teil auch schwer selbst erkennen, abzubauen. Eine schiefe Autoachse begradigt man als Person hinter dem Steuer schliesslich auch nicht mit blossem Willen zum vorbildlichen Lenken, sondern mit einem Besuch in der Autowerkstatt. Doch genau hier liegt das Problem. Strukturelle Veränderung ist keine Frage des guten Willens, sondern, um bei der Autometapher zu bleiben: der Motor.

Darum ist es nicht verwunderlich, dass Unternehmen nun vor dem politischen Druck einknicken. Aber: Es ist dennoch der Kanarienvogel in der Kohlemine. Diese Unternehmen wahren damit ihre unmittelbaren Interessen und nicht jene ihrer Mitarbeitenden. Fast wie die gescheiterte Trickle-Down-Idee – bloss mit Rechten statt Kapital.  

Es ist ein Klassiker, der nicht-weissen, behinderten oder queeren Menschen bestenfalls ein bitteres Lächeln abgewinnen kann: 

Wie beim Geld sickert auch hier am Ende kaum etwas bis zu jenen, die es am dringendsten bräuchten. Jene gesellschaftlichen Schichten, die bereits am wenigsten politisches, kulturelles und ökonomisches Kapital besitzen, waren und sind immer die ersten, denen es an den Kragen geht. 
 

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Robin Adrien Schwarz ist Online-Redaktor bei HR Today. 
rs@hrtoday.ch

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