HR Today Nr. 1&2/2016: Porträt

Der Teilzeit-Pionier

Adrian Bucher wollte beides. Karriere machen, dabei aber auch seine Kinder aufwachsen sehen. Deshalb beantragte der studierte Organisationspsychologe und Betriebswirt bei der Swisscom schon früh ein Teilzeitpensum – mit Erfolg. Heute teilt sich der 38-jährige Berner als Co-Head 
HR Development die Führungsfunktion mit einer Arbeitskollegin im Jobsharing.

Seinen Papa-Tag beginnt Adrian Bucher jeweils mit einem Kaffee und der aktuellen Tageszeitung. Diese 30 Minuten «Egozeit» geniesst er in aller Ruhe. Haben die neunjährige Anouk und der siebenjährige Mats ausgeträumt, wird’s lebendig. Während des Frühstücks nimmt der Vater die Znüniwünsche entgegen und verabschiedet die Kinder kurz daraufhin in die Schule. «Ob Abwasch, einkaufen oder Mittagessen kochen – danach gibt’s immer was zu tun.» Trödeln und entspannen liege schon auch drin, aber ein straffes Morgenprogramm – meist mit einer kurzen Jogging-Runde zum Ausklang – zahle sich aus, denn «so bleibt nachmittags genug Zeit, sich mit den Kindern zu beschäftigen.» Zu Buchers «Pflichtenheft» gehört auch der Fahrdienst zu Anouks Reitunterricht oder zu den YB-Spielen mit Mats.

Männerdominierte Vollzeitkultur

«Wenn ich Kinder in die Welt setze, dann will ich mich konsequenterweise auch um sie kümmern – und zwar nicht nur an den Wochenenden», erklärt Adrian Bucher. Der Co-Leiter des HR-Development-Teams der Swisscom wählt seine Worte mit Entschlossenheit und Überzeugung – vor allem, wenn es um die Solidarität mit seiner Gattin geht: «Meine Frau hat ebenfalls studiert. Können Sie mir erklären, warum sich eine hochqualifizierte Frau zu 100 Prozent der Kindererziehung und dem Haushalt widmen soll, während sich ihr Mann selbst verwirklichen darf?»

Auch auf seine Geschlechtsgenossen angesprochen, nimmt Bucher kein Blatt vor den Mund. So vermutet er, dass vielen Vätern das eigene Ego im Weg stehe. Er macht die betroffenen Männer allerdings nur teilweise für dieses Phänomen verantwortlich. «Aus meinem Umfeld höre ich immer wieder, dass Väter nach der Geburt ihr Pensum sehr wohl reduzieren möchten, sich jedoch vor den beruflichen Konsequenzen fürchten», sagt Bucher. Aus diesem Grund gerät das Blut des 38-Jährigen regelrecht in Wallung: «Die veraltete und männerdominierte Vollzeitkultur hierzulande zementiert das vorherrschende Diversitäts-Ungleichgewicht, indem sich Unternehmen darauf konzentrieren, Teilzeitmodelle lediglich für Frauen zu fördern.»

Bucher wollte diese Stereotypen nicht länger hinnehmen und ging bei der Geburt seiner Tochter vor neun Jahren als «Pionier» voran: «Ich eröffnete meiner Chefin, dass ich künftig an den Freitagen nicht mehr im Büro anzutreffen sei», erinnert sich Bucher. Sein Aufgabengebiet als Spezialist in der Mitarbeiterentwicklung und Betreuung von Führungskräften und Mitarbeitenden bei der Swisscom Mobile AG wurde kleiner, da ein gleichzeitig abgeschlossenes Projekt für Entlastung in der Agenda sorgte. Er plante, konzipierte und führte weiterhin Assessments und Teamentwicklungsprojekte durch. Zudem war er für die Berufsbildung bei Swisscom Mobile verantwortlich und in der Leitung eines HR-Transformationsprojekts mit dem Zusammenschluss von drei HR-Abteilungen beschäftigt.

Zur Person

Adrian Bucher (38) ist nach dem Studium der Arbeits- und Organisationspsychologie sowie Betriebswirtschaftslehre 2004 bei der Swisscom als HR-Praktikant im Bereich Management Development eingestiegen. Vier Jahre später übernimmt er die Leitung des Management Development Teams der Swisscom Schweiz. 2012 wechselt er als HR Business Partner zur Kundenservice-Einheit der Swisscom. Seit Oktober 2014 teilt er sich die Führungsfunktion als Co-Head Group HR Development. Adrian Bucher lebt in 
Bern und ist mit einer Apothekerin verheiratet. 
Gemeinsam haben die beiden zwei Kinder.

Vom Job- und Topsharing

Zwei Jahre nach der Geburt seiner Tochter kommt 2008 sein Sohn Mats auf die Welt und Bucher steigt zum Head HR-Management Development auf. 2012 wechselt er als HR-Management Consultant in den Kundenservice, wo er die HR-Gesamtverantwortung übernimmt. 2014 eröffnet sich mit einer Vakanz auf der Position der Leitung HR Development die Chance, gemeinsam mit seiner Arbeitskollegin Esther Kühne ein neues Arbeitsmodell auszutesten: «Weil wir beide kein 100-Prozent-Pensum anstrebten, schlugen wir ein Jobsharing-Modell vor», erklärt Bucher.

Seit September 2014 arbeitet die Mutter zweier Kinder zu 60 Prozent und verantwortet in ihrem Kompetenzbereich die Themen Leadership Academy und Berufsbildung, während sich Bucher mit einem 80-Prozent-Pensum um die Organisationsentwicklung, das Performance Management und Talent Management kümmert. Diese strikte Arbeitsteilung zahle sich aus: «Wir haben die Themen intern klar aufgeteilt, um Kompetenzgerangel und Missverständnisse zu vermeiden», sagt Bucher. Ein gemeinsames Online-Notizbuch sowie eine wöchentliche Sitzung hätten sich als Kommunikationsinstrumente bewährt. Eine enge Abstimmung sowie ein gesundes Mass an Bescheidenheit seien darüber hinaus zentrale Bedingungen für den Erfolg des Jobsharings.

Talent Management ist indes zu Buchers Steckenpferd geworden: «Talent ist ein emotional aufgeladener Begriff, besonders für diejenigen, die von ihren Vorgesetzten das Gefühl bekommen, kein Talent zu sein», gibt Bucher zu bedenken. Beim Talent Management sei entscheidend, herauszuschälen, welche Talente die Swisscom in Zukunft benötige, um das Unternehmen voranzubringen und entlang dieser Kriterien mutig zu entscheiden, welche Mitarbeitenden gezielter gefordert und gefördert werden sollen.

Beim Thema Talent Management blüht Bucher förmlich auf. Kein Wunder, wurde der Luzerner doch selbst einmal als Talent identifiziert und entsprechend gefördert: Vier Jahre nach den ersten Gehversuchen als Praktikant im HR Development der Swisscom übernahm er die Leitung des Management-Development-Teams. Dabei durfte er das Top-Management der Swisscom inklusive Carsten Schloter begleiten und seine Perspektive auf Leadership, Change Management und Vorbildfunktion kennenlernen. Eine Phase, in der Bucher viel über sich und das Zusammenspiel von Führung und Organisation gelernt hat. Umso prägender war der plötzliche Tod des Topmanagers: Dieser Einschnitt habe dazu geführt, sich stärker zu hinterfragen und die Balance zwischen Berufs- und Privatleben einer eingehenden Prüfung zu unterziehen. Es sollte der einzige Moment des Gesprächs bleiben, bei dem Bucher kurz die Worte fehlten.

2012 wechselte Bucher aus dem Kompetenzcenter Development als HR Management Consultant (Business Partner) in die Kundenservice-Einheit. «Es gibt kaum eine Unternehmenseinheit der Swisscom, die näher an den Kunden operiert als das Callcenter und die Service-Einheiten, welche die Kunden zu Hause in ihrem Wohnzimmer besuchen», kommt Bucher ins Schwärmen. Auch ticke das Management im Kundenservice anders als in anderen Konzernbereichen. So seien Themen wie Gesundheitsmanagement, Unternehmenskultur oder Teamzusammenhalt auch zentral, letztendlich stehe aber immer der Kunde an erster Stelle. «Es war eine der prägendsten Stationen in meinem Berufsleben, ich durfte zwei Restrukturierungen begleiten und habe viel gelernt, gerade wenn es darum ging, als HR nicht immer nur Ja zu sagen zu den Wünschen und Anforderungen der Linie.»

Keine Männer-Teilzeitquote

Mittlerweile ist Bucher mit seiner Work-Life-Balance zufrieden. Die Mitarbeitenden würden seine Privatsphäre an seinem «Papa-Tag» meist respektieren – und wenn das Handy dennoch klingle, könne er immer noch selbst entscheiden, ob er gestört werden wolle. «Diese Fähigkeit wird einem aber nicht in die Wiege gelegt. Ich musste mit Beginn des Teilzeitpensums lernen, dass es legitim ist, das Handy an meinem freien Tag nicht abnehmen zu müssen», erklärt Bucher. Allerdings habe sich in den vergangenen zwei Jahren durch sein Weiterbildungsstudium in strategischem und innovativem HR-Management an einer Zürcher Hochschule die Doppel- zu einer Dreifachbelastung entwickelt. An dieser Stelle räumt Bucher ein, in den letzten zwei Jahren nicht immer all seinen Rollen gerecht geworden zu sein. «Wenn ich das Gegenteil behaupten würde, wäre es schlicht und ergreifend gelogen.»

Umso mehr begrüsst es Bucher, dass sich die Swisscom vermehrt für Lösungen einsetzt, welche die Vereinbarkeit von Beruf und Familie unterstützen und dem zunehmenden Bedürfnis der Mitarbeitenden nach Selbstbestimmung und Flexibilität entgegenkommen. Zu den von der Swisscom geförderten Lösungen zählen die flexible Arbeitszeit, die Jahresarbeitszeit, das Langzeitkonto, die Teilzeitarbeit bei Frauen und Männern sowie das Jobsharing.

Betreffend Förderung von Teilzeitvätern in seinem eigenen Verantwortungsbereich bemerkt Adrian Bucher: «Wir fördern bei uns im Development-Team für alle Mitarbeitenden Teilzeitstellen, haben aber keine spezielle Männer-Teilzeitquote. Ich erzähle intern von den Vorteilen einer Teilzeitstelle und spreche junge oder werdende Väter bei der Swisscom aktiv auf ihre Bedürfnisse als Menschen und Väter an. In diesem Sinne gebe ich dem Thema innerhalb des HR wie auch der Swisscom entsprechendes Gewicht.»

Swisscom

Swisscom ist ein führendes Telekommunikations- und 
IT-Unternehmen der Schweiz mit Sitz in Worblaufen bei Bern. Rund 21'500 Mitarbeitende erzielen einen Jahresumsatz von über CHF 11,5 Mia. pro Jahr.

 

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