Urs Bürge
Soll eine Firma am Feierabend den Mailserver ausschalten oder nicht? Ich bin der Meinung: Nein. Denn wann ist denn der «Feierabend» zeitlich anzusiedeln? In der heutigen Zeit ist die sogenannte Work-Life-Balance medial ein grosses Thema. Eigentlich war es ja immer schon eines. Es gab immer Leute, die lieber abends oder nachts gearbeitet haben, und andere, die das eher tagsüber oder gar frühmorgens taten. Wo Jahresarbeitszeiten oder Home-Office gefordert werden, kann man davon ausgehen, dass die Menschen mit E-Mails umgehen können, die es inzwischen doch seit Jahrzehnten gibt. Ein E-Mail kann man öffnen und lesen oder eben nicht. Der Absender sieht nicht, wann das E-Mail gelesen wurde, im Gegensatz zu Whatsapp oder Skype. Eine Antwort zu geben und den Zeitpunkt dafür zu wählen, ist dem Empfänger selbst überlassen. Dazu kommt die Internationalität der heutigen Geschäftstätigkeiten. Durch Zeitverschiebungen könnte man wohl 24 Stunden am Stück arbeiten und E-Mails versenden, je nachdem, mit welchen Ländern dieser Erde man geschäftliche Beziehungen pflegt.
Aus der Sicht einer Firma ist es wichtig, dass ihre Mitarbeitenden erreichbar sind. Es gibt dabei zwei Punkte zu berücksichtigen: Wenn ich als Mitarbeiter meinem Vorgesetzten um 23 Uhr noch ein E-Mail oder eine E-Mail-Antwort schreibe, dann wird damit am Abend oder in der Nacht kaum eine kommerzielle Tätigkeit ausgelöst. Eine solche E-Mail-Antwort kann also bis zum nächsten Morgen warten. Denn wie so oft im Leben hat eine zu schnelle Antwort hat auch die Tendenz, zu emotional zu wirken. Das Sprichwort «Gut Ding will Weile haben» hat im Kern etwas Richtiges. Darum ist es manchmal sinnvoller, eine Nacht darüber zu schlafen, um sich dann in ausgeruhter Form mit dem Inhalt zu beschäftigen.
Als Firma habe ich die Kontinuität gegenüber den Kunden sicherzustellen. Die Erreichbarkeit ist dabei essenziell. Nur antworten die Kunden genauso schnell per E-Mail wie die Mitarbeitenden? Beim Ausschalten des Mailservers am Feierabend verärgere ich vielleicht Kunden, wenn sie eine Fehlermeldung bekommen, nachdem sie ein E-Mail versendet haben. Grundsätzlich erwartet der Kunde der gleichen Zeitzone sicher nicht sofort eine Antwort, weil er seinen Feierabend wahrscheinlich selbst geniessen möchte. Bei internationaler Kundschaft ist eine sofortige Beantwortung in unterschiedlichen Zeitzonen so oder so kaum möglich, beispielsweise bei dem zehnstündigen Zeitunterschied zu Australien. Die Kontinuität betrifft aber auch die Mitarbeitenden. Als weitsichtiger Vorgesetzter wünsche ich mir solche, die loyal und ausgeglichen sind und ihre Arbeitskraft sowie ihr Wissen der Firma möglichst lange zur Verfügung stellen. Nur zufriedene Mitarbeitende führen zu zufriedenen Kunden. – Und: Der Trend des Immer-erreichbar-Seins hat nicht nur mit den Bedürfnissen der Wirtschaft zu tun, denn die Social Media bringen die Leute auch im Privaten dazu, fast ständig erreichbar zu sein.
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