Porträt: Susanne Nickel

Gegen alle Widerstände

Susanne Nickel, die in eine Arbeiterfamilie hineingeboren wurde, ist heute auf den grossen Bühnen der deutschen HR-Community unterwegs, wo sie ihr Wissen über organisatorische Veränderungen weitergibt. Ihr Rat: «Man muss die Leute dort abholen, wo sie sind.»

In einer komplexen und sich ständig wandeln­- den Welt zeigt sie den Weg zur Veränderung in Organisationen auf: Susanne Nickel war früher Balletttänzerin und wechselte später in die Unternehmensberatung. Heute ist sie Rednerin, Coach und Autorin mehrerer Bücher über Change Management, Teamführung und Generationenmix. Und am 27. März spricht sie am HR FESTIVAL europe in Zürich. Ob mehr Agilität, digitale Transformation, Übergang zu New Work oder Fusionen/Übernahmen, egal, wie gross die Herausforderung ist, es geht immer um Veränderung. Das macht die Umsetzung schwierig. «70 Prozent aller Veränderungsprojekte scheitern. Diese Misserfolge sind sehr häufig auf den Faktor Mensch zurückzuführen. Das Phänomen ist bekannt. Es ist eine Art ‹Quiet Quitting›, ein passiver und stiller Widerstand gegen Veränderungen», erklärt sie in einem Videocall, den sie uns von ihrem Quartier am Tegernsee in Bayern aus gewährt.

Modell Kübler-Ross neu interpretiert

Die Diagnose für diese Resistenz gegenüber Neuem ist bekannt. «Grob gesagt befinden sich in jedem Unternehmen 20 Prozent Enthusiasten, 40 Prozent Abwartende und 40 Prozent Widerständler», erklärt Susanne Nickel. Diejenigen, die Widerstand leisten, hätten oft gute Gründe dafür: «Entweder fehlen ihnen die Kompetenzen, um die neue Herausforderung anzugehen, oder sie haben nach zu vielen gebrochenen Versprechungen kein Vertrauen mehr in das Management.» Bei ihren Interventionen orientiert sie sich am Kübler-Ross-Modell. Die Zürcher Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross (1926–2004) war eine Pionierin der Palliativmedizin und theoretisierte die verschiedenen emotionalen Stadien, die ein Mensch durchläuft, wenn er von seinem bevorstehenden Tod erfährt: Verleugnung, Wut, Verhandeln, Depression und Akzeptanz. Bezüglich Veränderungen hat Susanne Nickel das Modell auf vier Stadien vereinfacht: Verneinung, Einsicht, Aufbruch und Erfolg.

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Anführungszeichen des Zitats

 

 

«Wer sich dem Wandel widersetzt, hat immer gute Gründe dafür.»

– Susanne Nickel, Keynote-Speaker, ehemalige HR-Leiterin und Rechtsanwältin

 

 

Nach der Diagnose folgt die Implementierung

Susanne Nickel fährt fort: «Das Schwierigste ist, das Verhalten zu ändern. Es kommt darauf an, wie schwierig und umfangreich die Veränderung ist. Die Herausforderung besteht darin, die Menschen durch die verschiedenen Zyklen der Veränderung zu begleiten. Manche von ihnen können mehrere Jahre lang in der Verneinungsphase stecken bleiben.» Angesichts dieser humanen Herausforderungen rät die Beraterin vor allem dazu, die Menschen nicht zu demo­tivieren. Sie lächelt und sagt: «‹Change business is people business› – man muss die Menschen dort abholen und mitnehmen, wo sie stehen, und sie in das Projekt einbeziehen. Wenn man die Macht der Akteure nicht berücksichtigt, wird es unmöglich sein, sie zu Veränderungen zu bewegen.»

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Susanne Nickel sitzt auf Stuhl und stützt ihren Kopf auf ihre Hand ab

Susanne Nickel ist Expertin für Arbeit und Wandel, Rechtsanwältin und Wirtschaftsmediatorin. (Bild: zVg)

 

Auf den unsichtbaren Teil des Eisbergs achten

Für Susanne Nickel ist die emotionale Intelligenz von Führungskräften ein mächtiger Hebel. «Das transaktionale Management der alten Schule funktioniert heute nicht mehr. Heute motiviert man seine Teams nicht mehr mit Zahlen und Daten. Mit rationalen Argumenten zu überzeugen, reicht nicht mehr aus. Sie müssen eine transformationale Führungskraft sein, mit der Haltung eines Coachs, der Vertrauen schafft und die Vision sowie den Nutzen einer Veränderung erklärt.» Bei ihren Vorträgen greift sie häufig auf die einfache und häufig genutzte Eisberg-Metapher zurück. «Der sichtbare Teil ist unsere Rationalität. Diese bleibt wichtig. Aber wenn man die restlichen 80 Prozent nicht berücksichtigt, ist alle Mühe umsonst.» Der unsichtbare Teil des Eisbergs unter Wasser stehe für Emotionen, Werte, Ängste, Wünsche und Mut. «Eine Führungskraft, die emotionale Intelligenz entwickelt hat, interessiert sich wirklich für die Menschen – sie kann die richtigen Leute an den richtigen Ort mitnehmen.»

Macht von Führungskräften hat zwei Seiten

Susanne Nickel hat während ihrer Karriere zahlreiche Projekte des Wandels umgesetzt. Von Mittelstands- bis DAX-Unternehmen, oft geht es darum, Organisationen agiler aufzustellen. Dazu braucht es alle und vor allen Dingen Führungskräfte, die die Transformation vorantreiben. Susanne Nickel: «Die Macht der Führungskräfte ist ein zweischneidiges Schwert. Wenn sie richtig eingesetzt wird, dient sie dazu, eine Organisation zu formen und in die richtige Richtung zu lenken und die fähigsten Profile am richtigen Ort einzusetzen. Manchmal ist Macht aber auch eine Sache des Egos. Eine Führungskraft kann versucht sein, die Organisation nach ihrem Bild zu formen, indem sie Vertraute und Freunde hereinnimmt.»

Susanne Nickel im himmelblauen Anzug

Kürz und bündig

Ihre wichtigste Charaktereigenschaft?

Ausdauer und Anpassungsfähigkeit.

Ihr grösstes Manko?

Meine Beharrlichkeit geht manchmal bis zur Sturheit (lächelt).

Ein Held in der Fiktion?

Pippi Langstrumpf.

Ein Geschenk der Natur, das Sie haben möchten?

Ein fotografisches Gedächtnis.

Was hassen Sie am meisten?

Dogmatismus.

Der beste Ratschlag, den Sie erhalten haben?

Fertig ist besser als perfekt. Oder englisch, weil das kennen viele: Done is better than perfect!

 

Führungskräfte müssen den Rhythmus spüren

Entscheidend ist das Timing von Änderungen. Susanne Nickel erklärt: «Die Rolle der Führungskraft ist in Veränderungszyklen von entscheidender Bedeutung. Sie muss den Rhythmus spüren. Sich Zeit zu nehmen, bedeutet auch, Empathie zu zeigen und sich in die Lage der anderen Personen hineinversetzen zu können. Und eine Veränderung braucht ihre Zeit. Es ist unmöglich, sie zu beschleunigen oder einzelne Schritte zu überspringen. Dem oder der Betroffenen muss es möglich sein, jede Phase einer Veränderung voll und ganz zu erleben.»

Positionierung des HR ist entscheidend

Susanne Nickels Meinung nach sollte die Personalabteilung «ein Relais zwischen dem Geschäft und der menschlichen Dimension einer Organisation sein, ohne sich zu sehr in der Verwaltung zu verheddern». Sie erklärt: «Die Rolle der HR-Professionals besteht darin, den Menschen die Fähigkeiten und die Einstellung zu vermitteln, die sie brauchen, um Veränderungen anzugehen. Diese Positionierung ist entscheidend. Das HR muss mit den Direktoren am Tisch sitzen und über strategische und betriebswirtschaftliche Kompetenzen verfügen. Die meisten Veränderungen scheitern jedoch am menschlichen Faktor. Die HR-Professionals müssen mit ihrer Rhetorik überzeugen und den Menschen, die diese Veränderungen durchleben werden, den Weg weisen. Sie sind Brückenbauer.» Die Personalfunktion habe auch die Rolle eines Übersetzers inne. Sie müsse die Strategie und die quantifizierten Ziele in ein stimulierendes Projekt übersetzen. Dies laufe auf die Schaffung von Vertrauen rund um das Projekt hinaus. «Die Menschen müssen beruhigt werden und verstehen, wohin sie gehen. Dadurch können sie positive Erfahrungen machen.»

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«Dem oder der Betroffenen muss es möglich sein, jede Phase einer Veränderung voll und ganz zu erleben.»

– Susanne Nickel, Keynote-Speaker, ehemalige HR-Leiterin und Rechtsanwältin

 

 

Generation X kann vermitteln

Susanne Nickel rät auch dazu, die Erwartungen und Funktionsweisen der Generationen X, Y und Z zu berücksichtigen. «Da die Babyboomer bald in den Ruhestand gehen, erlangt die zahlenmässig kleinere Generationen Z, also junge Menschen der Jahrgänge 1995 bis 2010, immer mehr Macht. Sie brauchen Emotionen, sind sehr flexibel und haben ein anderes Verhältnis zur Arbeit. Diese jungen Leute haben gesehen, wie ihre Eltern ihr Leben für das Unternehmen geopfert haben, und legen daher weniger Wert auf die Karriere.» Sie sei auch der Meinung, dass die Generation X (geboren zwischen 1965 und 1980) eine Vermittlerrolle spielen könne. Laut einer Metaanalyse im Auftrag von Susanne Nickel beherrscht die Generation X die Codes beider Welten: die Disziplin und das Leistungsdenken der Babyboomer, aber auch den Wunsch nach Flexibilität und Wertschätzung sowie eine gute Ausprägung der digitalen Kompetenzen.

Von Pina Bausch zu Stephen Covey

Auch Susanne Nickel gehört zur Generation X. Sie wurde in Ludwigshafen am Rhein in eine Arbeiterfamilie hineingeboren – ihr Vater arbeitete beim deutschen Chemieriesen BASF, ihre Mutter kümmerte sich um Haushalt und Kind. Sie selbst träumte von einer Karriere als Tänzerin. Als ihr Talent entdeckt wurde, besuchte sie die renommierte Folkwang Hochschule unter der Leitung von Pina Bausch in Essen, wo sie acht Stunden am Tag trainierte. Mit 18 Jahren brach sie ihren Traum vom Ballett jedoch ab, wurde Mama, holte die Matura nach und schrieb sich an der juristischen Fakultät der Universität München ein.

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Susanne Nickel hält eine Keynote auf einer Bühne

Laut Nickel ist die emotionale Intelligenz eine wichtige Führungseigenschaft. (Bild: zVg)

 

Preis für beste Keynote bei GSA gewonnen

Nach ihrem Masterabschluss arbeitete Susanne Nickel als Rechtsanwältin und Sprecherin für den ADAC (dem deutschen TCS), wo sie oft im Fernsehen auftrat, um die Projekte des Automobilclubs zu verteidigen. Da sie sich in der Kommunikation besser aufgehoben fühlte als in der Juristerei, setzte sie ihr Studium fort und erwarb einen Master-Abschluss in Wirtschaftsmediation an der Viadrina Universität Frankfurt an der Oder. Im Alter von 40 Jahren wurde sie Beraterin und Coachin und arbeitete für Stephen Covey (Autor des Bestsellers «The 7 Habits of Highly Effective People») und für die Beratungsgiganten Haufe und Kienbaum. Aufgrund ihrer Leidenschaft für öffentliches Reden absolvierte sie eine Ausbildung bei der German Speakers Association (GSA) und gewann 2016 den Preis für die beste Keynote. Allen Widrigkeiten zum Trotz fand sie ihr Talent.

Keynote am HR FESTIVAL europe 2024

Susanne Nickel hält die Keynote «Stell dir vor, es heisst Veränderung und alle freuen sich!» am HR FESTIVAL europe. Mehr Informationen: www.hrfestival.ch/event/stell-dir-vor-es-heisst-veraenderung-und-alle-freuen-sich/

Das HR FESTIVAL europe findet am 26. und 27. März 2024 in der Messe Zürich statt. Tickets: www.hrfestival.ch/anmelden

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Marc Benninger ist Chefredaktor der französischen Ausgabe von HR Today.

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