HR Today Nr. 3/2022: Recruiting & Employer Branding

Hard Facts statt Spekulationen

In der Schweiz ist Lohntransparenz nach wie vor ein schwieriges Thema – in den Chefetagen der Banken und Versicherungen genauso wie in Tiefstlohnbranchen. Dass es auch anders geht und eine Offenlegung der Löhne zu einem besseren Betriebsklima führen kann, zeigt das Beispiel der Familie Wiesner Gastronomie.

«Happy Birthday, Manuel!», schallt es dem ­Co-Lead Strategy and Innovation und Mitinhaber der Familie Wiesner Gastronomie (FWG) am ­Mittag in einem seiner Betriebe entgegen. Die Stimmung ist gut, der Umgang freundschaftlich. «Trotz unserer 34 Unternehmen sind wir ein ­Familienbetrieb geblieben und nahe bei den ­Mitarbeitenden.» Diese positive Unternehmenskultur war für die beiden Inhaber und Brüder Manuel und Daniel Wiesner auch ausschlaggebend dafür, alle Löhne sowie die Lohnbänder offenzulegen – «inklusive der eigenen», betont Manuel Wiesner. Ein Schritt, der bei unseren Eltern Anita und Fredy Wiesner noch nicht umsetzbar gewesen wäre. «Zwar diskutierten wir immer wieder über eine Lohntransparenz, erst durch den Generationenwechsel kam 2020 aber der richtige Zeitpunkt dafür.»

Vorteile bei der Rekrutierung

Doch warum Gehälter offenlegen? «Eine völlige Lohntransparenz unterbindet in einem Unternehmen sämtliche Spekulationen», sagt Manuel Wiesner. Sie garantiere bei gleichen Tätigkeiten und Erfahrungen zudem Lohngleichheit und mache bestehende Lohnunterschiede durch ­Verantwortung und Position nachvollziehbar. So verdienen die beiden Inhaber Manuel und Daniel Wiesner mit 245 000 Franken jährlich «nur» 5,4-mal so viel wie eine Küchenhilfe mit dem tiefsten Lohn. «Das ist eine akzeptable Lohnschere, wenn man andere Branchen betrachtet», sagt Manuel Wiesner. Deshalb hätten er und sein Bruder sich nicht vor der Veröffentlichung ihrer Löhne gescheut. Bei den Mitarbeitenden sei die Transparenz jedoch gut aufgenommen worden: «Viele dachten, wir verdienen viel mehr.»

Lohntransparenz vereinfachen das Recruiting und Lohngespräche: «Künftigen Mitarbeitenden können wir von Anfang an sagen, welchen Lohn sie bei uns erwarten können», sagt FWG-HR-­Leiter Michael Schibli. Das verhindere Diskussionen und führe dazu, dass sich nur Leute für eine Stelle bewerben, die mit den gebotenen Konditionen zufrieden sind. Viele Betriebe sprächen das Thema Lohn dagegen erst in der dritten Bewerbungsrunde an. Für Manuel Wiesner und auch für HR-Leiter Schibli kommt dieser Schritt viel zu spät. «Es gehen zu viele Ressourcen verloren.» Mit der Lohntransparenz erfahren ­Mitarbeitende zudem, welche Lohnaussichten sie haben, wenn sie sich weiterbilden. «Grundsätzlich kann man bei uns durch das Mitarbeiterentwicklungsprogramm fast jede Position erreichen: vom Abwascher bis zum Geschäftsführer.»

Eigener digitaler Lohnrechner

Um die Lohnbänder und Löhne inklusive Informationen zu Trinkgeld, Sozialversicherungen oder Nebenleistungen öffentlich bekannt zu machen, konzipierte die FWG mit dem Informatikunternehmen 2BIT GmbH einen digitalen Lohn­rechner, der auf der Unternehmenswebseite zu finden ist. «Diese sind nichts Neues. Wir wollten aber einen, der auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten ist.» Mit dem Lohnrechner erfährt ein Kurier ohne Erfahrung beispielsweise, dass sich sein Jahreslohn auf 46'150 Franken beläuft und er mit Erfahrung bis zu 52'000 Franken verdienen könnte. Oder ein Head Chef in der Küche mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis, Hotelfachschulabschluss, aber ohne Führungserfahrung, dass sich sein Lohn mit einer fünfjährigen Führungserfahrung von 92'950 bis 98'150 auf bis zu 115'050 Franken erhöhen kann. «Das verdeutlicht, dass wir ­Weiterbildungen und Erfahrung in die Löhne einfliessen lassen und Mitarbeitende in ihrer Karriere unterstützen», betont Wiesner. Keine leeren Worte: Derzeit befinden sich 113 FWG-Mitarbeitenden in einer Weiterbildung.

Die Lohnbänder der FWG basieren auf dem L-GAV des Gastgewerbes, den Löhnen der Mitbewerbenden und der bestehenden Mitarbeitenden, den Marktbedürfnissen sowie der künftigen Mitarbeitenden. «Da wir in den letzten zwei Jahren intensiv rekrutierten, konnten wir die externen Anliegen erheben.» Auch die Wirtschaftlichkeit spiele eine Rolle. «In einer Tiefstlohnbranche wie der unsrigen würden wir gerne höhere Löhne bezahlen, dann müssten die Gäste aber auch bereit sein, mehr zu bezahlen.» Ganz zufrieden mit dem bestehenden Lohnrechner ist Manuel Wiesner noch nicht: «Einige Lohnbänder sind zu breit angelegt. Um das anzupassen, braucht es jedoch etwas Zeit.»

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Bei der FWG können Mitarbeitende auch Löhne anderer Berufe abfragen. Einerseits beim Geschäftsführer des jeweiligen Gastrobetriebs bei Löhnen innerhalb des Teams, andererseits alle Löhne über ein Lohn-­Anfrageformular beim HR. Erreicht HR-Leiter Michael Schibli ein solches, kontaktiert er den betreffenden Mitarbeitenden und teilt ihm den angefragten Lohn mit. Das hat für ihn auch Vorteile: «So erfahre ich vom Mitarbeitenden, wie es ihm geht, warum ihn dieser spezifische Lohn interessiert und kann ihm berufliche Perspektiven aufzeigen.»

Transparenz abseits der Löhne

Nebst den Löhnen kommuniziert die FWG gegenüber Bewerbenden auch transparent über den erzielten Umsatz, das Ergebnis der Mitarbeitenden­umfrage oder das Mitarbeitenden- und Kaderreglement. Angst, dass diese Offenheit von irgendjemandem negativ aufgenommen werden könnte, haben die Brüder Wiesner und HR-Leiter Michael Schibli nicht. Vielmehr sei es positiv zu werten, wenn sich Kandidaten vor einer Anstellung intensiv mit dem Betrieb und seinen Regelungen auseinandersetzen. «Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn jemand aufgrund eines Reglements in der Anstellungsendphase einen Rückzieher macht.» Die Informationstransparenz erhöhe die Zufriedenheit aller Beteiligten. Künftig käme kein Unternehmen daran vorbei.

Unternehmensbiografie

Die Familie Wiesner Gastronomie AG (FWG) ist seit den 90er-Jahren in der Deutschschweiz tätig. Das Unternehmen beschäftigt über 970 Mitarbeitende aus rund 70 Ländern, erzielte 2021 einen Umsatz von 79 Millionen Franken mit ihren 34 Restaurants – verteilt auf verschiedene Schweizer Städte und die Agglomeration Zürich, Bern, Basel, Zug, Luzern und Winterthur. Zum FWG-Portfolio gehören: Nooch Asian Kitchen (11 Standorte), Negishi Sushi Bar (9 Standorte), The Butcher (8 Standorte), Miss Miu (2 Standorte), The Butcher & his Daughter, Outback Lodge und Gypsy Rose (je 1 Standort), Poke Nation und Angry Chicken (zwei virtuelle Brands) sowie Kitchen Republic (mit Ghost Kitchens an 4 Standorten). fwg.ch

 

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Christine Bachmann 1

Christine Bachmann ist Chefredaktorin von Miss Moneypenny. cb@missmoneypenny.ch

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