HR Today Special 2019: BGM – Körper und Geist

Neues Spezialmodul Langzeitpflege

Ausgebildete Pflegerinnen und Pfleger fehlen vor allem in der Langzeitpflege an allen Ecken und Enden und die Situation wird sich in Zukunft weiter verschärfen. Aus diesem Grund müssen die Betriebe dem bestehenden Personal Sorge tragen und attraktiv für neue Mitarbeitende sein. Ein Spezialmodul des bewährten Analysetools Friendly Work Space (FWS) Job-Stress-Analysis sorgt für Unterstützung.

Die Personalsituation in der Pflege ist alarmierend. Vor allem in der Langzeitpflege herrscht akuter Personalnotstand. Umso wichtiger ist es, insbesondere inländisch ausgebildetes Fachpersonal in den Alters- und Pflegeheimen und Spitex-Betrieben zu behalten und diesem eine gute und gesundheitsfördernde Arbeitsumgebung zu bieten. Dass dies aktuell nur partiell der Fall ist, zeigen die Zahlen des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums (Obsan). Der Bericht dokumentiert, dass fast die Hälfte der ausgebildeten Pflegfachpersonen aus ihrem Beruf aussteigen. Von diesen wechselt die Hälfte den Beruf und ein Drittel beendet die Erwerbstätigkeit sogar.

Gemäss einem Artikel in der Zeitschrift Pflegerecht berichten 92 Prozent der Alters- und Pflegeheime über eine schwierige oder sehr schwierige Rekrutierungssituation; einzig die Spitex ist davon bisher weniger betroffen. Und die Nachfrage nach ausgebildetem Pflegepersonal wird weiter steigen. Die Obsan-Prognosen gehen bis 2025 von einem zusätzlichen Bedarf von insgesamt 40 000 Personen in Pflege und Betreuung aus. Davon werden Institutionen der Langzeitpflege voraussichtlich rund 28 000 Personen beanspruchen.

Schlüsselfaktor Arbeitsumgebung

Vor diesem Hintergrund lancierte der Bund 2010 einen Masterplan Bildung Pflegeberufe. Im Rahmen dessen wurden 2016 die zentralen Handlungsfelder «Personalgewinnung» und «Personalerhalt» definiert und das Bundesamt für Gesundheit wurde damit beauftragt, Massnahmen im Bereich Personalerhalt auszuarbeiten. Klar ist: Um zu verhindern, dass Fachleute im Bereich Langzeitpflege aus dem Betrieb oder sogar dem Berufsumfeld aussteigen, und um attraktiv für Nachwuchskräfte zu sein, lohnt es sich für die Betriebe, die Ausgestaltung der Arbeitsumgebung zu analysieren.

Mit FWS Job-Stress-Analysis verfügt Gesundheitsförderung Schweiz seit einigen Jahren über ein wissenschaftlich fundiertes Befragungsinstrument und so lag es auf der Hand, darauf basierend ein Spezialmodul Langzeitpflege zu entwickeln. Dieses stellt Betrieben der Langzeitpflege ein Instrument zur Verfügung, mit Hilfe dessen sie spezifische Ressourcen und Belastungen sowie Faktoren der Gesundheit und Motivation in einer Mitarbeitendenbefragung erheben und die Betriebsergebnisse auf der Basis eines branchenspezifischen Benchmarks analysieren können. Rund zwei Drittel der Themen des Spezialmoduls wurden aus dem bereits bestehenden Instrument FWS Job-Stress-Analysis übernommen (z. B. Zeitdruck, arbeitsorganisatorische Probleme, soziale Stressoren, Wertschätzung, unterstützendes Vorgesetztenverhalten etc.). Gut ein Drittel der Themen wurde neu ergänzt. Dazu zählen: personelle Ressourcen, Dienstplanung, Qualität der Pflege und Betreuung, Rationierung der Pflege, emotionale Bindung zum Beruf und Empfehlung des Arbeitgebers.

Pilotbetrieb Stiftung Alterswohnsitz Urtenen-Schönbühl

Zwischen Herbst 2018 und Frühsommer 2019 wurde das Spezialmodul als Pilotprojekt in neun Betrieben der Langzeitpflege getestet. Einer davon war die Stiftung Alterswohnsitz Urtenen-Schönbühl. Als Geschäftsführer Urs Hänni vom Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien angefragt wurde, ob er mit seinem Team beim Pilotprojekt mitmachen wolle, zögerte er nicht lange. «Das ganze Team war Feuer und Flamme, da wir grundsätzlich immer an Optimierungs- und Vergleichsmöglichkeiten interessiert sind.» Bis anhin, so Hänni, habe man intern zwar standardisierte Personalumfragen durchgeführt, doch bei diesen habe jeweils der Benchmark sowie die externe Begleitung bei den Workshops zur Erarbeitung eines Massnahmenplans gefehlt. «Zudem zielt FWS Job-Stress-Analysis verstärkt auf Belastungsfaktoren ab und gibt dem Personal die Möglichkeit, sich nebst dem Fragebogen auch in Workshops unter Ausschluss der Geschäftsleitung zu äussern.»

Anschliessend an die strukturierte Befragung und die Mitarbeitendenworkshops fand für das Kader und die Geschäftsleitung ein extern begleiteter Workshop statt, in dem schliesslich verschiedene Massnahmen beschlossen wurden, die sowohl für die Belegschaft als auch für den Betrieb weiterführend sind. «Da wir sehr gute Resultate erzielt haben, mussten wir keine grundlegenden Massnahmen planen; allerdings haben sich gewisse Stossrichtungen herauskristallisiert.» Zu diesen zählen: die Kommunikation im gesamten Betrieb sowie das gegenseitige Verständnis im Betrieb.

Unkompliziertes und praktikables Tool

Die aus den Workshops resultierenden kleineren Massnahmenpakete werden zurzeit umgesetzt oder getestet. «Für die täglichen Rapporte werden wir ein sogenanntes Huddle-Board  einführen, das sind disziplin­übergreifende Stehsitzungen  für das gegenseitige Update.» Zudem, so Hänni, seien sie daran, für die Mitarbeitenden mit niedrigprozentigen Anstellungen Tools zur effizienteren und effektiveren Informationsbeschaffung bei Arbeitsbeginn zu implementieren  und die Möglichkeit für gezielte Jobrotationen zu schaffen. «Letztere sollen Verständnis für die anderen Bereiche wecken, aber auch die Kommunikation zwischen den Disziplinen stärken.» Urs Hänni kann bereits jetzt sagen, dass sich das Mitmachen beim Pilotprojekt sehr gelohnt hat und er empfiehlt Branchenkollegen, das Tool künftig auch zu nutzen. «Die interne Organisation ist relativ einfach. Wir haben ein Zeitfenster definiert, in dem die Mitarbeitenden die Fragebogen online ausfüllen konnten, und die Daten für die Durchführung der Workshops geplant.»

Etwas aufwendiger war es, genügend Mitarbeitende zum Ausfüllen zu animieren, um ein möglichst aussagekräftiges Bild zu erhalten. «Da wir Leute haben, die keinen Mailzugang haben oder eine Sprache sprechen, in der der Fragebogen nicht verfügbar war, erreichten wir nicht lückenlos die geforderten Gruppengrössen von zehn Teilnehmenden; das führte dazu, dass es für ein kleines Team  zur Gewährleistung der Anonymität keine Gruppen-Auswertung gab.» Dank der kompetenten externen Begleitung seien sie besonders in den Workshops dennoch zu aussagekräftigen Resultaten gekommen und der Vergleich mit dem Benchmark sei sehr aufschlussreich gewesen. «Dank der bereits sehr hohen Standards in unserer Personalpolitik haben wir erwartungsgemäss überdurchschnittlich abgeschlossen, was für die Mitarbeitenden und die Leitung äusserst motivierend wirkt.»

Auch die Befragungen der anderen Pilotbetriebe durch das vom Bundesamt für Gesundheit und von Gesundheitsförderung Schweiz beauftragte Büro BASS mit ausgewählten Betriebsverantwortlichen und Mitarbeitenden zeigen, dass das Instrument grundsätzlich als nützlich und auf die richtigen Themen fokussiert wahrgenommen wird.

Bald schon für alle Betriebe verfügbar

Bis Herbst 2019 fliessen nun alle Rückmeldungen sowie die statistischen Analysen der Daten der Pilotbetriebe in die Überarbeitung und Weiterentwicklung des Spezialmoduls Langzeitpflege ein. Im Winter 2019/2020 sollen die technischen Anpassungen vorgenommen und der neu berechnete branchenspezifische Benchmark integriert werden. Vorgesehen ist auch eine Ergänzung der pflegespezifischen Skalen und Arbeitsinstrumente in den Sprachen Französisch und Italienisch. Ziel ist es, dass das Spezialmodul ab Frühling 2020 in der ganzen Schweiz für alle interessierten Betriebe der Langzeitpflege zugänglich sein wird.

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Sandra Escher Clauss ist freie Journalistin.

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