«Nicht starre Quotenlogiken sind der Hebel – sondern gute Prozesse und rollenfähige Modelle»

Susanne Nef, Leiterin der Fachstelle für Gleichstellung des Kantons Zürich, spricht an der Veranstaltung #WORKITUP des Verbands swissICT Ende Januar 2026 über die Studie «Gleichstellung in KMU – Potenziale für Unternehmen»

Frau Nef, die Studie «Gleichstellung in KMU – Potenziale für Unternehmen», die die Fachstelle Gleichstellung des Kantons Zürich zusammen mit der Müller-Möhl-Foundation in Auftrag gegeben hat, zeigt Zusammenhänge zwischen Teamstruktur und wirtschaftlicher Entwicklung. Welche zentralen Erkenntnisse haben Sie besonders überrascht, gerade mit Blick auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU) im ICT-Umfeld?
Susanne Nef: Was mich besonders überrascht hat, bezieht sich auf die Ausprägung: Bereits eine moderate Ausgewogenheit in der Führung, zum Beispiel mindestens ein Drittel Frauen in der Geschäftsleitung, korreliert im ICT-nahen Umfeld mit messbar besserer wirtschaftlicher Entwicklung – und das nicht nur in der Momentaufnahme, sondern auch in der Entwicklung über mehrere Jahre. Gleichzeitig ist diese Ausgewogenheit in kleinen Teams noch selten, obwohl der Fachkräftemangel gerade im ICT-Umfeld hoch ist. 
Wichtig ist mir, darauf hinzuweisen, dass alle in der Studie aufgezeigten Effekte korrelativ sind: Sie zeigt statistisch validierte Zusammenhänge, aber keine kausalen Wirkbeweise. 

Viele KMU sehen Gleichstellung primär als gesellschaftspolitisches Thema. Welche konkreten betriebswirtschaftlichen Effekte, etwa in Bezug auf Produktivität, Innovationskraft oder Fachkräftebindung, lassen sich gemäss Ihrer Studie klar belegen?
Unsere Daten zeigen Gleichstellung nicht nur als Wertefrage: Ausgewogenere Führung korreliert mit höherer Profitabilität, besserer finanzieller Stabilität und höherer Produktivität. Bei den HR-Wirkungen sehen wir vor allem Hinweise bei Rekrutierung und der Arbeitgebenden-Attraktivität.

Zitat von Susanne Nef

 

Sie werden am Event #WORKITUP des Verbands swissICT einen Fachinput geben. Ein Schwerpunkt der Veranstaltung ist Jobsharing. Welche Rolle spielt dieses aus Ihrer Sicht als Instrument der Chancengleichheit, insbesondere in der stark vom Fachkräftemangel geprägten ICT-Branche?
Jobsharing spielt eine zentrale Rolle. Das Zürcher Wirtschaftsmonitoring von Ende 2023 zeigt beispielsweise, dass Frauen – gerade im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) – mit Eintritt Mutterschaft die Branche signifikant häufiger im Vergleich zu anderen Branchen verlassen. Das macht deutlich: Es reicht nicht, Berufe für bestimmte Gruppen zu öffnen oder junge Frauen für die ICT-Branche zu begeistern. Ebenso wichtig sind passende Anstellungsbedingungen.
Jobsharing ermöglicht mehr Flexibilität. Etwa zur Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung, zur Pflege von Angehörigen oder für Weiterbildungen. Gerade jüngere Generationen schätzen solche Modelle sehr. Für Arbeitgebende ist Jobsharing deshalb ein wirkungsvolles Instrument, um zeitgemässe Arbeitsbedingungen zu schaffen und Fachkräfte langfristig zu binden. Jobsharing eignet sich auch nicht nur für Einstiegs- oder Supportfunktionen, sondern auch für Rollen wie Projekt- und Teamleitungen. Wissen wird dadurch breiter abgestützt und Abhängigkeiten von einzelnen Schlüsselpersonen werden reduziert.

Die Rückmeldungen der teilnehmenden swissICT-Mitglieder liefern praxisnahe Einblicke. Wo sehen Arbeitgebende aktuell die grössten Hürden bei der Umsetzung von Gleichstellungs- und Jobsharing-Modellen, und welche davon sind eher kulturell als strukturell bedingt?
In den Rückmeldungen sehen wir die zwei von Ihnen benannten Hürden-Cluster: strukturell und kulturell. Strukturell geht es um Rollen‑ und Prozessdesign wie Verantwortung, Übergaben, KundInnen-/Projektlogik sowie kulturell um Präsenznormen und das Bild, dass Führung zwingend Vollzeit sein müsse. Gerade in kleineren KMU wirkt der Koordinationsaufwand zunächst «teurer», obwohl Jobsharing in der Praxis häufig Stabilität bringt, wenn es sauber designt ist.
Hinzu kommen die erweiterten kulturellen Aspekte: Viele Arbeitgebende weisen in weiterführenden Gesprächen darauf hin, dass zentrale Weichen bereits früh gestellt werden. Das zeigt sich auch in der Statistik. Etwa bei der Berufs- und Studienwahl. Tatsächlich wählen rund 75 Prozent der jungen Frauen im Kanton Zürich aus gerade mal 9 Lehrberufen, gleiches gilt umgekehrt für junge Männer: 75 Prozent der jungen Männer wählen aus 23 verschiedenen Lehrberufen. Zum Vergleich: Im Kanton Zürich gibt es über 200 Lehrberufe. Diese Ausgangslage können Unternehmen nur begrenzt beeinflussen, weshalb Massnahmen im Bildungsbereich hier zentral sind. Entsprechend setzen wir als Fachstelle Gleichstellung gemeinsam mit weiteren Stellen auch an diesem Hebel an. 

Zitat von Susanne Nef

 

Sie sprechen in Ihrem Referat auch über Teamzusammensetzung. Welche Bedeutung haben diverse Teams – etwa hinsichtlich Geschlecht, Pensum oder Karrierephasen – für die Wettbewerbsfähigkeit von KMU, und wie können HR-Verantwortliche hier gezielt steuern, ohne in starre Quotenlogiken zu verfallen?
Diverse Teams sind wettbewerbsrelevant, weil sie den Talentpool vergrössern und in unserer Studie mit besseren Finanz- und Produktivitätskennzahlen zusammenhängen – besonders wichtig im Fachkräftemangel. HR kann das ohne starre Quoten steuern, indem Zielkorridore, saubere Prozesse und ein jobsharing-fähiges Rollendesign etabliert wird. Kurzum: Nicht starre Quotenlogiken sind der Hebel – sondern gute Prozesse und rollenfähige Modelle, die Gleichstellung und Diversität ermöglichen. 
Im Rahmen des Workitup werden wir noch mehr konkret aus den Erkenntnissen der Studie präsentieren und gemeinsam mit den Teilnehmenden diskutieren können. 

Aus HR-Sicht stellt sich immer die Frage der Umsetzbarkeit: Welche konkreten Unterstützungsangebote hat oder plant die Fachstelle Gleichstellung des Kantons Zürich, um KMU künftig noch gezielter bei Gleichstellung, flexiblen Arbeitsmodellen und Jobsharing zu begleiten?
Wir beraten Arbeitgebende und Arbeitnehmende im Kanton Zürich zu gleichstellungsrelevanten Fragestellungen – etwa bei sexueller Belästigung, Mutterschutz, Fragen zum Vaterschaftsurlaub oder generell zur Umsetzung des Gleichstellungsgesetzes, das 2026 übrigens sein 30-jähriges Bestehen feiert. In den Beratungen zeigte sich jedoch zunehmend: Wichtig ist, gerade für KMU früher im Prozess also bei Umsetzungsfragen, bevor es zu Konflikten oder weiteren Eskalationen kommt anzusetzen. Gerade in der ICT-Branche, die oft mit schlanken HR-Strukturen konfrontiert ist. Umso wichtiger sind niederschwellige, rechtssichere und schnell einsetzbare Ansätze.
Deshalb haben wir ein Projekt lanciert, das bestehende Angebote und Tools zur Förderung der Gleichstellung und damit unter anderem zu flexiblen Arbeitsmodellen und Jobsharing systematisch bündelt – differenziert nach Branchen, Themenfeldern und Betriebsgrössen. Daraus entsteht derzeit eine niederschwellig zugängliche Online-Plattform, die gemeinsam mit Arbeitgebenden entwickelt wird.

Die Veranstaltung «#WORKITUP: Arbeit heute – Chancengleichheit & Jobsharing» des Verbands swissICT findet am Dienstag, 20. Januar 2026, ab 15.30 Uhr, in Zürich statt. Weitere Infos und Anmeldung: www.swissict.ch/workitup-20-januar-2026 

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Daniel Thüler

Daniel Thüler, Chefredaktor HR Today, daniel.thueler@hrtoday.ch

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