HR Today Nr. 4/2022: Arbeit & Recht

Und es passt doch nicht: Kündigung vor Stellenantritt

Die Unterschrift auf dem Arbeitsvertrag ist gesetzt. Zum Stellenantritt kommt es aber nicht. Doch kann der Vertrag vorher aufgelöst werden?

Der Grundsatz «Pacta sunt servanda» besagt, dass sich die Vertragsparteien an ihre Vereinbarungen zu halten haben und sich nicht einfach still aus dem Vertrag schleichen können. Nun kommt es in der Praxis aber gelegentlich vor, dass man einen Vertrag nach Vertragsunterschrift, aber vor Stellenantritt auflösen möchte. Die Gründe dafür sind unterschiedlich: etwa betrieblich bedingte, weil die Stelle kurzfristig wieder gestrichen wurde oder sie mit einem anderen Profil besetzt werden musste.

Einseitige Auflösung

Ein Vertrag kann von einer Partei mittels Kündigung einseitig aufgelöst werden. Diese wird durch die Kenntnisnahme der gekündigten Partei wirksam. Das Gesetz macht keine Vorgaben, in welcher Form eine Kündigung zu erfolgen hat. Sehr oft findet sich in Verträgen oder Personalreglementen aber der Hinweis, dass eine Kündigung schriftlich erfolgen muss. «Schriftlich» bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Kündigung auch von Hand zu unterzeichnen ist.

Es reicht also nicht, ein Papier vorzulegen, auf dem die Kündigung formuliert ist. Ohne rechtsgültige Unterschrift der kündigenden Partei ist die Schriftlichkeit somit nicht erfüllt. Ob es sich bei dieser vertraglichen Vorschrift nach Schriftlichkeit um ein Formerfordernis oder gar um ein Gültigkeitserfordernis handelt, muss im konkreten Fall beurteilt werden. In der Regel ist von letzterem auszugehen.

Der Kündigungswille muss klar zum Ausdruck kommen. Aus juristischer Sicht unterstreicht es den Kündigungswillen, wenn eine schriftliche Kündigung diesen Titel auch trägt. Letztlich ist aber nicht entscheidend, was in der Betreffzeile steht, sondern wie der Text zu verstehen ist.

Vor Stellenantritt

In der Regel besteht in einem Arbeitsverhältnis zunächst eine Probezeit. Danach wird oft von «Festanstellung» gesprochen. Sofern nichts anderes vereinbart wurde, gilt der erste Monat als Probezeit (Art. 335b Abs. 1 OR). Diese beginnt aber erst mit dem Stellenantritt. Trennt sich ein Arbeitgebender nach der Vertragsunterzeichnung, aber noch vor dem Stellenantritt des Mitarbeitenden (der noch keiner ist), stellt sich die Frage, ob eine Kündigung überhaupt möglich und wenn ja, welche Kündigungsfrist anzuwenden ist. In der Lehre werden dazu verschiedene Meinungen vertreten. Vorherrschend ist jedoch jene, wonach eine Kündigung vor einem Stellenantritt zulässig ist. Grundsätzlich sind dabei die Kündigungsfristen und -termine der Probezeit anzuwenden. Nicht eindeutig geklärt ist aber, wann die Kündigungsfrist beginnt. Sinnvoll und mit Blick auf die Rechtsprechung kann jener Ansatz bezeichnet werden, wonach die Kündigungsfrist der Probezeit anzuwenden ist, diese aber erst ab Stellenantritt läuft. Das hat zur Folge, dass das Arbeitsverhältnis und die gegenseitigen Pflichten wie Arbeit und Lohn nur für eine kurze Dauer gelten. Ob dieser Ansatz auch richtig ist, kann infrage gestellt werden. Grundsätzlich ist die Kündigung ein Gestaltungsrecht. Sie entfaltet ihre Wirksamkeit mit der Kenntnisnahme des Gekündigten.

Das gilt auch beim Arbeitsvertrag: Mit Empfang der mündlichen oder schriftlichen Kündigung ist das Arbeitsverhältnis gekündigt und die Kündigungsfrist beginnt zu laufen. Nicht nachvoll­ziehbar ist deshalb, weshalb bei einer Kündigung vor einem Stellenantritt von diesem Grundsatz abgewichen werden soll und die Kündigungsfrist erst ab vertraglich vereinbartem Stellenantritt zu laufen beginnt. Zumal es eher einer Schikane gleicht, wenn sich der gekündigte Mitarbeitende während sieben Tagen bei der Arbeit einzufinden hätte. In der Rechtsprechung gibt es deshalb Versuche, aus diesem Dilemma herauszukommen. Beispielsweise, indem argumentiert wird, der Mitarbeitende müsse seine Arbeit zwar anbieten, jedoch nicht zur Arbeit erscheinen.

Sachgerechter scheint jene Lehrmeinung zu sein, wonach die Kündigung vor Stellenantritt ausgesprochen werden kann, die Frist und der Probezeittermin einzuhalten sind, die Frist aber ab Empfang der Kündigung läuft – und nicht erst ab vertraglich vereinbartem Datum des Stellenantritts. Das gilt für Kündigungen vor Stellenantritt durch Arbeitgebende als auch durch Mitarbeitende. Abzuraten ist von einer fristlosen Kündigung vor einem Stellenantritt, um kein unnötiges Risiko einer ungerechtfertigten fristlosen Kündigung einzugehen. Auch eine zweiseitige Vertragsauflösung ist vor Stellenantritt jederzeit möglich. Um Klarheit für beide Seiten zu schaffen, ist das sicher empfehlenswert.

Bei einer Kündigung eines Mitarbeitenden vor Stellenantritt handelt es sich nicht um das ungerechtfertigte Nichtantreten einer Stelle. Das könnte vorliegen, wenn sich der Mitarbeitende nicht einfindet oder sich nicht mehr meldet und die Stelle nie antritt. In diesem Fall wäre eine Entschädigung eines Lohnviertels gemäss Art. 337d Abs. 1 OR zu prüfen. Nutzt ein Mitarbeitender sein Kündigungsrecht aber richtig, ist er nicht schadenersatzpflichtig, auch nicht im Rahmen der Pauschalzahlung ohne Schädigungsnachweis. 

Aus juristischer Sicht kann ein Arbeitsvertrag somit zwar vor dem effektiven Stellenantritt gekündigt werden. Trotzdem werden Arbeitgebende und Mitarbeitende in der Regel prüfen, ob sie eine Zusammenarbeit eingehen wollen, und die Probezeit nutzen, um herauszufinden, ob die Zusammenarbeit harmoniert.

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Brigitte Kraus ist ­Inhaberin der Agentur konzis. Sie ist Juristin und Unternehmenskommunikatorin und begleitet Unternehmen in Ver­änderungssituationen, ­insbesondere bei Betriebsübernahme, Neuausrichtung, Personal­massnahmen sowie bei der Gesprächsführung und Verhandlung mit Gewerkschaften und Arbeitnehmer­vertretungen.

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