HR Today Nr. 9/2017: Start-ups

Von Chancen und Risiken

Start-ups sind mit vielfältigen HR-Herausforderungen konfrontiert – gerade wenn sie schnell wachsen. Doch HR-Aufgaben werden nicht selten vernachlässigt und der Umgang mit Mitarbeitenden hat oft einen eher intuitiven Charakter. Das kann Reiz und Fluch sein. Eine Analyse.

Sie sind jung. Sie sind innovativ. Sie wollen wachsen. Mit diesen drei Kriterien charakterisiert der «European Start-up Monitor 2016» (ESM) Start-ups¹. Ihr Wachstum schlägt sich in vielen Fällen auch im Personalbedarf nieder. Laut dem ESM hat das durchschnittliche Schweizer Start-up 13,5 Angestellte (ohne Gründer). Durchschnittlich planen die untersuchten Start-ups, in den nächsten zwölf Monaten weitere 5,8 Leute einzustellen.

Knacknuss Rekrutierung

Einer der HR-Knackpunkte im Start-up scheint deshalb die Rekrutierung zu sein. «Zentrale Herausforderung ist es, schnell viele und oftmals sehr spezifisch qualifizierte Mitarbeiter zu finden und erfolgreich ins Unternehmen zu integrieren», so Beat Schillig, Gründer des Instituts für Jungunternehmen (IFJ), das Jungunternehmer unterstützt, begleitet und berät. In der Wachstumsphase sei vieles parallel am Entstehen. Die Job-Profile seien zwar klar, gleichzeitig seien viele Geschäftsprozesse aber noch nicht gefestigt. «Es brennt an allen Ecken und Enden und man lebt organisatorisch mit diversen Provisorien. Zentral sind hier die Rekrutierung und Einführung von vielen neuen Mitarbeitern bei gleichzeitig schon extrem strapazierten Management-Ressourcen.»

Auch Stefan Philippi, Leiter der Geschäftsstellen «Swiss Startup  Challenge» und «Swiss Innovation Challenge» der Fachhochschule Nordwestschweiz, sieht eine der Hauptherausforderungen von Start-ups darin, das benötigte Personal zu beschaffen, zu integrieren, zu führen und zu betreuen. «Werden die falschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt, läuft das Start-up Gefahr, seinen Spirit zu verlieren.»

Hans Oury, Head Coach im Start-up-Coaching-Programm der Kommission für Technologie und Innovation KTI, ergänzt: «Um sich auf dem Markt zu beweisen, müssen Start-ups wesentlich besser sein als etablierte Anbieter. Dies bedeutet zwingend, dass sie Top-Talente rekrutieren müssen – sowohl auf fachlicher als auch auf persönlicher Seite.» Solche «Top-Shots» finde man oft nur auf internationaler Ebene. Die nächs­te Herausforderung bestehe somit darin, entsprechende Arbeitsbewilligungen zu erhalten, wenn es sich um Mitarbeiter aus Drittstaaten handle.

Eine besondere Herausforderung in der Rekrutierung für Start-ups: Oft sind keine klassischen HR-Verantwortlichen vorhanden. «HR-Aufgaben werden nicht selten vernachlässigt und der Umgang mit den Mitarbeitenden hat einen intuitiven Charakter», führt Stefan Philippi aus. Dies sei gerade bei der Personalbeschaffung spürbar, denn oft sei den Gründern nicht klar, wie sie konkret vorgehen sollten. Hinzu komme, dass klassische Rekrutierungsmassnahmen vielfach nicht griffen: «Wer meldet sich schon auf eine Stellenbeschreibung, in der jemand mit überdurchschnittlichem Engagement zu unterdurchschnittlichem Lohn gesucht wird?»

Kein Budget für die Retention

Mehr Mitarbeiter bedeuten dann auch mehr Komplexität in Organisation und Führung, was zu weiteren Herausforderungen führt. Beat Schillig: «Eine Start-up-Guerilla-Truppe aus fünf Leuten funktioniert allein auf Zuruf. Ein geografisch oftmals verteiltes Start-up mit 25 Leuten braucht bereits Führungsinstrumente und einen gehörigen Organisationsgrad. Und sind es dann 100 Leute, dann braucht es auch im HR-Bereich professionelle Tools und Instrumente, um die Firma erfolgreich zu entwickeln.»

Auch Hans Oury ist überzeugt: «Starkes Wachstum braucht eine klare Führung. Jede und jeder muss genau wissen, wer für was zuständig ist.» Dafür müsse kein grosser «Overhead» im Bereich Organisation und Administration betrieben werden. «Aber es braucht gut gelebte Prozesse und Abläufe.»

Ein besonderes Augenmerk müssten Start-ups auf die Bindung von Mitarbeitenden legen. «Der Verlust von Mitarbeitenden geht oftmals mit einem hohen Verlust von Know-how einher. Dies kann für Start-ups den Untergang bedeuten», erklärt Stefan Philippi.

Eine Schwierigkeit dabei erläutert Hans Oury: «Dadurch, dass die meisten Start-ups oft während drei oder mehr Jahren negative Cashflows haben, können spezifische finanzielle Massnahmen im Bereich der Retention oft nicht umgesetzt werden.» Auch für die Personalentwicklung – oft als Instrument der Retention eingesetzt – gelte diese Schwierigkeit, bekräftigt Philippi: «Weil gerade in den ersten Jahren die meisten Start-ups mit Liquiditätsengpässen kämpfen, haben aktive Personalentwicklungsmassnahmen, wie etwa Weiterbildungen, hier keinen Platz.» Doch auch die interne Entwicklung und die Karriere seien nicht einfach: Bis entsprechende Möglichkeiten geschaffen werden könnten, vergehe oft viel Zeit.

Auf der anderen Seite eröffne die Arbeit in einem Start-up den Mitarbeitenden die Möglichkeit, schnell eine Position zu erhalten, die in einem etablierten Unternehmen oft eines längeren Karrierewegs bedürfe. Ein Beispiel: «Ist in einem Start-up ein Teammitglied für das Marketing zuständig, ist diese Person folglich Chief Marketing Officer – obwohl es vielleicht ihre erste Stelle nach dem Studium ist.»

Das knappe Budget von Start-ups tangiert naturgemäss auch die Vergütung. «Als Lösung werden Mitarbeiter sehr oft mit einem aus Cash und Aktien bestehenden Compensation-Paket vergütet, wobei der Wertanteil aus Aktien ein grosser Anteil darstellen kann», erklärt Hans Oury. Stefan Philippi ergänzt: «Schon die einfache Frage, wie die Honorierung aussehen soll, kann Gründer, die über kein spezifisches Wissen im Bereich Personalmanagement verfügen, vor Herausforderungen stellen.»

Kultur als Basis

Rund 77 Prozent der Start-ups in der Schweiz werden von Teams gegründet². Während die Gründung im Team helfen kann, den verschiedenen Anforderungen gerecht zu werden, stellt sie zugleich auch ein Risiko dar: «Konflikte im Team sind häufig die Ursache, die zu einem Fehlschlag des Unternehmens führen, da Gründerteams Dysfunktionen wie Gruppendenken oder Mobbing aufweisen können», erklärt Stefan Philippi.

Die Unternehmenskultur spielt für den Erfolg eines Start-ups deshalb eine zentrale Rolle – darin sind sich die drei Experten einig. «Sie wird geprägt durch die Gründer und deren Werte», sagt Beat Schillig. Auch Hans Oury ist überzeugt davon, dass «eine gute Unternehmenskultur bei Start-ups das A und O und die Basis für den Erfolg» ist: «Je kleiner das Team, umso wichtiger ist das gemeinsame Verständnis von Wertevorstellungen. Wenn diese Basis nicht gegeben ist, fällt das Team früher oder später auseinander.»

Laut Philippi «dürften sich in der Zeit unmittelbar nach der Gründung und in der ersten stürmischen Phase die wenigsten Gedanken zur Unternehmenskultur machen». Doch sobald das Unternehmen in etwas ruhigeres Fahrwasser gerate und zu wachsen beginne, sei die Auseinandersetzung mit der Kultur essenziell. «Wichtig ist, dass früh auf klare Regeln geachtet wird. Wer hat wie viel Mitspracherecht? Wie gehen wir mit kritischen Punkten wie beispielsweise Mobbing um? – Das sind Fragen, die allzu oft auf die lange Bank geschoben werden.»

Das sagen die Start-ups

Welchen Herausforderungen stehen die Praktiker gegenüber, die in Start-ups für HR-Themen verantwortlich sind? Wir haben mit fünf Unternehmen gesprochen. Zu den Start-up-Stimmen

Die «Start-up-Karte» spielen

Doch wie gehen Start-ups mit diesen diversen Schwierigkeiten am besten um? Damit sich die Gründer auf ihr Kerngeschäft – das Gewinnen von Kunden und Aufträgen oder Überzeugen von Investoren – fokussieren können, rät Beat Schillig ihnen, sich von Anfang an professionell begleiten zu lassen – damit die Themen Arbeitsverträge, Sozialversicherung, Lohnabrechnung und sonstige Personaladministration kompetent abgedeckt seien. «Am besten wählt man webbasierte Tools und betreibt so weit wie möglich Outsourcing.»

Stefan Philippi rät jungen Unternehmerinnen und Unternehmern, die «Start-up-Karte» aktiv zu spielen und die damit verbundenen Vor- und Nachteile klar zu kommunizieren. «Dass ein Start-up nicht die gleiche Professionalität im Umgang mit Mitarbeitenden wie ein etabliertes Unternehmen hat, ist nachvollziehbar. Doch gerade dieses ‹Hemdsärmelige› macht auch den Reiz aus.» Auch Hans Oury plädiert für Transparenz gegenüber den Mitarbeitenden: «Natürlich gilt es immer abzuwägen, wie kritische Unternehmenssituationen entsprechend Mitarbeiter-verträglich dargestellt werden können. Vertrauen und Commitment gewinnt man aber nur mit Ehrlichkeit.»

Quellen:

  • ¹ German Startups Association (2016): European Startup Monitor 2016, S. 15. 
  • ² German Startups Association (2016): European Startup Monitor 2016, S. 47.
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