Warum Führung neu gedacht werden muss
Nach Quiet Quitting und Task Masking kommt jetzt Conscious Unbossing: Immer weniger junge Talente wollen führen. Das hat aber nichts mit mangelndem Ehrgeiz zu tun.

Wenn sich Mitarbeitende von Führungsrollen oder -kulturen abwenden, ist das kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Signal an das Unternehmen. (Bild: ChatGPT)
Von Zeit zu Zeit tauchen neue Begriffe auf, die das Phänomen schwindender Mitarbeitendenbindung erklären. Nach Quiet Quitting und Task Masking macht nun ein neuer Trend Schlagzeilen: Conscious Unbossing. Gemeint ist damit eine bewusste Entscheidung – vor allem jüngerer Beschäftigter –, Führungsverantwortung abzulehnen oder sich von klassischen Führungssystemen zu distanzieren. Dabei geht es nicht um Faulheit oder mangelnden Ehrgeiz, sondern um eine neue Haltung zu Arbeit, Verantwortung und Lebensqualität.
Teilweise erwecken diese Trends den Eindruck, dass junge Mitarbeitende das Interesse daran verlieren, einen echten Beitrag zum Unternehmen zu leisten. Doch ist das wirklich so? Und wie können Unternehmen die Führungskräfte von morgen davon überzeugen, sich weiterzuentwickeln und eine Führungsrolle zu übernehmen?
Führung? Ja. Aber anders.
Die Generation Z ist inmitten sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Krisen aufgewachsen. Das hat auch Auswirkungen auf die Arbeitswelt: Junge Arbeitnehmer:innen streben zunehmend nach mehr Sinn, psychologischer Sicherheit und echter Wertschätzung. Laut einer Studie aus dem vergangenen Jahr wollen 52 Prozent der Fachkräfte der Gen Z keine klassischen Management-Rollen annehmen.
«Die Aussicht, in starren hierarchischen Strukturen Verantwortung zu übernehmen, ohne wirklich etwas bewegen zu können, schreckt viele ab.»
– Leena Rinne
Die Aussicht, in starren hierarchischen Strukturen Verantwortung zu übernehmen, ohne wirklich etwas bewegen zu können, schreckt viele ab. Dazu kommen oft überholte Erwartungen – zum Beispiel, dass Führung automatisch mit Überstunden einhergeht. Die Generation Z verlangt nach einem neuen Modell, das mit ihren persönlichen Werten vereinbar ist und Sinnhaftigkeit, Flexibilität und die Entwicklung von Fähigkeiten in den Vordergrund stellt. Junge Menschen streben nach Einfluss ohne Hierarchie, sie wollen sich weiterentwickeln und etwas bewirken, ohne ihre Work-Life-Balance zu opfern.
Der Begriff Conscious Unbossing wurde unter anderem durch den Pharmakonzern Novartis populär. Dort wurde bewusst versucht, Hierarchien abzubauen, Führung neu zu definieren und Mitarbeitenden mehr Verantwortung zu übertragen. Der Unterschied zum klassischen Modell: Führung wird nicht delegiert, sondern transformiert – durch bewusste Selbstreflexion, weniger Konkurrenzdenken und das Vertrauen in kollektive Intelligenz.
Disengagement ist ein Führungsproblem
Wenn sich Mitarbeitende von Führungsrollen oder -kulturen abwenden, ist das kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Signal an das Unternehmen. Denn am Ende ist Disengagement ein Führungsproblem. Führungskräfte sollten deshalb ein Arbeitsumfeld schaffen, in dem Mitarbeitende ihre Fähigkeiten nicht nur ausbauen, sondern auch einbringen wollen. Nicht, weil sie müssen, sondern weil sie den Sinn dahinter sehen.
Um ein solches Umfeld zu schaffen, sind drei Dinge von entscheidender Bedeutung:
- Wertschätzung vor Zielerreichung: Mitarbeitende wollen nicht in erster Linie Kennzahlen erfüllen oder starre Ziele erreichen, sondern einen sinnvollen Beitrag leisten. Sie wollen sich wertgeschätzt fühlen und ihren Erfolg durch sinnstiftende Aufgaben definieren. Wer das anerkennt, schafft Motivation.
- Psychologische Sicherheit: Nur wenn Mitarbeitende einander vertrauen, offen miteinander umgehen und auch Fehler zulassen, können sie innovativ und engagiert arbeiten. Eine durch Empathie und Rücksichtnahme geprägte Teamkultur ist damit ein zentraler Hebel für das Wohlbefinden.
- Individuelle Entwicklung: Gute Führungskräfte erkennen Potenziale – auch solche, die Mitarbeitende selbst noch nicht sehen. Mit Coachings und Weiterbildungsangeboten können sie ihre Teammitglieder gezielt unterstützen und dem Conscious-Unbossing-Trend entgegenwirken.
Die Rolle von HR
HR-Abteilungen sind gefordert, diesen Wandel aktiv mitzugestalten und empathische Führungspersönlichkeiten zu fördern. Sie sollten Strukturen hinterfragen, Führungskräfte auf dem Weg zu mehr Selbstreflexion begleiten und auch Karrierepfade neu denken. Denn nicht alle wollen oder müssen führen, um erfolgreich zu sein.
«HR-Abteilungen sollten Strukturen hinterfragen, Führungskräfte auf dem Weg zu mehr Selbstreflexion begleiten und auch Karrierepfade neu denken»
– Leena Rinne
Entscheidend ist es, breit gefächerte Kompetenzen zu fördern und durch Fort- und Weiterbildungen kontinuierlich weiterzuentwickeln. So können junge Mitarbeitende das Unternehmen aktiv mitgestalten – auch ohne an der Spitze eines Organigramms zu stehen.
Und auch für diejenigen, die klassische Führungsrollen anstreben, braucht es passende Angebote: Trainings, Workshops und neue Lernformate bereiten gezielt auf moderne Führungsanforderungen vor. Ein Beispiel: Mithilfe von KI-Coaches lassen sich Gesprächssituationen wie Feedbackgespräche realitätsnah simulieren – ein sicherer Raum zum Üben, Reflektieren und Wachsen.
Unterm Strich: Bewusst führen oder bewusst verlieren
Conscious Unbossing ist kein Angriff auf Führung – sondern eine Einladung, sie neu zu denken. Wer weiterhin auf Macht, Kontrolle und Statussymbole setzt, wird langfristig Mitarbeitende verlieren. Wer sich dagegen auf Sinn, Vertrauen und Entwicklung fokussiert, gewinnt: Menschen, die führen wollen – und nicht müssen.