«Return to the Office» – was steckt wirklich dahinter?
Nach einer Zeit der Experimente machen viele Firmen rund um den Globus – in der Schweiz auch die UBS – eine Kehrtwende in Sachen Homeoffice. Nominell dreht sich alles um Produktivität und Kultur. Doch es geht um mehr als das: Macht und Kontrolle.

Die UBS überwacht neu die Anwesenheit von Mitarbeitenden via Badges und einem digitalen Dashboard. (Bild: ChatGPT)
Die UBS zieht bei Homeoffice-Regelungen wieder die Schrauben an – und überwacht die Büropräsenz ihrer Mitarbeitenden neu digital, die Badge-Daten werden ausgewertet und zusammengefasst für Vorgesetzte auf einem sogenannten Dashboard. Das sorgt für ein Rumoren in der UBS, die Geschichte geht durch die Schweizer Tagesmedien.
Die UBS übt sich derweil in Zurückhaltung. Der zeitliche und wirtschaftliche Kontext, in dem die Return-to-Office-Strategie (RTO) eingesetzt wird, spielt in der offiziellen Kommunikation zur Geschichte eine untergeordnete Rolle. Auf den Fragenkatalog von «HR Today» antwortet die UBS nur mit einem Statement, das zuvor bereits bei den Tamedia-Zeitungen zu lesen war. Demnach sei es der Ansatz der UBS, Büropräsenz mit Flexibilität zu kombinieren:
«Genügend Zeit im Büro mit Kolleginnen und Kollegen zu verbringen, fördert Innovation, Zusammenarbeit und Teamproduktivität». Ein Sprecher der UBS bietet anstelle der Beantwortung des Fragenkatalogs ein Off-the-Record-Gespräch an, das aber nicht mehr offenbart, als bereits offiziell kommuniziert wurde. Soweit so klassisch.
«Die Truppen hören die Worte, trauen ihnen allerdings nicht so ganz. HR-‹General› Seiler kriegt das zu spüren.»
– Lukas Hässig, «Inside Paradeplatz»
Anders klingt es jedoch in Kennerkreisen. Der Finanzblog «Inside Paradeplatz», stets nah am Bankengeschehen dran, aber auch stets kontrovers, schiesst direkt und scharf gegen UBS-HR-Chef Stefan Seiler: «Die Kritiker sehen in Seiler den Schuldigen eines neuen Misstrauens», schreibt Journalist Lukas Hässig – Misstrauen «zwischen jenen ganz oben und den ‹Chrampfern› unten im grossen Maschinenraum». Die Beschwichtigungen seitens der UBS? «Die Truppen hören die Worte, trauen ihnen allerdings nicht so ganz. HR-‹General› Seiler kriegt das zu spüren», meint Hässig.
Mit der neuen Regelung wolle sich Seiler bei UBS-CEO Sergio Ermotti in ein «günstiges Licht bringen», vermutet «Inside Paradeplatz». Dies mitten in der Phase der Credit-Suisse-Integration, die mit angekündigten Entlassungen für Unsicherheit bei Angestellten sorge: «Die Bankführung könnte sogar jene mit weniger Anwesenheit als Erste entlassen, sobald die CS-Integration endgültig abgeschlossen sei».
Produktivität, Kreativität und Kultur?
Das offizielle Statement der UBS zur Angelegenheit erinnert an Stellungnahmen anderer Firmen, die in der letzten Zeit ebenfalls RTO-Regeln verabschiedet haben. Auch die amerikanische Bank JP Morgan Chase kommuniziert, RTO würde «Kultur und Innovation fördern» und auch bei Goldman Sachs spricht man davon, «In-Office-Kollaboration» sei ein Innovationstreiber. Bei Amazon glaubt man, «Face-to-Face-Interaktionen» seien «essenziell für Kreativität» und förderten zudem die Kultur.
Auch bei vielen anderen Firmen, die eine Kehrtwende beim Homeoffice vollziehen, klingt es ähnlich. Immer mit vorne dabei: Produktivität, Kreativität, Innovation, Kultur.
Um ihre Mitarbeitenden zur Rückkehr zu bewegen, beschwören manche CEOs zudem die Solidarität unter den Angestellten: So sollen sich Mitarbeitende, die von RTO-Policys betroffen sind, solidarisch mit jenen Angestellten zeigen, die an den «Frontlinien» arbeiten und dieses Privileg so nie oder nur eingeschränkt hatten.
Ob diese Einschätzungen aus den Management-Etagen grosser Firmen tatsächlich stichhaltig sind, ist zumindest fraglich. Eine Gallup-Umfrage zeigt, dass sich eben jene angesprochenen Angestellten an vorderster Front an der Flexibilität anderer Mitarbeitenden mehrheitlich nicht stören, sondern dass sie sich ebenfalls mehr Flexibilität wünschen.
22 Prozent der befragten HR Professionals geben zu: Ihr Unternehmen hat keine Metriken, um den Erfolg von RTO zu messen.
Geht es um Produktivität und Teamkultur, zeigen Daten bisher ebenfalls ein anderes Bild. Gemäss Forschenden der University of Pittsburgh, die sowohl ein Sample von Firmen des S&P 500 sowie Daten der Plattform Glassdoor ausgewertet haben, schädigen RTO-Vorgaben nicht nur die Mitarbeitendenzufriedenheit, sondern steigern auch die Produktivität nicht. Die Forschenden schlagen sogar im Gegenteil vor, dass die Produktivität von leistungstragenden Mitarbeitenden durch Homeoffice gesteigert werden könne.
«Wir sind überzeugt, dass unsere empirischen Erkenntnisse Managern und Aktionären dabei helfen können, den Nutzen einer Rückkehrpflicht ins Büro besser einzuschätzen», kommentieren die Forschenden ihre Ergebnisse. Dies ergänzt sich mit einer Umfrage von BambooHR, in der 22 Prozent der befragten HR Professionals zugaben: Ihr Unternehmen hat keine Metriken, um den Erfolg von RTO zu messen.
Die «MIT Management Review» ordnet ähnlich ein wie die Forschenden der Universität Pittsburgh: «Es mehren sich die Belege dafür, dass Rückkehrpflichten die finanzielle Performance nicht verbessern. Stattdessen schaden sie der Mitarbeitendenbindung und führen zu höherer Fluktuation – insbesondere bei leistungsstarken Beschäftigten und besonders bei jenen mit Betreuungsverpflichtungen.»
Kontrolle und Disziplin im neuen digitalen Zeitalter
Die Forschenden der University of Pittsburgh geben aber noch eine weitere Dimension zu bedenken: «Unsere Befunde stützen die Sorge von Mitarbeitenden, dass RTO-Massnahmen von Führungskräften als Mittel zur Machtdemonstration [im Original: «power grabbing», Anm. d. Red.] und zur Schuldzuweisung bei ausbleibendem Unternehmenserfolg instrumentalisiert werden.»
Wo also die durch die Pandemie verursachte Wende hin zum hybriden Arbeiten den Arbeitsplatz hinsichtlich der Arbeitsgestaltung nicht nur flexibilisiert, sondern auch ein Stück weit demokratisiert hat, sehen Mitarbeitende und Forschende nun die Gefahr, dass diese sanfte Machtverschiebung durch RTO-Massnahmen nun rückgängig gemacht werden soll und das Management jene Kontrolle, die es zwangsläufig abgeben musste, wieder zurückerlangen möchte.
Dass laut der bereits erwähnten Umfrage von BambooHR 42 Prozent der befragten Angestellten das Gefühl hatten, nur ins Büro zurückzukommen, um gesehen zu werden, bestätigt diesen Eindruck. Die «Financial Times» zitiert dazu Bernie Mehl, Co-Gründer von Kisi, einer Firma, die sich auf Software spezialisiert hat, die Bürozugänge trackt. Er sehe einen Anstieg an Anfragen, ob sich die Software auch für HR-Abteilungen nutzen liesse – für Jahresgespräche und Leistungsbeurteilungen. Heisst: Büroanwesenheit könnte tatsächlich zu einer Performance-Metrik werden.
Eine überwältigende Mehrheit der Mitarbeitenden hat den Eindruck, ihre Produktivität klar demonstrieren zu müssen.
Und: Sowohl im Homeoffice als auch im Büro findet eine Form der Selbstkontrolle statt. Dieselbe Umfrage von BambooHR hat ergeben, dass eine überwältigende Mehrheit der Mitarbeitenden den Eindruck hat, ihre Produktivität klar demonstrieren zu müssen. Im Homeoffice beispielsweise dadurch, in Messaging-Apps stets online zu sein.
Das sind allesamt Dinge, die der französische Philosoph Gilles Deleuze, anknüpfend an die Arbeit von Michel Foucault, bereits 1990 erahnt hat. Einerseits, dass die räumliche Dimension der Disziplin und Kontrolle durch eine digitale erweitert werden wird – und alte Mechanismen wie das Einstempeln ein Revival erfahren:
«Es mag sein, dass ältere Methoden, übernommen aus den früheren Gesellschaften der Herrschaft [im Original: «sovereignty», Anm. d. Red.], wieder in den Vordergrund rücken – jedoch mit den notwendigen Anpassungen. Entscheidend ist, dass wir am Anfang von etwas stehen».
RTO als Deckmantel für Entlassungen
Dass solche neuen Regelungen unbequem sind, dürfte in manchen Fällen zudem Absicht sein: Mehrere Umfragen haben ergeben, dass RTO-Massnahmen zu höherer Personalfluktuation führen. Das kommt Unternehmen entgegen, die sich gerade in schwierigen finanziellen Fahrwassern befinden und Umstrukturierungen und Entlassungen bevorstehen. Denn so gehen manche Mitarbeitende freiwillig, es gibt weniger Sozialpläne, Abfindungen und schwierige Entlassungen – was innerhalb einer unternehmerischen, sprich ökonomischen Logik Sinn ergibt. Nicht zuletzt schützen freiwillige statt forcierte Abgänge vor schlechter PR und somit einem potenziellen Reputationsschaden. Der Umkehrschluss, dass der Einsatz von RTO-Strategien als Indikator schlechter Unternehmensperformance gelten kann, ist allerdings aufgrund der Datenlage – und der Tatsache, dass wir uns inmitten eines Wandels befinden – empirisch noch nicht hinreichend untermauert.
Fast 40 Prozent der von «BambooHR» befragten Manager glauben, dass ihre Firmen RTO nutzen, um Angestellte zu Kündigungen zu bewegen.
Bereits 2023 analysierte der US-Fernsehsender CNBC nach Gesprächen mit diversen Workplace Experts und Brancheninsidern, RTO-Massnahmen seien «getarnte Entlassungen». Fast 40 Prozent der von «BambooHR» befragten Manager glauben, dass ihre Firmen RTO nutzen, um Angestellte zu Kündigungen zu bewegen. Und ganze 25 Prozent der VP- und C-Level-Executives und 18 Prozent der HR Professionals hoffen gar auf freiwillige Kündigungen. In der Kritik diesbezüglich steht zum Beispiel IBM. Dem Tech-Konzern wird von aktuellen und früheren Angestellten vorgeworfen, dessen RTO-Strategie würde besonders ältere und teurere Mitarbeitende hart treffen und zur Kündigung bewegen. Dazu kommen ähnliche individuelle Anekdoten von Angestellten, die sich zuhauf in den sozialen Medien finden lassen.
Ob diese Strategie der «freiwilligen Fluktuation durch RTO» letztlich aufgeht, bleibt abzuwarten. Schon jetzt zeichnet sich aber ab, dass manche Unternehmen Fluktuationen unterschätzen – und RTO zu Problemen beim Recruiting führen kann. Sprich: Das Personal ist mit den Massnahmen unzufrieden und wechselt die Stelle, die danach unter Umständen schwer zu besetzen ist, da viele Talente – auch das ist durch diverse Umfragen gestützt – sich hybride Arbeitsmöglichkeiten wünschen und durch RTO-Vorgaben abgeschreckt werden. Das US-Magazin «Entrepreneur» ist der Meinung, dass viele Unternehmen die Risiken von RTO-Massnahmen hinsichtlich Brain Drain und genereller Personalfluktuation in Zeiten des Fachkräftemangels falsch einschätzen würden und die Schäden auf lange Sicht immens sein könnten.
Es droht ein Diversitätsverlust – und die Wiedererrichtung alter Barrieren
Nicht zuletzt, so schrieb es das Wirtschaftsmagazin «Forbes» bereits Anfang 2023, könne diese Strategie zu anderen, unerwarteten Problemen führen: Eine unkontrollierte durch RTO vermittelte freiwillige Abwanderung – damals allerdings im Kontext der sogenannten «Great Resignation» – könne einen Verlust an Diversität bedeuten. Einerseits zitiert Forbes aus einer Studie, die unter weissen Angestellten eine deutlich höhere RTO-Bereitschaft feststellte, als bei schwarzen Angestellten. Eine ebenfalls dort zitierte Studie stellt zudem fest, dass Frauen unzufriedener mit RTO sind als Männer. «Forbes» schlussfolgerte damals, Minoritäten seien vor rassistischen oder sexistischen Übergriffen – ob im Kleinen oder Grossen – weniger geschützt und würden sich entsprechend weniger wohl im Büro fühlen. Besonders brisant sind diese Ergebnisse hinsichtlich der Bestrebungen der US-Regierung, Inklusionsmassnahmen einen Riegel vorzuschieben. Bestrebungen, die teilweise bereits in die Schweiz übergeschwappt sind. Eben beispielsweise: zur UBS («HR Today» berichtete).
Dass hybride Arbeitsweisen Massnahmen mit inklusiven Folgen sind, ist offensichtlich: So wurden im Zuge der Pandemie vielen Menschen plötzlich Arbeitsstellen zugänglich, die ihnen zuvor verwehrt geblieben wären oder zumindest erschwert wurden: Das Homeoffice ist barrierefrei und es fällt zusätzlich ein etwaiger Arbeitsweg voller Barrieren weg. Menschen mit Autismus oder ADHS, die unter den Bedingungen in Grossraumbüros oft leiden, gewannen mit der Ausbreitung des Homeoffices einerseits mehr Freiheit in der Arbeitsgestaltung und erhielten andererseits Entlastung, beispielsweise von sensorischen Einflüssen. Im Umkehrschluss heisst das aber auch, dass Ungleichheiten – egal, ob sie Diversität oder etwas anderes betreffen – durch RTO-Massnahmen sichtbarer werden dürften, als sie es vorher vielleicht gewesen sind.
Die Frage, inwiefern die RTO-Massnahmen bei der UBS unter diesen Gesichtspunkten einzuordnen sind, kann problematisiert werden. Dass diese veränderten Vorgaben aber mitten in eine Zeit fallen, in der die Credit Suisse in die UBS integriert wird – und noch viele Entlassungen und Umstrukturierungen bevorstehen – ist jedoch klar. Interessanter ist indes die Frage, welche Langzeitwirkungen dieser Strategiewechsel noch haben wird.