Heft Nr. 10/2015: Porträt

Weltoffenes «Landei»

Zwei Karriereziele hatte sich Angela Leutwiler Hüssy schon in jungen Jahren als Expat-Direktionsassistentin in New York gesetzt: Sie wollte zu Schweiz Tourismus – und sie wollte irgendwann im HR tätig sein. Beide Ziele hat das bekennende «Glückskind» erreicht. Nach über zwölf Jahren als Controllerin trägt sie als Quereinsteigerin seit vier Jahren die HR-Gesamtverantwortung für die nationale Tourismus-Marketing-Organisation mit weltweit rund 245 Mitarbeitenden.

Am 4. September 1963 stürzte im Aargauischen Dürrenäsch eine Caravelle III der Swissair ab. Das war rund drei Monate vor Angela Leutwilers Geburt. Alle 80 Passagiere von Flug 306 verloren das Leben. Ein prägendes Erlebnis. «Nicht nur für die werdenden Mütter im Dorf», so Leutwilers Antwort auf die Einstiegsfrage nach ihrer Herkunft, die in der kleinen Aargauer Gemeinde Dürrenäsch mit zwei Geschwistern aufgewachsen war. Nach Primar- und Bezirksschule sowie KV-Lehre in der Seetal Papier AG in Seon und einem Au-pair-Jahr in London tritt sie 20-jährig bei der Bertschi Transport AG in Dürrenäsch ihren ersten Job als kaufmännische Angestellte an, wo ihr Vater als Chauffeur der ersten Stunde eine steile Karriere im Management des Transportunternehmens durchlaufen hatte. Zwei Jahre später wird ihr der Aargau als Lebensmittelpunkt allmählich doch etwas zu eng: «Ich bin ländlich geprägt, aber mit einer Vorliebe für das urbane Leben. Ich brauche die Kombination von Stadt und Land.»  Sie bleibt also auf dem Land wohnhaft, tritt aber in Zürich bei United International Pictures eine Stelle als Direktionsassistentin an, wo sie acht Jahre lang unter Vertrag bleiben wird – unterbrochen nur durch eine siebenmonatige Weltreise im Jahr 1989.

Den Mutigen gehört die Welt

Der Duft der grossen weiten Welt lässt sie nicht unbetört. «Reisen ist meine grosse Passion», bekennt Angela Leutwiler. Vier Jahre nach der Weltreise schnappt das Schicksal zu. Sie verliebt sich knapp 30-jährig in einen Mann «mit einem Vierjahresvertrag in New York in der Tasche». Leutwiler zögert nicht lange: «Die Idee, in New York zu leben, passte mir.» 1994 wirft sie «alles über den Haufen» und entscheidet sich «ohne Job und Visum» für die Auswanderung – frei nach ihrem Lebensmotto, wonach den Mutigen die Welt gehöre. Ihr Mut wird schnell belohnt und sie findet in der New Yorker Filiale der Werbevermarkterin Publicitas eine Direktionsassistenz-Stelle. Obwohl sie froh und stolz ist, in New York ihr Leben verdienen zu können, wird sie im neuen Job nicht wirklich glücklich.

Also beginnt sie an Schweizer Firmen mit New Yorker Niederlassung Bewerbungen zu schreiben. Unter anderem auch an die Adresse ihres Traumarbeitgebers Schweiz Tourismus. Von Absagen lässt sie sich nicht entmutigen. «Ich habe einfach immer wieder geschrieben.» Im Februar 1996 erhält sie die Chance, in der New Yorker Filiale von Schweiz Tourismus als Direktionsassistentin mit Buchhaltungsaufgaben einzusteigen. Das Büro von Switzerland Tourism, das man sich mit dem New Yorker Office der Swissair teilt, wird für Leutwiler zu einem «Stück Heimat in New York». Nach zwei Jahren «stiess das Interesse an der Assistenzstelle doch ein bisschen an eine Grenze», erinnert sich Leutwiler. Gleichzeitig musste sie sich privat entscheiden, ob sie eine Rückkehr in die Schweiz in Betracht ziehen sollte.

Zur Person

Angela Leutwiler (51) ist mit zwei Geschwistern in Dürrenäsch (AG) aufgewachsen. Nach Primar- und Bezirksschule sowie KV-Lehre, einem Au-pair-Jahr in London und Berufseinstieg als kaufmännische Angestellte zieht sie mit ihrem Lebenspartner und heutigen Ehemann nach New York, wo sie als Direktionsassistentin in der Filiale von Schweiz Tourismus ihre «Heimat» findet. Nach fünf Jahren in New York kehrt sie 1998 in die Schweiz zurück und übernimmt bald darauf bei Schweiz Tourismus einen Job als Controllerin, den sie nach zwölf Jahren verlässt, um die HR-Leitung zu übernehmen. In ihrer Freizeit findet Leutwiler Entspannung im Garten, beim Sport, mit ihren diversen Patenkindern oder auf Reisen. Leutwiler ist verheiratet und lebt «im idyllischen Biberstein am Jurasüdfuss».

Interkultureller Austausch pur

Der Entscheid fiel nach knapp fünf Jahren in New York zugunsten der Rückkehr in die Schweiz. Obwohl sie nach den Jahren in New York «gerne ins HR eingestiegen» wäre, «den Quereinstieg aber nicht schaffte», nimmt sie im April 1999 das Jobangebot an, am Zürcher Hauptsitz von Schweiz Tourismus als Controllerin zu arbeiten. «Ich bin ein strukturierter Mensch und habe neben einer Affinität für Menschen eben auch ein Zahlen-Gen», erklärt die spätere Finanzfachfrau mit eidgenössischem Fachausweis. Zu Leutwilers Aufgaben-Portfolio gehörte auch die interne Revision – inklusive Vorort-Audits in den weltweiten Aussenstellen wie zum Beispiel in China, Tokio und Amerika. «Das kann ein harter Job sein. Wenn Sie in China zum Beispiel nicht lesen können, was auf einer Rechnung steht, dann müssen Sie mit einem Übersetzer arbeiten und das kann ganz schön abenteuerlich werden», so Leutwiler bedeutungsvoll: «Interkultureller Austausch pur.»

Zu ihrem Verantwortungsbereich gehört auch das weltweite Personalkostenbudget in der Höhe von über 20 Millionen Franken. «Ich finde es immer sehr spannend, ein Budget zu schnüren bis alles an seinem Örtli ist.» Angesiedelt im Bereich Corporate Services rapportierte sie an Geschäftsleitungsmitglied Marc Isenring, dem sie auch heute als HR-Chefin unterstellt ist: «Durch ihn ist HR in der Geschäftsleitung sehr gut vertreten. Er trägt ebenfalls das ‹Finanz-Gen› in sich und hat gleichzeitig auch eine Personalausbildung. Wir können also fundiert argumentieren.» Seit August 2011 ist Leutwiler offiziell Leiterin HR von Schweiz Tourismus. Als sich ihr diese Chance bot, musste Leutwiler  nicht lange überlegen. Für sie ging ein Traum in Erfüllung.

HR-Frau mit Zahlen-Gen

Und wie fühlt sich die neue Rolle an? «Mir macht es wahnsinnig Spass, ich bin angekommen», erklärt Leutwiler, die sich an der Handelsschule Aarau zur eidgenössisch geprüften HR-Fachfrau weiterbildete und im Herbst 2014 abschloss. «In der HR-Klasse war ich als 50-Jährige eine der Ältesten. Der Grossteil war zwischen 28 und 38. Die stehen beruflich woanders.» Es habe jedoch ein guter Austausch geherrscht und die verschiedenen Branchen- und Erfahrungshintergründe seien sehr bereichernd gewesen.

«Meine Kombination mit einer Passion für Zahlen und HR, beziehungsweise für die Menschen hinter den Zahlen scheint mir in HR-Kreisen nicht so weit verbreitet zu sein», erklärt Leutwiler nach ihrer Einschätzung befragt, wie es in der HR-Zunft um das Zahlen-Faible bestellt sei. «Das Finanz-Know-how ist für mich sicher kein Nachteil.»

Angela Leutwilers HR-Team umfasst sechs Personen zu 450 Stellenprozent. Darunter ein Payroll-Manager, drei HR-Fachfrauen, eine HR-Assistentin und eine Praktikantin. Und was hält das Team gerade so in Atem? «Eines unserer nächsten Projekte wird die Einführung von E-Dossiers sein, also die Digitalisierung der Personaldossiers, die heute noch klassisch in Papierform organisiert sind. Da evaluieren wir aktuell einen Anbieter.» Sie möge neue Projekte und treibe auch gerne Dinge voran. «Deshalb muss mein Team manchmal auch ein bisschen beissen. Ich kann aber auch gut auf Anregungen und Zweifel des Teams eingehen. Man muss es einfach gut verargumentieren.»

Angela Leutwiler trägt bei Schweiz Tourismus die Personalverantwortung für weltweit 245 Mitarbeitende, wobei rund die Hälfte davon am Zürcher Hauptsitz beschäftigt ist. Welchen Stellenwert hat bei der nationalen Marketingorganisation eigentlich das Thema Diversity? «Wir versuchen der Schweizer Sprachenvielfalt gerecht zu werden. Allerdings wird es immer schwieriger, geeignete Leute aus der Romandie oder aus dem Tessin für einen Umzug nach Zürich zu gewinnen», erklärt Leutwiler. «Vielleicht wird sich dies ändern, wenn wir künftig flexiblere Arbeitszeitmodelle anbieten könnten.» Gleichzeitig stelle sie fest, «dass die Leute auch bei Auslandstellen weniger beweglich sind als früher und sich nicht mehr so leicht ins Ausland entsenden lassen.» – Zu ihrer Überraschung: «Als ich 30 war, war es das Grösste, ins Ausland arbeiten zu gehen. Heute wägen die jungen Leute sehr stark ab. Früher hatten wir mehr junge Leute mit Abenteuergeist.»

Auch seien das Thema Leistungsdruck und der Wunsch nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie für die jüngeren Generationen sehr zentral. Gerade auch für junge Männer. «Deshalb bieten wir bei Schweiz Tourismus auch viele Teilzeitpensen an.» Dennoch sei es tendenziell schwieriger geworden, Talente zu finden und zu halten. Die Welt sei kleiner geworden. «Man kann heute für wenig Geld die ganze Welt bereisen, aber gleichzeitig wollen die jungen Leute heute ihre Familien und Freunde in der Schweiz nicht aufgeben.» Lieber fahre man für ein Wochenende irgendwohin, als die Risiken und Entbehrlichkeiten, die Auslandeinsätze mit sich bringen, auf sich zu nehmen. «Wahrscheinlich ist die Schweiz einfach zu schön.»

Expat-Kummermutter

«Wir sind nicht die grösste Firma, aber mit 27 Niederlassungen sehr international aufgestellt.» Dabei machen die Entsendungen einen grossen Teil von Leutwilers Arbeit aus: «Man muss da ziemlich auf dem Laufenden sein, denn die rechtlichen Rahmenbedingungen ändern sich ständig – egal, ob es um Visa, steuerliche Aspekte oder um Sozialversicherungs- und Krankenkassenfragen geht.» Das sei gerade in «schwierigeren Märkten wie Indien» ziemlich herausfordernd: «Die Leute sollen sich wohl fühlen, weshalb ich mich bemühe, mit unseren Leuten im Ausland konstant in Kontakt zu bleiben und immer ein offenes Ohr zu haben.» Manchmal sei man dabei durchaus auch eine Art «Kummermutter». Um den Kontakt zu halten, schaut Angela Leutwiler auch in ihren Ferien in den Aussenstellen vorbei. «Mein Anspruch ist es, nahe an den Mitarbeitenden zu sein, denn ich kenne das Expat-Leben aus eigener Erfahrung und möchte spüren, wo der Schuh drückt.»

Dabei plagten die Entsendeten ganz verschiedene Sorgen: «In Aussenstellen wie Mumbai kann es das Klima sein, das zu schaffen macht, während sich in São Paulo unsere Mitarbeitenden um die Kinder Sorgen machen, weil diese im gepanzerten Schulbus befördert werden müssen.»

Es sei ihr ein Anliegen, für die Leute dazusein und auch ihre berufliche Weiterentwicklung voranzutreiben: «Wir versetzen Mitarbeitende gerne in andere Märkte, weil dies die Weiterentwicklung und den Know-how-Transfer fördert, wir forcieren jedoch Mitarbeitende nur selten 
zu einer Jobrotation.» Vielmehr sei es Sache der Linie, Vorschläge für die Weiterentwicklung zu machen. «Wir haben viel Bewegung bei uns in der Firma und suchen Leute mit grossem Herzblut für die Arbeit und mit Passion für das Produkt Schweiz. Ich empfinde es immer noch als grosses Privileg, für das Tourismusland Schweiz arbeiten zu dürfen.»

Von Abstürzen und Bruchstellen

Apropos Arbeit: Wie sieht eigentlich ihr Arbeitspensum aus? «Ich arbeite sicher jeden Tag mehr als die Normalarbeitszeit, versuche aber, meine Balance zu halten.» Entspannung findet Leutwiler in der Gartenarbeit, beim Sport und mit ihren diversen Patenkindern: «Ich mache alles mit, vom Märchennachmittag mit den Kleinen bis zum Ausgang mit den erwachsenen ‹Gottibuben›, und bin inzwischen auch Patchwork-Grossmutter.» Dabei umfasst Angela Leutwilers reichhaltige Hobby-Palette auch exotisch anmutende Nebentätigkeiten: So betreut sie in ihrer Freizeit ein «Kleinstpensum in einer GL eines kleinen Treuhandbüros, wo ich auch Stellvertreterin der Geschäftsleiterin bin – ein Hobby, das meiner Passion für Zahlen geschuldet ist.»

Damit es ihr ja nicht langweilig wird, hat sich Leutwiler jüngst eine weitere Nebenbeschäftigung zugelegt: «Als letztes Jahr meine HR-Ausbildung fertig war und ich wieder Zeit hatte für etwas Neues, habe ich mich für das Care-Team der Swiss beworben.» Ihre Ausbildung beim Special Assistance Team Swiss (SATS) hat sie ausgerechnet während des Germanwings-Absturzes absolviert. «Diese Geschichte schlägt einen Bogen zu meiner Zeit in New York, wo ich das Halifax-Unglück miterlebte, das mir sehr nahe gegangen ist, weil wir bei Switzerland Tourism das Büro mit der damaligen Swissair geteilt haben», erklärt Leutwiler. «Es geht weder um medizinische noch psychologische Hilfe, sondern einfach darum, für Menschen und Angehörige dazusein und zu helfen, wenn ein Flieger abstürzt.» Eine nebenamtliche Funktion, die sehr gut in die HR-Thematik hineinpasse. «Weil man in beiden Fällen mit Menschen in Krisensituationen zu tun hat – wenn etwa Mitarbeitende Menschen verlieren, aber auch wenn sie beruflich in einer Krise stecken und sich verändern wollen.»

Wie sieht es in ihrem eigenen Leben mit Abstürzen und Bruchstellen aus? «Es gibt eigentlich keine. Da bin ich ein Glückskind», erklärt Leutwiler. «Ich kann mich aber sehr gut in Menschen hineinversetzen, die Brüche erlebt haben.» Genau das reize sie an der HR-Arbeit, nämlich «Menschen vom Praktikum zur Pensionierung durch die unterschiedlichsten privaten und beruflichen Lebenssituationen zu begleiten und die persönlichen Ansprüche der Mitarbeitenden mit den Ansprüchen der Organisation möglichst optimal abzustimmen.»

Schweiz Tourismus

Schweiz Tourismus (ST) ist eine öffentlich-rechtliche Körperschaft des Bundes. Die Aufgabe von ST besteht gemäss Bundesbeschluss in der Förderung der touristischen Nachfrage 
für das Ferien-, Reise- und Kongressland Schweiz im In- und Ausland. Dabei stehen die Entwicklung und Umsetzung nachfragewirksamer Marketingprogramme und die Profilierung der Marke Schweiz in den internationalen Märkten im Mittelpunkt. Weltweit ist 
ST mit rund 245 Mitarbeitenden in 
27 Ländern präsent und verfügt über ein Jahresbudget von 
95 Millionen Franken, wovon über 20 Millionen auf die Personalkosten entfallen.

 

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Ehemaliger Chefredaktor HR Today.

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