Serious Games

Abenteuerliches Lernen ganz ernst

Simulationen und Planspiele sind im Rahmen von Bildungs- und Qualifizierungskonzepten bekannt geworden. Oft sind die Angebote gar nicht digital. Doch nun, da der «Digital Lifestyle» auf breiter Front im Berufsleben angekommen ist, trainieren immer mehr Mitarbeiter in virtuellen Szenarien «ernsthafter Computerspiele» oder üben ihre Skills mit einem Simulator.

«Sie sind viel zu schnell gefahren», tönt die Stimme des Fahrlehrers aus dem Lautsprecher in der perfekt kopierten Führerkabine eines LKWs. Meine Vollbremsung kam viel zu spät und es rummst gewaltig, als ich dem plötzlich vor mir haltenden PKW ins Heck krache. Allerdings sitze ich auch das erste Mal am Steuer eines Lastwagens und gar noch mit Blaulicht und Sirene. Es war ein garstiger Unfall – doch zum Glück nur eine Simulation. Der Effekt jedoch war lebensecht: mit Original-Schrecksekunden und Adrenalinstoss. Im Ausbildungszentrum von «Schutz & Rettung Zürich» (Ambulanz, Polizei, Feuerwehr und andere) werden jetzt Einsatzfahrten mit Blaulicht im Fahrsimulator trainiert, um richtige Reaktionen und Verhalten in schwierigen Situationen einzuüben, nicht machbar im realen Stadtverkehr. Genauso, wie seit langem alle Airlines mit regelmässigen Checks im Flugsimulator sicherstellen, dass ihre Piloten allen erdenklichen Schwierigkeiten gewachsen sind – dito unmöglich im regulären Flugbetrieb.

Ein besonders lohnendes Pflaster für Simulation und Training ist auch die Medizin. Angehende Orthopäden etwa üben die Kniespiegelung mit ihrem Endoskop zunächst am Kniemodell aus Plastik. Das Innere – Gelenk, Menisken, Knorpel – ist als exaktes virtuelles Modell auf einem Monitor zu sehen und reagiert interaktiv. Simuliert, virtuell trainiert und vorbereitet (beispielsweise Operationen) wird in der Medizin mittlerweile zuhauf. Das Schweizerische Zentrum für medizinische Simulation (SimBa) in Basel sieht Simulationen «als grundlegendes Medium für die zukünftige Aus-, Weiter- und Fortbildung in der Medizin» und bietet daher diverse Simulationskurse an.

Besondere technische Ausrüstung ist nicht mehr erforderlich

«Interaktive Simulation» lautet das in der Personalentwicklung noch wenig benutzte Zauberwort. Lange Jahre war die Technik meist die teure Domäne von Militär, Wissenschaft und Grossindustrie. Heute aber sind dafür keine Supercomputer und Virtual-Reality-Equipment mehr notwendig. Grafische Simulationen benötigen heute überwiegend nur einen guten Standard-PC. Durch die Ubiquität und Leistungsfähigkeit digitaler Rechenknechte – selbst ein Handy hat heute das Vielfache an Power eines «Oldtimer-PCs» – erhält heute wer will fast durchgängig Zugriff auf eine sich zunehmend ausbreitende virtuelle Ebene in unserer Welt. Beispiele dafür sind natürlich die immer beliebteren Computerspiele oder Special Effects aus Hollywood. Sie kommen dem Ziel immer näher, Realität – zumindest visuell – immer perfekter im Computer abzubilden. Diesem Anspruch kommen heute auch schon manche «Gaming Simulations», wie neueste Planspiele in Bildung oder Wirtschaft oder die so genannten «Serious Games» nahe. Ob mit oder ohne ausgefeilte Computergrafik: Simulationsanwendungen werden immer besser und zahlreicher.

Auch die Automobilindustrie zählt von jeher zu den Pionieren bei der Anwendung neuer VR-, Simulations- und Computer-(grafik)-Programme. Die Mercedes C-Klasse etwa wurde erstmals komplett auf Basis eines digitalen Prototypen konzipiert und entwickelt. Die 3D-Daten des Modells wurden dann auch für Marketingzwecke verwendet, so in der 3D-Onlinewelt Second Life. Mittels 3D-Visualisierungen und spielerischen Aufgabenstellungen lernen aber jetzt auch Kundendienstmitarbeiter in der Autobranche neue Produktstandards kennen.

An der Metall- und Elektroindustrie Interessierte können mit der Software TechForce in einer simulierten Fabrik den futuristischen Glider X-2100 zum Laufen bringen. Das Fluggerät muss konstruiert und montiert werden, um am Ende damit herumfliegen zu können. Tipps rund um die Berufswahl und die richtige Bewerbung gibt es nebenher. In Auftrag gegeben wurde das Game vom deutschen Arbeitgeberverband Gesamtmetall und Konzerne wie die Ford Werke oder Siemens setzen bereits auf das Recruiting Game für Nachwuchskräfte. Ein beliebtes Tool für die Berufsberatung und im Sinne von Employer Branding ein Schmankerl, wenn solch ein Lernspiel sogar preisgekrönt wird, so geschehen beim «Deutschen Computerspielpreis 2009».

Brücke zwischen Spiel und Lernen ist nur schwer zu schlagen

Anwendungen wie TechForce machen viel Spass, was letztlich die Basis aller Gaming Simulations ist. Natürlich heisst das primäre Ziel von Spielen und Lernen in virtuellen Umgebungen: Erwerb von Wissen und Können. Das spassvolle Spielen soll dabei erlauben, eine Rolle zu spielen, wichtige Aufträge auszuführen und dafür belohnt zu werden. Und so lerne der Spieler vor allem beiläufig, weniger explizit, weiss der Münchner Wissenschaftler Prof. Dr. Heinz Mandl (siehe Interview «Serious Games haben Potenzial»).

Für kritische Stimmen, wie die von Prof. Dr. Helmut M. Niegemann, Direktor des Zentrums für Lern- und Bildungsforschung an der Universität Erfurt, zerfallen bisherige Serious Games in Form von Adventure Games in einen Spiele- und einen Lernteil, wo letzterer noch sehr selten «intrinsisch» in das Spiel integriert ist. «Wer spielen will, will nicht zwingend auch lernen», sagt der Bildungsforscher. «Und wer lernen will, ist schnell genervt, wenn er spielen muss.» Niegemann zeigt sich auch aus anderem Grund noch skeptisch: «Es ist eine sehr schwere Aufgabe, eine Simulation oder ein Serious Game zu entwickeln, welches Lerneinheiten und Spielspass harmonisch und erfolgreich integriert. Ein paar Millionen Franken müssen in die Hand genommen werden, um zu einem solchen, bislang kaum realisierten Resultat zu gelangen».

Dennoch: Die US-Branchenexperten der Apply Group  schätzen, dass bis 2012 bis zu 135 der Fortune-500-Firmen Serious Games für die Fortbildung ihrer Führungskräfte und Mitarbeiter nutzen werden. Dazu gehört auch das Einüben von Soft Skills, wie situationsadäquates Verhalten – etwa, dass sich Teams unter Stress bewähren und komplexe Aufgaben lösen müssen. Beispielsweise in der Chirurgie, wo kritische Vorfälle zu 70 Prozent nicht mit mangelndem Fachwissen, sondern mit menschlichen Faktoren, wie Problemen in der Kommunikation, im Umgang mit Komplexität, mit Problemen bei der Umsetzung des Wissens zu tun haben, so das SimBa. Solche Human Factors im Griff zu haben, trägt bei extrem hohen Anforderungen massiv zu einem erfolgreichen Arbeiten im Team bei. Schliesslich gilt es, «potenziell gefährliche Situationen zu erkennen, unter Zeitdruck Prioritäten zu setzen und richtige Entscheidungen zu treffen» (SimBa). Bei häufigerer Benutzung des LKW-Simulators würde wohl auch der Autor bald die Fähigkeit entwickeln, sich in simulierten brenzligen Situationen schnell und richtig zu verhalten.

Simulationen fürs Business

Seit den Anfängen der Elektronengehirne werden Rechner genutzt, um die Realität zu simulieren. Simulatortrainings fanden lange Zeit vorwiegend in elitären Kreisen wie Militär, NASA und Airlines Anwendung. Bis in die 90er-Jahre blieben Hardwarekosten, aber auch mangelnde Akzeptanz eine Hürde für die Verbreitung von Computersimulationen zur Personalentwicklung. 1980 zeigte Frederic Vesters Ökolopoly, wie sich vernetztes Denken mit einem Brettspiel trainieren lässt. Langsam fanden Simulationen in Form von Brett-Planspielen Einzug in die betriebswirtschaftliche Ausbildung. Doch erst die breite Verfügbarkeit von multimediafähigen Computern zur Jahrtausendwende machte Simulationen für das Business salonfähig. Dank IT-Einsatz sind wesentlich komplexere und realistischere Szenarien sowie detailreiche Auswertungen möglich. Zu den einschlägigen Klassikern gehören u.a. Topsim (TATA Interactive Systems) für BWL oder Management Skills sowie Simultrain (STS Sauter) zur Ausbildung von Projektleitern.

Während die Simulationen zum Training von Fachkompetenzen stark im Trend liegen, sieht es bei der Entwicklung von Sozialkompetenzen noch anders aus: Hier wird gerne auf Outdoor-Methoden gesetzt. Denn im Verhaltensbereich (z.B. Führungsverhalten, Kommunikation, Kooperation) ist eine grosse Distanz zum Berufsumfeld von Vorteil.

Ein neuartiger Ansatz ist die Simulation InterLAB von Ninecubes, der zur Persönlichkeitsentwicklung die Vorteile vom Outdoor-Ansatz mit denen von Computersimulationen verbindet (siehe Artikel «Gemeinsam bewältigte Probleme stärken das Team»).

 

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Tom Sperlich ist freier Journalist.

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