Die grosse «HR Today»-Sommerserie: ADHS – was ist das eigentlich?
ADHS – vier Buchstaben und eine Diagnose, die mehr ist als eine blosse medizinische Tatsache. Nämlich oft: Ein Missverständnis. Eines, das alle Menschen betrifft, die arbeiten, organisieren, führen – leben. In der grossen «HR Today»-Sommerserie beleuchten wir die «Tatsache ADHS» von allen Blickwinkeln – und erzählen von einer Normalität, die sich eben nur für die einen normal anfühlt.

Unsere Sommerserie über ADHS geht los! (Bild: ChatGPT / Robin Adrien Schwarz)
«Wäre es dir wirklich wichtig, hättest du dich daran erinnert.»
«Das ist doch alles nur eine Ausrede.»
«Du willst dich doch einfach nicht anpassen.»
Das sind Sätze, die Menschen mit ADHS von Kindesbeinen an hören. Immer und immer wieder.
Es sind Sätze, die bei Menschen mit ADHS konstante Selbstzweifel auslösen. Zweifel daran, ob sie denn genug oder vielleicht doch zu viel seien. Oder womöglich beides gleichzeitig. Zweifel darüber, ob sie tatsächlich in diese Welt gehören, in der sie sich ohnehin schon fremd fühlen. Auf eine Art, die für Menschen ohne ADHS oder andere sogenannte Neurodivergenzen kaum nachvollziehbar ist.
Und doch sprechen wir im Jahr 2025 von Diversität und Inklusion als Leitlinien für Unternehmenskultur, HR Best Practices und betonen die Wichtigkeit, alle mitzunehmen. Nur: Das, was ein Leben mit ADHS oder auch Autismus bedeutet, welche Leistungen Betroffene jeden Tag vollbringen, um in eine Welt zu passen, die strukturell weder von ihnen noch für sie geschaffen ist, bleibt trotz all dieser oberflächlichen Phrasen und Bemühungen oft unsichtbar – oder noch schlimmer: ignoriert, übergangen, wird nicht ernst genommen.
Das ist kein Wunder: Weder das alltägliche Reden noch die Forschung stellt im Schnitt die Lebensrealität oder Bedürfnisse dieser Menschen, die eben auch Menschen sind, ins Zentrum. Man spricht und forscht über sie, selten mit ihnen. Man beschreibt sie von aussen, hört selten ihren inneren Perspektiven zu.
Kurz: Folgt man der öffentlichen Debatte über ADHS, wird die Frage, was den ADHS eigentlich sei, oft in Ausschluss derer Menschen geführt, die damit leben.
In der grossen «HR Today»-Sommerserie spüren wir der «Tatsache ADHS» nach
Und obwohl die Perspektive von Menschen mit ADHS und anderen Neurodivergenzen für diese Serie eine zentrale Rolle spielt, stellen wir uns – gemeinsam: Sie als Lesende und ich als Autor mit ADHS – (fast) alle Fragen, die die Öffentlichkeit bei diesem Thema bewegen. Und fragen uns gleichzeitig: Sind die Fragen, die wir uns stellen, denn tatsächlich die richtigen Fragen?
ADHS – die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung – ist derzeit allgegenwärtig, ob in den sozialen Medien, Artikeln in Tages- und Wochenzeitungen, Magazinen und Talk-Sendungen. Und doch scheint es bei näherer Betrachtung der «Tatsache ADHS», als wüsste irgendwie doch niemand so richtig, wovon dabei eigentlich die Rede ist. Kein Wunder: Denn in der Diskussion darum vermengen sich diverse Themen und Diskurse, die ihre ganz eigene Sprache haben. Das Resultat: Scheindebatten, Verwirrung – und eben: eine Menge falscher Fragen.
Genau diesen falschen Fragen und Scheindebatten gehen wir in dieser Serie auf den Grund. Wir verfolgen die Spur durch die Geschichte hindurch, fragen also danach, wie sich die Beschreibung der «Tatsache ADHS» durch die Zeit verändert hat. Wir fragen uns, was das Gehirn damit zu tun hat, wir fragen nach dem Sinn und Unsinn der medizinischen und therapeutischen Behandlung, aber auch nach der Rolle des gesellschaftlichen Umgangs mit ADHS, der Arbeitswelt, und, was es mit den zahlreichen Kontroversen auf sich hat. Nicht zuletzt aber auch: was Politik und Gesellschaft damit zu tun haben.
Nicht nur einen, sondern alle Blickwinkel
Nur, wenn wir alle Perspektiven beleuchten, kommen wir zu einer Antwort, obwohl wir hier, an diesem Punkt, vielleicht die richtige Frage noch gar nicht kennen.
Falls Sie sich gerade fragen: «Meine Güte, worauf läuft das alles hinaus? Hat dieses Mäandern überhaupt einen Zweck? Wir müssen doch effizient und produktiv sein!»
Dazu sagte der amerikanische Philosoph Rick Roderick einmal – sinngemäss – über Sokrates: «Vielleicht muss das gar nicht irgendwohin führen. Vielleicht enthält allein schon der Charme und die Schönheit eines Gesprächs einen Schimmer von Wahrheit.» Denn die Kraft des Denkens könnte bereits wertvoll sein – einfach um ihrer selbst willen, wegen ihrer Autonomie und ihrer eigenen Schönheit. «Wir sind heute wohl ein wenig zu beschäftigt für so etwas», meinte Roderick.
Falls Sie sich von dieser Serie einfache Erklärungen erhoffen, müssen Sie sich auf Enttäuschung gefasst machen.
Eine einfache Antwort aber gibt es womöglich tatsächlich: Im unten verlinkten Interview mit Comedian Karpi taucht ein Begriff drei Mal auf, der uns einen wichtigen Hinweis darauf gibt, wie wir mit dem Chaos rund um die Thematik umgehen können – und das nicht nur in Bezug auf ADHS und andere Neurodivergenzen: «basic human decency» – grundlegende menschliche Anständigkeit.
Prolog: Das Karpi-Interview

Den Auftakt zur Sommerserie macht dieses Interview.
Karpi ist der Schweizer Komiker der Stunde. Aber nicht nur das: Er ist Moderator, Regisseur, KI-Dozent – und einer der prominentesten Schweizer mit ADHS. Ein Gespräch zwischen zwei Menschen mit ADHS über die Arbeitswelt – und wie und warum sie neurodivergenten Menschen gerechter werden muss.
Wir wünschen eine aufschlussreiche Lektüre.
Nach diesem Prolog erscheint die Sommerserie in wöchentlich ein bis zwei Kapiteln. Wir informieren Sie jeweils über unseren Spezial-Newsletter, sobald neue Teile erscheinen.
Haben Sie Fragen, Input – oder möchten Ihre eigenen Erfahrungen zu ADHS mit uns teilen? Schreiben Sie an robin.schwarz@hrtoday.ch