Christiane Hohenstein
Ein Beispiel aus dem Organisationsalltag: Eine Kadersitzung, zehn Frauen, vier Männer sowie ein Referent, der eine neue Applikation vorstellt. Der Referent trägt lebhaft und praxisnah vor. Er gibt viele Beispiele, in denen der Vorgesetzte mit seinen Mitarbeitern das Programm anwendet. Nach fünfzehn Minuten wird es im Publikum unruhig. Ein Kollege bemerkt zu einer Kollegin, es sei ausgesprochen auffällig, dass der Referent immer nur von Männern spreche, wo doch im Raum und in der Organisationseinheit überwiegend Frauen beschäftigt seien. Die Unruhe steigt, die Aufmerksamkeit im Raum lässt nach.
Der Referent verliert Wirkung und Publikum, weil er die Wirklichkeit um sich herum sprachlich nicht angemessen erfasst hat. Darauf angesprochen, veränderte er seine Redeweise und konnte sein Publikum zurückgewinnen.
Sprache stellt Wirklichkeit her und bestimmt so unser Denken. Dies wird seit Wilhelm von Humboldt diskutiert. Aber gendergerechte Sprache wird immer wieder kritisiert. Gegner bezweifeln, dass sprachliche Gleichbehandlung etwas bewirken könne. Die oben geschilderte Szene widerlegt dies jedoch. Häufig wird argumentiert, Frauen seien mitgemeint in der generischen männlichen Form. Replizierbare Untersuchungen zeigen aber, dass dies nicht so ist. Machen Sie den Versuch, mit sich und mit anderen: Nennen Sie fünf bekannte Sänger! Wäre es Ihnen bei dieser Frage in den Sinn gekommen, eine Frau zu benennen? Deshalb reicht es nicht, sich zu exkulpieren, indem Sie am Anfang eines Textes anmerken, männliche Formen meinten auch Frauen. Auch wenn Sie denken, dass der Text sonst nicht mehr lesbar wäre: Ein gut verfasster Text ist klar, eindeutig und abwechslungsreich geschrieben und verwendet eine Vielzahl an Ausdrücken. Das trifft auch auf gendergerechte Texte zu. Wenn ein Artikel von «Patienten, die abgetrieben haben» spricht, ist das schlicht falsch, es sei denn, Männer würden schwanger werden. Auch die Stellenanzeige eines Unternehmens, das eine «Chefsekretärin (m/w)» sucht, ist eher rätselhaft als zweckdienlich. Kritische Stimmen behaupten, man müsse mehr nachdenken, wie man wem gegenüber was sage, um Männer und Frauen sprachlich gleich zu behandeln. Gute Kommunikation ist jedoch im Arbeitsleben zentral.
Sie wollen Männer wie Frauen für sich gewinnen, Ihr Gegenüber respektvoll behandeln und eine wertschätzende Kultur des Umgangs miteinander prägen? – Dafür lohnt es sich nachzudenken, ungeachtet dessen, ob es sich um ein E-Mail an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter handelt, eine Stellenanzeige oder um ein Arbeitsgespräch. Ein Kollege fragte mich: «Und wo bleibt die Redefreiheit, wenn ich gezwungen bin, meine Sprache zu normieren und zu kontrollieren?» Niemand wird dazu gezwungen. Jede und jeder kann überlegen und frei entscheiden, wie diskriminierungsfrei kommuniziert wird. Ist es Ihnen nicht auch wichtig, im Berufsalltag respektvoll und gleichwertig angesprochen zu werden?
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