Heft Nr. 11/2015: Porträt

«Jeder ist seines 
Glückes Schmied»

Knapp zwanzigjährig kommt Regina Vogt als Administrationsleiterin einer Softwarefirma erstmals in Kontakt mit HR-Aufgaben. Die Faszination fürs HR lässt die pferdebegeisterte Bauerntochter nicht mehr los. Nach Abschluss einer Betriebsökonomie-Ausbildung gelingt ihr vor zehn Jahren der Einstieg beim rasant wachsenden IT-Unternehmen Netcetera, wo sie das HR vom administrativen Dienstleister zum preisgekrönten Ansprechpartner der Geschäftsleitung weiterentwickelt.

Unscheinbar und wie aus einem anderen Zeitalter stammend wirkt das ehemalige Werksgebäude an der Zürcher Zypressenstrasse auch bei sonnigem Herbstwetter. Beim Betreten des freundlich ausgeleuchteten Vorzimmers des Netcetera-Universums löst sich das Grau-in-Grau auf und weicht dem Kontrast zwischen Alt und Neu: Wo früher Motoren hergestellt wurden und schwere Werkskräne zum Lastenheben dienten, feilen heute IT-Techniker an den neusten Netcetera-Softwarelösungen und -Apps. Und das mit Erfolg. Davon zeugen im Empfangszimmer nicht nur die gerahmten Auszeichnungen «Best of Swiss App Award», «Best of Swiss Web» oder «Bester IT-Arbeitgeber der Schweiz», sondern auch die Gebäudeanbauten im Hinterhof, wohin die stetig anwachsende Schar der Netcetera-Talente ausweichen musste.

Wenn der CEO das Büro mit dem Lehrling teilt

Rasches Unternehmenswachstum zu bewältigen, ist ein Kraftakt, das weiss Regina Vogt, die 35-jährige HR-Chefin von Netcetera: So hat sich seit ihrem Stellenantritt vor neuneinhalb Jahren die Belegschaft von hundert Mitarbeitenden in der Schweiz auf 350 international Tätige mehr als verdreifacht: «Das Wachstum macht organisatorisch alles komplexer. Die Kunst ist, trotzdem eine unkomplizierte Organisationsstruktur und kurze Entscheidungswege beizubehalten.» Ein enorm wichtiger Aspekt für die Angestellten, welche die Netcetera-Unternehmenskultur schätzen, in der sich die Mitarbeitenden seit Anbeginn über alle Hierarchien hinweg ausgetauscht haben und sich der CEO immer noch das Büro mit dem Lernenden teilt. Diese Kultur an die neuen Erfordernisse anzupassen und ihre Besonderheiten dennoch zu erhalten, ist für das Unternehmen kein zu vernachlässigender Faktor, will Netcetera doch auch künftig «Bester IT-Arbeitgeber» sein.

«Jeder ist seines Glückes Schmied», umschreibt Regina Vogt ihr berufliches Erfolgsrezept. Dafür könne man niemand anders verantwortlich machen, «das muss man schon selber in die Hand nehmen». Eine Lebenseinstellung, die sie schon früh sehr weit bringt: So übernimmt sie knapp zwanzigjährig und mit einem KV-Abschluss in der Tasche bei einer mittelgrossen Softwareentwicklungsfirma bereits ein Jahr nach ihrem Stellenantritt die Leitung der Administration und schnuppert dabei erstmals HR-Luft. Eine Begeisterung, die sie nicht mehr loslässt. Es folgen ein Betriebsökonomie-Studium mit Vertiefungsrichtung HR, das sie Ende 2005 abschliesst, und kurze Zeit später schliesslich der Wechsel zu Netcetera, wo sie von 2008 bis 2011 berufsbegleitend ein weiteres Mal die Schulbank drückt, um ein Masterstudium im Human Capital Management an der ZHAW in Winterthur zu absolvieren.

Zur Person

Regina Vogt (35) ist seit über neun Jahren HR-
Leiterin bei Netcetera, einem Software-Unternehmen, das rund 350 Mitarbeitende beschäftigt. Ihr Einstieg ins Berufsleben beginnt mit einer Anstellung in der Administration einer Softwareentwicklungsfirma. Dort übernimmt sie als Zwanzigjährige nach knapp einjähriger Betriebszugehörigkeit die Leitung der Abteilung und befasst sich in dieser Funktion erstmals mit HR-Themen. Es folgt ein Studium im Bereich Betriebsökonomie mit Vertiefungsrichtung HR, das sie Ende 2005 an der ZHAW in Winterthur abschliesst. Anfang 2006 ergibt sich der Einstieg bei Netcetera, wo sie das HR seither massgeblich von der administrativen Dienstleistung zum Ansprechpartner der Geschäftsleitung entwickelt. Das dafür notwendige Rüstzeug holt sie sich mit einem Master in Human Capital Management, den sie 2011 an der ZHAW abschliesst. Regina Vogt verbringt ihre Freizeit am liebsten auf dem elterlichen Landwirtschaftsbetrieb in Eglisau. Dort kümmert sie sich um die Ausbildung und die Pflege der vierzig Pferde und erteilt Reitunterricht.

Geschäftsleitung hört zu

Bei Netcetera trifft sie auf ein unverbrauchtes HR: «Als ich 25-jährig bei Netcetera begann, gab es noch kein Human Capital Management», erinnert sich Regina Vogt. Ihr Gestaltungswille und die Verknüpfung von Betriebswirtschaft und Human Resources tragen bei Netcetera Früchte. So hat sich das HR in den vergangenen neun Jahren von der administrativen Dienstleistung zum veritablen Ansprechpartner der Geschäftsleitung gewandelt. «Auf Geschäftsleitungsebene werden wir nun bei allen Themen, die das Human Capital Management betreffen, einbezogen, nach unserer Meinung gefragt und können mitbestimmen – das war nicht immer so.» Ihr Erfolgsrezept? «Sich als kompetenter und verlässlicher Dienstleister und Sparringpartner erlebbar machen» und «jeden Tag daran arbeiten, mit jedem Kontakt und mit allem, was man macht». Um seine Ideen voranzutreiben und dafür einzustehen, sei zudem eine Portion Beharrlichkeit erforderlich, glaubt Regina Vogt.

Rolle des Vorschriftenwächters

Dass es in stürmischen Wachstumsphasen im «Organisationsgebälk» auch mal heftig knirscht, ist für Regina Vogt nicht mehr als ein Nebengeräusch: «Wenn sich ein Unternehmen so schnell entwickelt, kann man nicht von heute auf morgen alles perfekt machen. Man muss manchmal einen Zwischenweg finden.» So zum Beispiel, wenn die informelle Wissensverteilung an ihre Grenzen stösst: «Um dieses Problem zu adressieren, haben wir ein ‹interaktives Intranet› eingeführt, wo Mitarbeitende Informationen publizieren oder teilen und Posts von Kollegen kommentieren.» Manchmal stammen diese «Störgeräusche» aber auch aus dem internen Umfeld: «Es gibt einfach Gesetze, die man als Arbeitgeber einhalten muss», erläutert Regina Vogt, «das widerspricht aber dem schnelllebigen Umfeld, in dem wir uns befinden.» Sie habe dann manchmal die etwas undankbare Rolle des bremsenden «Vorschriftenwächters».

Bei allen Wachstumsturbulenzen die Nerven zu bewahren, fällt ihr nicht schwer: «Ich lege Wert darauf, die Dinge zu durchdenken und abzustützen.» Dazu müsse man manchmal Geduld haben, «bis die Zeit reif ist und sich eine Gelegenheit ergibt», oder eine Situation ruhen lassen, wenn sich nicht sofort eine Lösung abzeichne. Das Austarieren zwischen langsamem und schnellem Vorgehen, der «Konsensfindung» und dem Vorantreiben von Themen hat für sie bei der Mitarbeiterführung dieselbe Gültigkeit wie bei der Umsetzung von strategischen HR-Projekten. So beispielsweise beim Career-Management, dem sich Regina Vogt und ihr dreiköpfiges HR-Team widmen, «um den genialen Engineers, die häufig am liebsten selber Unternehmer wären, auch in einem KMU unserer Grösse eine Perspektive zu bieten». Dafür tut das Unternehmen bereits einiges: Von Aktienbeteiligungsprogrammen, flexiblen Arbeitszeiten oder Teilzeitarbeit und einwöchigem Vaterschaftsurlaub bis hin zu zusätzlichen freien Tagen für ehrenamtliche Engagements. Am wichtigsten aber seien die herausfordernden Netcetera-Kundenprojekte selbst, um die Mitarbeiterbindung zu fördern. «Deshalb berücksichtigen wir beim Staffing der jährlich über zweihundert anfallenden Projekte nicht nur das Know-how und die Fähigkeiten der Mitarbeitenden, sondern auch deren Entwicklungswünsche.»

Zwischen Technologie und Tradition

Sie zähle keine Stunden, so ihre Antwort auf die Frage, wie viel Zeit sie täglich bei Netcetera verbringe. «Ich arbeite dann, wenn ich leistungsfähig und kreativ bin.» Weil die Vereinbarkeit der verschiedenen Lebensbereiche bei Netcetera so gut funktioniere, «haben wir uns auch für den Prix Balance beworben». Und 2014 gleich auf Anhieb den ersten Platz belegt.

Den Gegensätzen «schnell und langsam», «traditionell und technisch» begegnet Regina Vogt nicht nur bei Netcetera, sondern auch in ihrem Privatleben: Entstammt sie doch einer bodenständigen Bauernfamilie aus der idyllischen Weinbauregion Eglisau, die noch heute einen 19 Hektar grossen Landwirtschaftsbetrieb führt, auf dem auch vierzig Pferde untergebracht sind. In diesem Umfeld hat sie gelernt, dass man «nicht alles schneller machen kann», und das Vertrauen entwickelt, dass «alles gut kommt, wenn man der Natur ihren Lauf lässt». Ihre Freizeit verbringt sie auf dem elterlichen Hof, wo sie sich um die Aufzucht und die Ausbildung der Pferde kümmert, Reitstunden erteilt und mithilft, wo Arbeit anfällt.

Lebensschule auf dem Pferderücken

Ob der Umgang mit Pferden mit demjenigen mit Menschen etwas gemein hat? Ganz von der Hand weisen liessen sich die Parallelen zum HR nicht: «Wenn man mit Pferden arbeitet, muss man sehr diszipliniert sein.» Sei man emotional instabil oder verstelle sich, hätten die Tiere kein Vertrauen und «akzeptieren einen nicht als Chef». Es gelte, authentisch zu sein. «Alles andere interessiert ein Pferd nicht.» Das helfe ihr auch im HR-Alltag: «Selbst wenn ich innerlich aufgewühlt bin, kann ich mich auf eine Person einstellen.» Das liesse sich im Umgang mit Pferden gut trainieren, denn Pferde würden einem persönliche Stärken und Schwächen schonungslos vor Augen führen: So kommen während der Reitstunden im Gespräch mit den jungen Erwachsenen auch immer wieder HR-Themen zur Sprache. Etwa solche zur Berufsfindung oder der Persönlichkeitsentwicklung.

Ihre Liebe zur Technik ist für sie dabei kein Widerspruch zu ihrer Bodenständigkeit: «Seit meiner Kindheit bin ich sehbehindert und habe deswegen schon immer alle möglichen technischen Hilfsmittel genutzt, um meinen Alltag zu bewältigen», löst Regina Vogt den scheinbaren Gegensatz auf. Dabei helfen ihr Tools, wie das von Netcetera programmierte Wemlin-App. Damit lassen sich Liniennetzpläne, nächstgelegene Tram-, Bus- oder Bahnstationen inklusive Abfahrtzeiten grafisch und gut lesbar anzeigen. Mit der aufkommenden Google-Technologie rückt für sie nun auch das Autofahren in greifbare Nähe, was aufgrund ihrer Sehschwäche bisher nicht möglich war: «Wir sind jedenfalls auf gutem Weg dazu, dass selbstfahrende Autos auf unseren Strassen bald zum Alltag gehören», gibt sie sich optimistisch und freut sich auf eine weitere technische Errungenschaft.

Netcetera

Der IT-Dienstleister Netcetera wurde 1996 gegründet und beschäftigt heute international rund 350 Mitarbeitende in vier Ländern. Neben massgeschneiderter Software und Einbettung etablierter IT-Lösungen für Kunden verschiedenster Branchen bietet Netcetera Beratungs- und 
Projektmanagementdienstleistungen. 
Die Holdinggesellschaft mit Hauptsitz in Zürich umfasst neben den Netcetera-Geschäftsstellen die Firmen D1 Solutions und Braingroup.

 

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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