HR Today Nr. 7&8/2021: Leadership – Coachen statt befehlen

«Teilen ist Teil des Erfolgs»

Der mittelständische Gesundheitslogistiker Cosanum hat nebst verschiedenen Hierarchiestufen auch das HR abgeschafft. Seither kümmert sich ein externes HR-Netzwerk um die meisten Personalfragen der 130-köpfigen Belegschaft. Ein Gespräch mit Co-Headcoach (CEO) Bruno Schefer.

Sie haben vor sieben Jahren die Leitung des Familienunternehmens Cosanum übernommen und Hierarchien sowie Führungsfunktionen abgeschafft. Weshalb?

Bruno Schefer: Als ich die operative Führung des Unternehmens auf Wunsch meines Bruders und seiner Familie vor sieben Jahren übernahm, merkte ich, dass die bisherigen Erfolge viele Mitarbeitenden selbstgefällig gemacht hatten. Ausserdem hatte sich der Gesundheitsmarkt markant verändert. Deshalb musste ich eine Veränderung einleiten und die Kultur anpassen.

Das hat bestimmt zu Abgängen geführt?

Ja, wir haben Mitarbeitende und einige wenige Führungskräfte verloren, die sich nicht damit abfinden konnten.

Was haben Sie konkret verändert?

Innerhalb dieses Wandels haben wir unter anderem unsere Stellenbezeichnungen radikal verändert. Das führte zu Bemerkungen von Mitarbeitenden: «Was mache ich, wenn ich weg will und keinen Jobtitel mehr vorzuweisen habe?» Ich habe versucht, ihnen aufzuzeichnen, dass das, was sie im Unternehmen erreicht haben, mehr zählt als ein Jobtitel. Dieser wird besonders für junge Menschen sowieso immer unwichtiger. Sie suchen nach Sinn bei der Arbeit und wollen sich entfalten. Die Rahmenbedingungen werden wir hierzu künftig noch stärker anpassen: Unsere Teams sollen sich weitgehend selbst organisieren, Ziele setzen und diese eigenverantwortlich erreichen.

Sie bezeichnen sich selbst nicht als CEO, sondern als Headcoach. Was ist der Unterschied?

Schon der Begriff «Chief Executive Officer» zeigt die Kultur eines Unternehmens. Die Begriffe «Chief» und «Officer» haben wir abgeschafft, weil sich Menschen mit solchen Titeln voneinander abgrenzen. Ein CEO befiehlt, gibt vor, bestimmt und entscheidet alleine. Das wollten wir nicht mehr. Ein Coach lässt den Beschäftigten viel mehr Freiheit. Er steht wie beim Fussball am Rand des Spielfelds und lässt die Teammitglieder ihre Tore selbst vorbereiten und schiessen. Wir haben somit unsere Geisteshaltung verändert und das Leadership zum Coaching entwickelt.

Infolge einer Restrukturierung bei Cosanum haben Sie auch das HR eliminiert. Eine Firma ohne Personalverantwortliche. Wie funktioniert das?

Eine professionelle HR-Betreuung erfordert ein hohes Fachwissen. Bei 130 Mitarbeitenden kann eine einzelne Fachperson nicht alle Themengebiete abdecken. Als die langjährige HR-Leiterin uns verliess, entschieden wir, diese Stelle intern abzuschaffen, die Aufgaben aufzuteilen und einen externen Partner zu suchen. Bei arbeitsrechtlichen Fragen arbeiten wir nun mit einem HR-Dienstleistungsunternehmen zusammen. Bei Führungs- und Entwicklungsaufgaben stehen unsere Team-Coaches seither im steten Austausch mit den Mitarbeitenden (Happy cosaMembers). Dadurch haben wir nicht nur unsere Kosten gesenkt, sondern erhalten bei dringlichen HR-Fragen auch schneller eine kompetente Antwort. Beispielsweise bei einem komplexen Kündigungsfall. Brauchten wir früher zwei bis drei Tage für alle Abklärungen, habe ich heute innert Stunden eine Lösung.

Sie teilen sich Ihren Posten mit Ihrem Sohn.

Ja, mein Sohn Thomas hat im November 2020 die Co-Headcoach-Funktion sowie die Verantwortung für den Verkauf, das Produktmanagement, den Einkauf, die Supply Chain und das Marketing übernommen. Seither kümmere ich mich um meine Steckenpferde, die Finanzen und die Digitalisierung. Mit dem Projekt «Next Generation» leiten wir nun eine Veränderung ein, die mir erlaubt, mich immer mehr zurückzuziehen. Punktuell will ich mich aber auch danach noch im Betrieb engagieren. Zumindest, solange es meine Gesundheit zulässt. Beispielsweise, indem ich mich weiterhin den Finanzen annehme. Das macht mir Spass. Zudem funktioniert die Zusammenarbeit mit meinem Sohn hervorragend. Das ist ein Glücksfall.

Was halten Sie von flexibler Teilzeitarbeit?

Früher widerstrebte mir diese Vorstellung. Als eine Führungskraft bei einem ehemaligen Arbeitgeber sein Pensum auf 80 Prozent reduzieren wollte, habe ich dies dennoch zugelassen. Die Zusammenarbeit hat aber ganz gut geklappt, ausser freitags, wenn ich seinen Job übernehmen musste. Das würde ich heute nicht mehr so machen. Wer flexibel arbeiten will, muss selbst flexibel bleiben, auch wenn das ausnahmsweise bedeutet, an einem Freitag an einer Sitzung teilzunehmen. Die heutige Arbeitsmarktsituation erfordert zudem höchste Anpassungsfähigkeiten. Deshalb sind mir bei Cosanum flexible Arbeitszeiten auf allen Stufen wichtig. Derzeit testen wir neue Arbeitszeitmodelle. So können Happy cosaMembers ihr Pensum beispielsweise künftig in vier statt in fünf Tagen erbringen. Das wäre auch für Team-Coaches denkbar. Ausserdem wollen wir noch effizienter werden und unser Arbeitspensum von 8,5 auf 7,5 Stunden reduzieren, ohne das Salär zu kürzen.

Sie sagten es schon: Ihre Mitarbeitenden heissen Happy cosaMembers. Sind Ihre Mitarbeitenden tatsächlich so glücklich?

Glücklich sein ist eine Grundeinstellung. Hat man eine positive Einstellung zum Leben, ist man weniger anfällig für Krankheiten und offener gegenüber Neuem. Wir schaffen hierfür das ­entsprechende Umfeld und pflegen einen respektvollen Umgang miteinander. Das tun wir beispielsweise, indem wir unsere internen Reglemente stark reduzieren oder ganz abschaffen. Das funktioniert sehr gut: Obschon wir keine 15-seitige Hausordnung mehr haben, herrscht kein Chaos. Vertraut man sich und spricht man miteinander, kann man auf viel Administratives verzichten.

Ihre Unternehmenswerte heissen «Better. Faster. Magic.» Was wollen Sie damit sagen?

Als Vorbild hierfür diente uns Roger Federer. Er spielt seit über dreissig Jahren Tennis und fragt sich jeden Morgen: Was kann ich heute besser machen? Wie kann ich schneller spielen und wie kann ich mein Publikum (Kunden) und meine Gegner (Konkurrenten) überraschen? Wir leben das, indem wir schon zehn Minuten vor dem Termin beim Empfang sind, bevor unsere Gäste (Kunden, Partner, Bewerbende) kommen. Meist sind diese dann überrascht und fragen sich, ob sie zu spät sind. Doch wir wollen sie einfach nur herzlich empfangen und ihnen zeigen, dass wir uns auf ihren Besuch freuen und vorbereitet sind. Ein anderes Beispiel: Eine unserer Magierinnen (Verkäuferinnen) ersteht für jeden Neukunden eine kleine Pflanze und übergibt diese mit den Worten: «Ich hoffe auf eine langfristige Zusammenarbeit und dass aus diesem Setzling ein Baum wird.» Besuche ich Kunden, bemerke ich oft eine dieser Pflanzen. Das sind für mich «magic moments».

Magic: Was heisst das für Ihre Dienstleistungen?

Die Umstrukturierung bei Cosanum hat dazu geführt, dass wir unsere Logistik-Dienstleistungen völlig umgekrempelt haben. Heute liefern wir Operations-Sets «on demand» in den Operationssaal. Das erspart unseren Kunden ungefähr zehn Arbeitsschritte und anderthalb Stunden Arbeit. Dadurch reduzieren sich deren Prozesskosten erheblich. Solche Lösungen entstehen aber nur, wenn man Kreativität im Unternehmen zulässt.

Sie unterstützen Ihre Happy cosaMembers auch privat. Zum Beispiel eine Lehrtochter, deren Eltern eine schwierige Zeit durchgemacht haben. Das ist nicht selbstverständlich...

Unserer Gesellschaft in der Schweiz geht es grundsätzlich sehr gut. Trotzdem gibt es in unserer unmittelbaren Nähe Menschen, die schwere Schicksalsschläge erleiden. Wir fühlen uns gegenüber unseren Happy cosaMembers nach dem Prinzip «Teilen ist Teil des Erfolgs» verpflichtet.

Bald wird Ihr Sohn zusammen mit den beiden Söhnen Ihres Bruders, die im VR vertreten sind, die Verantwortung des Unternehmens tragen. Was wünschen Sie sich für die junge Generation?

Dass sie ihren Werten treu bleiben, bei Stürmen die Ruhe bewahren und ihre Träume verwirklichen können.

Cosanum

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Cosanum ist ein Schweizer Gesundheits-Logistikunternehmen mit Sitz in Schlieren. 1980 gegründet und 1989 von René Schefer übernommen, entwickelte sich das Unternehmen rasch. Beinhaltete das Portfolio anfänglich 250 Produkte, ist es 2020 auf 10'000 Produkte angewachsen. Im gleichen Zeitraum wuchs die Zahl der Mitarbeitenden von sieben auf 130. 2014 übernahm Bruno Schefer die Führung des Unternehmens und hat seither die Unternehmenskultur grundlegend verändert, Hierarchien abgeschafft und eine Netzwerkorganisation eingeführt. Mit dem Projekt «Next Generation» initiierte Schefer seine Ablösung und teilt bis dahin die Unternehmensleitung mit seinem Sohn Thomas.

 

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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